Sonntag, 05. Mai 2024

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Lage in Aleppo
"Solche Zerstörungen habe ich noch nie gesehen"

Der Publizist Jürgen Todenhöfer ist zurzeit im syrischen Aleppo. Er sagte im DLF, Zerstörungen wie in dieser Stadt und in Homs habe er noch nie gesehen. Es sei ein brutaler Krieg, der von Regierung und Rebellen geführt werde. Aber die Syrer seien nicht die führenden Akteure - sondern ausländische Mächte.

Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit Dirk Müller | 16.09.2016
    Ein Soldat läuft über Trümmerberge in Aleppo, im Hintergrund stehen die Ruinen mehrerer Häuser
    Szene aus Aleppo vor dem Waffenstillstand (imago / Xinhua)
    Todenhöfer berichtete, rund ein Fünftel von Aleppo sei total zerstört. Er bewege sich mit seinem Sohn in Begleitung von Einheimischen und werde Regierungsvertreter, Oppositionelle und auch bewaffnete Rebellen treffen. Er könne aber nicht genau angeben, wen, wann und wo. Der Grund: Gerade erst sei ein russisches Fernsehteam während eines Interviews gezielt beschossen worden.
    Die Waffenruhe, die vor Kurzem für Syrien ausgehandelt wurde, hält nach Todenhöfers Einschätzung "weitgehend", auch wenn es immer noch "Idioten" gebe, die Mörser abfeuerten. Todenhöfer betonte, er selbst sei "nicht Partei": Er sei ein "Freund des syrischen Volkes". Und er müsse mitansehen, wie Verwandte gegeneinander kämpften.
    Wichtig sei, dass die Syrer selbst nicht die führenden Akteure seien. Dieser Krieg sei schon sehr früh von ausländischen Mächten genutzt worden, um eine Machtverschiebung zu erreichen. So stünden sich im Hintergrund Saudi-Arabien und der Iran gegenüber, ebenso wie die USA und Russland. Auch hätten die Golfstaaten und die USA gleichermaßen versucht, das Assad-Regime zu stürzen. Dabei sei Außenminister Kerry jahrelang mit Assad befreundet gewesen, betonte Todenhöfer.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Der Publizist, Autor, frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer hat es geschafft, in dieser Situation jetzt bis nach Aleppo vorzudringen, bis nach Aleppo zu kommen. Guten Morgen!
    Jürgen Todenhöfer: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Todenhöfer, wo erreichen wir Sie jetzt?
    Todenhöfer: Sie erreichen mich im Augenblick in einem Hotel ohne jede Klimaanlage. Das heißt, ungefähr 45 Grad im Zimmer und wir werden jetzt gleich losgehen.
    "Ich werde gleich bewaffnete Rebellen treffen"
    Müller: Was heißt wir?
    Todenhöfer: Ich bin mit meinem Sohn hier und einem syrischen Oppositionellen, also einem Mann, der der Opposition nahesteht.
    Müller: Haben Sie keine Angst?
    Todenhöfer: Nein.
    Müller: Sie haben schon viel erlebt und schon viel gesehen in Syrien. Sie haben viele Städte besucht. Sie waren jetzt auch in Homs, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie gehen da ohne Probleme durch die Straßen?
    Todenhöfer: Ja, ich gehe mit Begleitern, die die Stadt kennen. In Homs war ich mit jemandem, der aus Homs ist, und wir gehen auch durch Rebellenviertel. Ich kann nicht genau sagen, wo ich bin. Ich werde Rebellen treffen und kann aus Sicherheitsgründen nicht sagen, wieso, weil und wo, weil vorgestern beispielsweise ein russisches Fernsehteam während des Interviews - die haben abends offenbar zu viel Licht angemacht - beschossen wurde von Rebellen.
    Ich treffe Menschen und es gibt immer wieder Möglichkeiten, auch Menschen von beiden Seiten zu treffen, Anhänger der Regierung, Anhänger der Opposition, Anhänger der bewaffneten Rebellen und selbst bewaffnete Rebellen. Ich werde gleich bewaffnete Rebellen treffen.
    "Im Vergleich zu den Kriegshandlungen ist das ein Waffenstillstand"
    Müller: Die Situation ist nach wie vor prekär, ist nach wie vor gefährlich für jeden, für jedes Menschenleben?
    Todenhöfer: Ja. Es ist natürlich jetzt im Augenblick besser, weil es diesen Waffenstillstand gibt, der weitgehend - man muss weitgehend sagen - eingehalten wird. Da gibt es immer wieder irgendwelche Idioten, ich sage das jetzt mal ganz krass, die dann irgendeinen Mörser abschießen.
    Das hat es gestern tagsüber auch in Aleppo immer wieder gegeben. Das ist mit einem Riesen-Wumm. Man hörte, da hat einer geschossen, und dann Maschinengewehrlärm. Aber im Vergleich zu den Kriegshandlungen vorher ist das ein Waffenstillstand, der weitgehend eingehalten wird, und zwar von beiden Seiten.
    Müller: Sie sagen, irgendein Idiot. Das ist Ihr gutes Recht. Das hört sich an, als würde einer so privat mal Lust haben, eine Mörsergranate zu schießen. Oder ist das doch von den Konfliktparteien, um zu provozieren?
    Frage der humanitären Versorgung des Ostteils der Stadt
    Todenhöfer: Ich glaube noch nicht, dass es das Stadium hat zu provozieren, aber es gibt eben immer wieder Leute, die durch den Krieg so mitgenommen sind, so angegriffen sind oder auch dem Krieg nicht gewachsen sind, weil sie 15 sind, die dann in die Luft ballern oder auch gezielt angreifen.
    Das russische Fernsehen ist gezielt während des Interviews, die Journalisten mussten in Deckung gehen, angegriffen worden, weil man auf dem Rebellengebiet das russische Fernsehen nicht mochte. Das gibt es aber eigentlich immer wieder bei Waffenstillständen. Entscheidend ist, dass der jetzt länger hält.
    Aber es gibt natürlich auch Schwierigkeiten. Wir haben die Frage der humanitären Versorgung des Ostteils der Stadt. Im Westen leben 1,2 Millionen unter der Kontrolle der Regierung, im Osten leben unter der Kontrolle der Rebellen 250.000.
    Müller: Da sind Sie jetzt?
    Todenhöfer: Nein, ich bin im Westteil. In den Ostteil käme ich jetzt rein, wenn ich da jetzt wäre, aber ich käme vielleicht nicht mehr raus. Das sind ja Leute, die mich gar nicht mögen teilweise, wenn ich etwa an El-Kaida denke.
    "Eine Machtverschiebung im Mittleren Osten herbeiführen"
    Müller: Die schwirren auch da herum, die El-Kaida-Gruppierungen? - Herr Todenhöfer, Sie sind ein paar Tage schon in Syrien. Sie haben gesagt, der Waffenstillstand, die Waffenruhe, ist ja noch kein Stillstand, hält einigermaßen. Das haben viele berichtet, haben Sie jetzt auch bestätigt. Das ist Ihr Eindruck. Wenn Sie jetzt dort durch die Straßen gehen und verschiedene Parteien, Kriegsparteien wie auch immer treffen, sind Sie Partei?
    Todenhöfer: Nein, ich bin nicht Partei. Man wird zwar immer wieder von manchen Menschen eingeordnet. Ich betrachte mich als einen Freund des syrischen Volkes. Das klingt zwar groß, aber es ist so. Ich bin häufig nach Syrien gekommen, auch schon vor dem Krieg, ich mag die Menschen.
    Und jetzt sehe ich, dass Verwandte gegeneinander kämpfen, weil da ein entsetzlicher Krieg entstanden ist. Und der Krieg ist ja nicht in erster Linie, wie man bei uns immer wieder hört, durch die Opposition, oppositionelle Syrer und durch die Regierung entstanden. Da hat es Demonstrationen gegeben. Aber sehr früh haben ausländische Mächte, die ich auch nennen kann, diesen Krieg genutzt, um eine Machtverschiebung im Mittleren Osten herbeizuführen.
    Die Golf-Staaten und auch die USA haben versucht, durch Unterstützung von Rebellen das Regime zu stürzen, und zwar nicht jetzt wegen Antipathie oder Sympathie - John Kerry war jahrelang mit Assad befreundet, hat ihn besucht, in den Restaurants hängen die Bilder von den beiden -, sondern da hat sich durch den Irak-Krieg eine lange schiitische Achse gebildet, die den Einfluss Irans vergrößert. Die geht von Iran, Irak, Libanon bis nach Syrien.
    "Mindestens 20 Prozent von Aleppo sind total zerstört"
    Müller: Sie sind ja mit Ihrer Kritik an den USA unter anderem auch, aber auch an Russland immer sehr deutlich, Herr Todenhöfer. Ich möchte aber jetzt noch mal ganz kurz die Gelegenheit nutzen, soviel Zeit haben wir ja nicht mehr, dass Sie uns noch einmal helfen, ganz kurz noch mal zu beschreiben. Wie sieht Aleppo aus? Die Fernsehbilder, die wir sehen, wir sehen nur zerstörte Gebäude, durch Bombardements eingerissene Häuser, kaputte Straßen. Ist das so?
    Todenhöfer: Ja. Ich würde sagen, das ist schwer zu schätzen bei einer Stadt, in der zweieinhalb oder drei Millionen Menschen immer noch leben. Ich würde sagen, dass mindestens 20 Prozent der Stadt total zerstört sind. Ich habe gestern Bilder gesehen, auch da, wo die Rebellen versucht haben, den Belagerungsring aufzubrechen. Das sind Zerstörungen, die selbst ich, der ich in ganz vielen Kriegen war, nie gesehen habe.
    "Die Syrer sind nicht die führenden Akteure in diesem Krieg"
    Ich habe das als kleines Kind gesehen nach dem Zweiten Weltkrieg: Total zerstörte Viertel, Geisterviertel, und zwar von beiden Seiten zerstört: zerstört von den Rebellen durch Artillerie, Mörserraketen zerstört, von der Regierung. Es ist ein brutaler Krieg, der von beiden Seiten geführt wird.
    In Homs war das genauso. Da bin ich eine halbe Stunde lang durch Viertel gegangen, die völlig zerstört waren, wo es selbst mir - ich habe schlimme Sachen gesehen - einfach die Sprache verschlägt. Und das ist ganz schlimm, was da hier stattfindet.
    Dies ist nicht in erster Linie auch natürlich ein syrischer Krieg, aber die Syrer sind nicht die eigentlichen führenden Akteure in diesem Krieg, sondern die Akteure sind im Hintergrund. Da gibt es den Konflikt Saudi-Arabien gegen Iran. Die Saudis wollen die Schiiten und Alawiten in Syrien stürzen. Der Iran will sie unterstützen.
    Und dann gibt es dahinter inzwischen einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA, die die Rebellen unterstützen oder einen Großteil der Rebellen unterstützen, und Russland, das Assad unterstützt. Diese Gemengelage ist so katastrophal für die Menschen hier, dass die Menschen müde sind. Sie sind verzweifelt und sie haben nur einen Wunsch: der heißt Frieden.
    Müller: Entschuldigung, Herr Todenhöfer. Sie hören vielleicht auch die Musik. Wir müssen zum Ende kommen. - Ich danke ganz herzlich, dass Sie in dieser Situation die Zeit für uns gefunden haben hier im Deutschlandfunk. Wir drücken Ihnen die Daumen, alles Gute.
    Todenhöfer: Deutschlandfunk immer!
    Müller: Alles Gute!
    Todenhöfer: Danke schön!
    Müller: Auf Wiederhören! - Jürgen Todenhöfer war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.