Archiv


Länderfinanzausgleich und Solidarpakt als Gesamtpaket regeln - Solidarpakt Ost erst in zehn Jahren zurückfahren

    Durak: Erpresst der Osten den Westen oder ist es umgekehrt? Das ist eine zugespitzte Formulierung, das gebe ich zu, aber es ist ja vielleicht nur konsequent zu Ende gedacht, was vorsichtiger formuliert wurde und wird von Ministerpräsidenten aus Ost und West. Es geht also um den Länderfinanzausgleich und um den Solidarpakt heute beim Beginn der Beratungen der Ministerpräsidenten.

    Was haben wir gehört? Baden-Württembergs Ministerpräsident Teufel als Beispiel sagt, es wird keine Neuordnung beim Finanzausgleich geben, wenn die finanzstarken Länder nicht einen höheren Anteil ihres eigenen Steueraufkommens behalten könnten. Thüringens Ministerpräsident Vogel, die andere Seite, sagt, wenn der Bund nicht bereit ist, beim Solidarpakt II Mittel für die Zukunft verbindlich zuzusagen, wird es keine Einigung zum Länderfinanzausgleich geben.

    Also wir fragen Brandenburgs Ministerpräsident. Manfred Stolpe ist nun am Telefon. Herr Stolpe, machen Sie denn Ihre Zustimmung zum Länderfinanzausgleich von einer Ihnen genehmen Regelung zum Solidarpakt II abhängig?

    Stolpe: Alle 16 Bundesländer haben natürlich darauf zu achten, dass die Interessen der Länder gewahrt bleiben und zugleich aber auch der Bund nicht kaputt gespielt werden darf durch Forderungen, die nicht realisierbar sind. Es ist ein Geflecht von dicken Problemen, die hier im Zusammenhang anstehen. Da muss ein neues Maßstäbegesetz gemacht werden und da ist es erforderlich, dass wir den Länderfinanzausgleich neu sortieren. Sehr dicht daneben steht ein drittes Problem, dass nämlich noch einmal über eine vertikale Umsatzsteuerverteilung nachgedacht werden soll, und für uns nicht zuletzt natürlich die Frage, wie geht es weiter mit dem Solidarpakt.

    Über all diese Themen ist ja nun über Monate gezankt worden. Es sind Forderungen öffentlich erhoben worden, die gar nicht unter einen Hut zu bringen sind. Zugleich wissen natürlich alle Beteiligten, wenn man sich jetzt nicht verständigt, wird das eigentlich noch ein bisschen komplizierter. Deshalb machen wir auch Druck und sagen, Maßstäbegesetz ja, das ja kommen muss aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils, da sind wir gerne dabei, aber bitte auch gleich klären, wie es weitergehen wird mit dem Solidarpakt.

    Durak: Hinter dem Begriff Maßstäbegesetz verbirgt sich die Neuordnung der Finanzen?

    Stolpe: Ja, das ist ein Urteil des Verfassungsgerichtes, mit dem angewiesen worden ist, dass neu zu sortieren ist im Blick auf die Verteilung der Mittel, und zwar unter Berücksichtigung auch der Leistungen, die in den einzelnen Ländern erbracht werden. Da finde ich müssen wir auch aufgeschlossen sein. Das hat Brandenburg ja auch immer mit unterstützt, dass hier Anreize bestehen müssen für die Länder, die überdurchschnittliche Steuermehreinnahmen haben. Das sind in aller Regel jetzt die sogenannten Geberländer, also Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen, aber auch Hamburg. Da finde ich muss ein Weg gefunden werden, dass sie dann auch bei solchen überdurchschnittlichen Einnahmen davon einen etwas angemesseneren Anteil bekommen.

    Das Problem besteht darin, dass wir die Situation haben, alle wollen mindestens genauso viel haben wie jetzt und die leistungsstarken ein bisschen mehr durch diesen Prämienanreiz, wenn ich es so nennen darf. Dafür reicht das Geld aber nicht. Das heißt also, es besteht eine Lücke. Die Hürde, um das mal etwas locker zu sagen, ist natürlich die Vorgabe, dass bei dem ganzen Verteilvorgang die Existenz aller 16 Länder gesichert werden muss. Alle 16 wollen weiterbestehen. Das ist die Verständigung, die erfolgt ist. Die brauchen dann sozusagen die schwarze Null, also Geld wie bisher und noch einiges drauf, so dass das Gerangel glaube ich am Ende auch nur lösbar ist, wenn der Bund mitdenkt in der Frage und hier die Lücke, die sich zwangsläufig auftut, mit schließen hilft.

    Durak: Dann habe ich jetzt also richtig herausgehört: Brandenburg würde die Geberländer darin unterstützen, dass sie einen höheren Anteil an ihren Steuern behalten, aber das Geld würde Ihnen ja beispielsweise fehlen. Also soll es der Bund tragen?

    Stolpe: Wir sagen das in aller Zurückhaltung und wie ich glaube auch immer in aller Fairness. Dieses Gesamtproblem wird aber nur funktionieren, denn diese vier dicken Aufgaben, die ich vorhin beschrieben habe, sind wirklich nur lösbar, wenn alle mitdenken und hier ein Ausgleich erfolgt, den der Bund einräumen könnte.

    Durak: Da soll also der Bund einspringen. Ich überspringe jetzt mal die vertikale Umsatzsteuer, weil ich sehr gerne mit Ihnen über den Solidarpakt sprechen möchte und zu meiner Eingangsfrage zurückkommen möchte, ob Sie es davon abhängig machen. Der Solidarpakt II soll aus Sicht der ostdeutschen Länder länger und auf höherem Niveau geführt werden als es der Bund bisher vorsieht. Auch hier erwarten Sie also vom Bund und den anderen Ländern Zuschüsse, ein Entgegenkommen. Wie wollen Sie denen das wirklich ernsthaft begründen?

    Stolpe: Wir können, Frau Durak, hier im Grunde nur ganz schlicht die Bedarfssituation darlegen und in aller Zurückhaltung auf den Verfassungsauftrag der Gleichheit der Lebensbedingungen verweisen. Dabei haben wir hier nie die Forderung gestellt, in allerkürzester Zeit auch den vollen Standard oder mindestens Durchschnittsstandard der Westländer zu erreichen. Wir meinen aber, dass die Lücken, die noch bestehen und die vor allen Dingen im Bereich der sogenannten Infrastruktur sich bemerkbar machen, also die Rückstände bei Verkehrswegen, die Probleme, die etwa noch in den Stadtkernen und vor allem auch in den Neubaugebieten bestehen, und die Leistungsschwäche, die hier nach wie vor die Kommunen haben, geschlossen werden müssen. Man darf ja nicht vergessen, dass die Städte und Gemeinden im Osten von der Verfassung her eine Fülle von Aufgaben haben, aber ganz geringfügige Einnahmen. Eine Stadt wie Frankfurt an der Oder, vergleichbar vielleicht mit Heinbronn, hat ein Zehntel der Steuereinnahmen. Daraus ersehen Sie schon, dass das alles ein bisschen eng ist. Da braucht man noch einen Ausgleich. Ich denke, hier gibt es auch Verständigungsbereitschaft. Es ist nicht so, dass die alten Bundesländer sagen, die brauchen nichts mehr und wir brechen das jetzt ab.

    Durak: Es geht nicht ums Abbrechen, Herr Stolpe. Der Bund will ja sicherlich im Einvernehmen mit den Westländern - davon gehe ich mal aus - anders den Solidarpakt II fahren als Sie ihn fahren wollen. Ich will es mal für die Hörer sagen. Den Solidarpakt II soll es weiter geben bis 2020, aber ab 2006 deutlich abgespeckt auf am Ende 157 Milliarden Mark. Dies sagt der Bund. Die ostdeutschen Länder meinen, sie bräuchten bis 2014 rund 300 Milliarden Mark. Das ist ein deutlicher Unterschied?

    Stolpe: Die berühmten 300 Milliarden hängen auch mit der Infrastruktur zusammen. Das ist sozusagen das Beschreiben des Bedarfes. Das ist das eine und das andere wird sein, was leistbar ist, was so darstellbar ist, dass das Gesamtfinanzgefüge in Deutschland nicht völlig auf den Kopf gestellt wird. Hier würde bei einem Beibehalten des Solidarpaktes und der damit im Zusammenhang stehenden Leistungen der Sonderbedarfsergänzungszuweisung für den Osten schon über einen Zeitraum von sagen wir mal rund zehn Jahren sichergestellt sein, dass man hier weiter vorankommen kann.

    Der Hauptkern meiner Überlegung ist ja der: Sehen Sie, wir haben in diesen zehn Jahren von dem 40jährigen Rückstand, den der Osten hatte, mehr als die Hälfte abgebaut. Das ist schon eine tolle Leistung, die hier in gesamtdeutscher Solidarität erbracht worden ist. Es wäre jetzt ein großer Fehler, wenn wir das ganz stark abflachen lassen würden. Das müssen wir noch ein Stück sicherstellen. Wir im Osten müssen darlegen, wo wir das brauchen, und das lässt sich auch klipp und klar beweisen. Es wird ja hier nichts in ein Fass ohne Boden gesteckt und darüber wird man sich verständigen können. Irgendwann wird die Degression einsetzen müssen. Das muss dann ausgehandelt werden. Dazu haben wir ja drei Tage zeit.

    Durak: Ihre Vorstellungen dazu?

    Stolpe: Ich glaube wir sollten nicht so sehr weit weggehen von den zehn Jahren und uns dann mit der Degression auf einen Nullpunkt hinbewegen, bei dem dann diese Sonderleistungen für den Osten zu Ende geführt werden sollten. Das schafft auch Planungssicherheit. Darauf muss man sich einstellen. Da muss man einen harten Sparkurs fahren.

    In Brandenburg ist Sparen oberstes Gebot. Wir werden das durchziehen. Wir wollen sogar bis 2004 erreichen, eine Neuverschuldung dann nicht mehr vorzunehmen. Das heißt wir werden viele brutale Einschnitte hier vornehmen, um dann auch unseren Beitrag dazu zu leisten, dass wir in absehbarer Zeit auf die eigenen Beine kommen.

    Durak: Sie haben gesagt, die 300 Milliarden sind eher eine Bedarfsbeschreibung. Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie bestehen nicht auf diesen 300 Milliarden?

    Stolpe: Nun ja, wir müssen schon. Ich meine wir können ja jetzt nicht die Verfassung und das Grundgesetz außer Kraft setzen und sagen, es fehlt zwar noch eine ganze Menge und es ist noch lange keine Vergleichbarkeit der Verhältnisse erreicht. Schauen Sie sich nur diese großen Neubaugebiete und Plattensiedlungen hier an, wo noch unendlich viel fehlt. Das setzen wir jetzt aus; das darf ich ja gar nicht. Auf der anderen Seite will ich nicht alles auf einmal haben, sondern das kann ja nur geleistet werden im Rahmen der Möglichkeiten. Wir haben ja selbst größtes Interesse daran, dass der Bund leistungsfähig bleibt, dass auch die Geberländer leistungsfähig bleiben, denn das ganze System funktioniert ja nur so, dass die entscheidenden Säulen in dem Finanzierungsbereich, die Geber und der Bund, auch in der Lage sein werden, etwas zu bringen.

    Durak: Wie steht es denn, Herr Stolpe, noch einmal um Brandenburg? Gehen Sie so weit wie Herr Vogel in Thüringen, wenn der Bund nicht bereit ist, beim Solidarpakt II Mittel für die Zukunft verbindlich zuzusagen, wird es keine Einigung zum Länderfinanzausgleich geben?

    Stolpe: Das ist eigentlich ein Konsens, den wir schon vor fast einem Jahr mit dem Bund erreicht haben und wo ich sicher bin, dass wir nahezu alle Länder in die Richtung mit bewegen konnten. Wenn wir jetzt über Maßstäbegesetz und Länderfinanzausgleich reden, dann muss in dem Zusammenhang der Solidarpakt mitentschieden werden. Das ist ein Junktim. Da kann jetzt nicht nur ein Teil geregelt werden und der Solidarpakt wird hinterher dann irgendwie geregelt, fällt vielleicht noch ins Wahlkampfgetöse und das ganze zu Lasten unserer intensiven Aufbaubemühungen, die wir im Osten haben und ja doch weiterhin erfolgreich voranbringen.

    Durak: Ist der Solidarpakt II in diesen Verhandlungen und als Ergebnis nicht dabei, stimmen Sie dem Länderfinanzausgleich nicht zu?

    Stolpe: Verehrte Frau Durak, so weit wird es gar nicht kommen. Da sitzen genügend vernünftige Leute am Tisch. Die wissen von dem zwingenden Zusammenhang und die werden gar nicht ernsthaft auf die Idee kommen, den Solidarpakt abzukoppeln, sondern das muss in einem Gesamtpaket gelöst werden. Ich setze auf die Vernunft aller Beteiligten. Es müsste eigentlich so bis Sonntagfrüh geklärt sein können.

    Durak: Da sind wir sehr gespannt. Wir bleiben dran. - Schönen Dank Manfred Stolpe, Ministerpräsident von Brandenburg.

    Link: Interview als RealAudio