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Lage in der Ukraine
Beck: Ernsthafte Gespräch mit Moskau notwendig

Von "bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen" in der Ukraine sprach Marieluise Beck (Grüne) im DLF-Interview. Vitali Klitschkos Wunsch nach einer Intervention des Westens gehe trotzdem zu weit, wenn militärisches Eingreifen damit gemeint wäre, sagte die Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss.

Marieluise Beck im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.02.2014
    Porträt der Grünen-Politikerin Marieluise Beck
    "Mir fehlt die Fantasie, was sich unter Intervention versteht", sagt Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen). (dpa / Karlheinz Schindler)
    Dirk-Oliver Heckmann: Schlimme Bilder von Toten und Verletzten erreichen uns aus Kiew und dem Rest der Ukraine. Die Sicherheitskräfte, die haben gestern Abend damit begonnen, den Maidan, den zentralen Platz, zu räumen. Es kam zu massiver Gewalt.
    Zugehört hat Marieluise Beck. Sie ist Obfrau der Bündnisgrünen im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Sie ist eine profunde Kennerin der Lage in der Ukraine, sie ist immer wieder dort hingereist in den letzten Wochen und Monaten. Guten Tag, Frau Beck.
    Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Wie bewerten Sie denn jetzt die jüngste Entwicklung? Steht die Ukraine jetzt unmittelbar vor einem Bürgerkrieg oder ist sie längst drin?
    Beck: Es sind sicherlich bürgerkriegsähnliche Verhältnisse. Sabine Adler hat das ja eben sehr eindrücklich geschildert. Das übrigens ist nicht erst jetzt der Fall. Auch diese massive Einschüchterung vonseiten der Macht oder von Paramilitärs zu ganz bürgerlichen Menschen, die aufseiten des Maidan standen. Ich habe auf meiner letzten Reise vor zwei Wochen gehört, dass in Kiew überall Autos angezündet werden von Menschen, die zum Beispiel für NGOs, für Nichtregierungsorganisationen arbeiten, die sich im Bereich HIV-Bekämpfung oder Rechtsberatung oder Ähnlichem bewegen. Insofern ist diese subkutane Gewalt und Einschüchterung vonseiten des Machtapparates schon lange Teil auch dieser Zuspitzung der Verhältnisse.
    Heckmann: Und jetzt ist es richtig eskaliert, Frau Beck. Zuletzt gab es ja eigentlich Signale der Entspannung. Besetzte Gebäude, die wurden geräumt, am Montag noch. Das Amnestiegesetz, das trat in Kraft. Jetzt diese Eskalation. Wer ist aus Ihrer Sicht dafür verantwortlich?
    Beck: Die Demonstranten haben Zugeständnisse gemacht, von denen sie wussten, dass sie sehr weitgehend sind und die ja ein Stück Vertrauen voraussetzen. Es war immer als Kompromiss, als Ausweg klar, dass Präsident Janukowitsch einen Teil seiner Macht abgeben muss und dieses Land zurückkehren muss zu einer parlamentarischen Demokratie, die auch die Möglichkeit hat, die ganze Vielfalt dieses Landes – wir sprechen ja immer zwischen Ost und West. Ich glaube, wir müssten mehr zwischen westorientierten und ostorientierten Bürgerinnen und Bürgern sprechen.
    Dafür hätte die Rückkehr zur Verfassung von 2004, die Janukowitsch ja abgeändert und in eine Präsidiale verwandelt hat, diese wäre tatsächlich ein Schritt nach vorne gewesen. Gestern Morgen hat das Parlament wieder einmal abgelehnt, diese Debatte überhaupt zu führen, und Sabine Adler hat eben die doch erstaunliche Koinzidenz genannt, dass das nun an dem Tag war, an dem scheinbar der Druck von Janukowitsch genommen worden war, wirklich in einen Kompromiss zu gehen, indem seine Kasse wieder gefüllt worden ist vonseiten Moskaus.
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, dass Moskau auch an dieser Stelle wieder einmal eine ungute Rolle spielt?
    Beck: Ja! Man muss sich die Genese dieses Konflikts noch einmal vor Augen führen. Ein Land verhandelt über sechs Jahre ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und kurz bevor es zur Unterzeichnung kommt, wird massiv interveniert, indem Handelsbeziehungen zu Russland deutlich abgeschnitten werden: Lizenzen für den Bau von Flugzeugen nicht mehr gestattet, gedroht mit einem hohen Gaspreis und Einfuhren von lebenswichtigen ökonomischen Gütern nach Russland unterbunden werden. Das war die erste Intervention gegenüber einem souveränen Land wie die Ukraine, und seither ist massiv eine nach der anderen erfolgt.
    Das ist das große Drama und man muss eigentlich sagen, dass die Europäische Union darauf nicht vorbereitet gewesen ist. Das erstaunt mich selber. Dieses Erstaunen in der Europäischen Union, dass von Russland Widerstand kommt, und dann eigentlich eine große Hilflosigkeit, wie damit nun umzugehen ist.
    "Sanktionsdebatte ist bei uns sehr unscharf geführt worden"
    Heckmann: Erstaunen und Hilflosigkeit. Die Frage ist natürlich jetzt, wie kommt man aus diesem Zustand wieder heraus. Die ukrainische Opposition, die hatte Sanktionen gefordert gegen das Regime, noch am Montag hier in Berlin gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die hat das abgelehnt. Ist das ein Fehler gewesen, der revidiert werden muss?
    Beck: Diese Sanktionsdebatte ist bei uns sehr unscharf geführt worden. Unter Sanktionen gibt es eine Riesenbandbreite. Eine Beschränkung des Landes, die die gesamte Bevölkerung zu spüren bekommt, davon sollte überhaupt nicht die Rede sein, denn wen will man in der Ukraine bestrafen dafür, dass diese Verhältnisse sich so zugespitzt haben. Vernünftig finde ich aber – das sollte eine Selbstverständlichkeit sein -, dass Menschen eines Regimes, das nicht demokratisch ist, die sich ganz offensichtlich durch Korruption in schamloser Weise bereichert haben und deren Vermögensflüsse und Wirtschaftstätigkeit in den Westen gehen, also zu uns, dass diesen Spuren nachgegangen wird und dass da gesagt wird, da greifen unsere Gesetze und das schneiden wir ab.
    Das gilt ganz offensichtlich – und das ist inzwischen doch sehr gut belegt – für den Clan der Familie Janukowitsch. Sein Sohn spielt da eine herausragende Rolle. Die Verbindungen, wo das Geld hingegangen ist, wo die Tochterfirmen gegründet worden sind, sind sogar zum Teil mit Namen benannt, ein Herr Pocksch in Österreich, dann sind die Banken und die Länder bekannt, in die dieses Geld gebracht wird. Es ist ja absurd, dass diejenigen, die jetzt das Volk unterdrücken und den Weg in Richtung EU unterbinden wollen, aber ihr eigenes persönliches Fortkommen, ihre Geschäftstätigkeit und ihren Reichtum im Westen sichern, weil sie darauf vertrauen können, dass dort Rechtsstaatlichkeit und Schutz von Eigentum herrscht.
    Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Frau Beck: Sie fordern klipp und klar, dass Konten gesperrt werden, Reiseverbote erteilt werden gegenüber Präsident Janukowitsch und seinem Lager?
    Beck: Dass in all diese Namen hineingeschaut wird. Dazu gehört Klujew, dazu gehören andere, die ihren Reichtum in den Westen gebracht haben. Dazu brauchen wir keine neuen Gesetze zu machen, dafür gelten unsere Gesetze schon jetzt, nämlich gegen Geldwäsche und anderes mehr.
    Heckmann: Vitali Klitschko fordert nicht nur derartige Sanktionen mittlerweile. Der ist jetzt schon einen Schritt weiter. Der fordert eine Intervention des Westens und spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die gerade begangen würden von Seiten von Präsident Janukowitsch. Ist das maßlos übertrieben?
    Beck: Auch da kann ich nur sagen, Sabine Adler, die eben noch einmal geschildert hat, wie das Wirken dieser Paramilitärs, der Tituschki – und für die hat die Macht die Verantwortung – inzwischen die Bevölkerung terrorisiert und den Tod, den Mord an Menschen zu verantworten hat, glaube ich, dass Klitschko mit seiner Formulierung nicht zu weit geht.
    Mir fehlt im Augenblick die Fantasie, was sich unter Intervention versteht. Wir denken dabei ja häufig ans Militär, und das ist sicherlich eine vollkommen absurde Vorstellung. Allerdings glaube ich auch – und Herr Gysi hat das ja eben genannt -, dass einer der Schlüssel natürlich mit in Moskau liegt, und es muss jetzt mit Moskau wirklich ernsthaft gesprochen werden, dass auch Moskau eine deutliche Verantwortung hat für diese Eskalation in der Ukraine und dass Moskau absolut gefordert ist, auf Janukowitsch, zu dem es ja offensichtlich Kontakt gibt – er war wieder in Sotschi -, einzuwirken, denn der Westen, wie wir hören, hat zu Janukowitsch keine Verbindung mehr.
    Heckmann: Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen war das über die Eskalation der Lage in der Ukraine. Frau Beck, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihre Einschätzungen.
    Beck: Bitte.
    Heckmann: Einen schönen Tag.
    Beck: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.