Medien in der Ukraine
Berichten in Kriegszeiten

Kritisch berichten, ohne Propaganda Vorschub zu leisten. Vor diesem Dilemma stehen ukrainische Medien zwei Jahre nach der russischen Großinvasion. Wie Medienschaffende in ihre neue Rolle im Krieg finden.

Elena Gorgis |
Die Homepage des ukrainischen Mediums "Hromadske" auf einem Handybildschirm vor blau-schwarzen und Camouflage-Hintergrund
Ukrainische Medien stehen vor dem Dilemma, kritisch über die eigene Regierung zu berichten und gleichzeitig russischer Propaganda keinen Vorschub zu leisten. (IMAGO / Pond5 Images / xMehaniqx)
Diana Butsko war gerade dabei, ihr Politikstudium in den USA zu beenden, als die russische Armee vor zwei Jahren in das gesamte Gebiet der Ukraine einmarschierte. Ganz bewusst ist sie damals in ihr Heimatland zurückgekehrt, um in Zeiten des Krieges Reporterin zu werden, erzählt sie: "Die Geschichte wird gerade in der Ukraine geschrieben. Es gibt diese amerikanische Redewendung, die sagt: Journalismus ist der erste Entwurf der Geschichte. Wenn Du also Journalistin bist, dann willst Du diese Geschichte schreiben. Auch wenn sie tragisch ist. Ich will hier bei meinen Leuten sein, in meinem Land."

"Die Wahrheit schadet niemals"

Zahlreiche Berichte über die Streitkräfte an der Front hat Butsko inzwischen für den Internet-Fernsehsender Hromadske gemacht. Zum Beispiel auch aus der Stadt Awdijiwka, aus der sich die ukrainische Armee am Wochenende unter russischem Druck zurückgezogen hat. Trotz der äußerst schwierigen Lage sei es wichtig, über Missstände zu berichten, sagt Butsko.
Über Korruption zum Beispiel, selbst wenn sie im Militär stattfindet, so Journalistin Butsko: "Ich denke, die Wahrheit schadet niemals, das ist meine Grundregel, seitdem ich als Journalistin arbeite. Ja, wir sind im Krieg, aber die Regel gilt immer noch. Also: Sei der Wahrheit verpflichtet!"

Furcht vor Propaganda darf einen nicht aufhalten

Furcht vor der russischen Propaganda, die kritische Berichte gerne aufgreift und verzerrt wiedergibt, dürfte einen nicht aufhalten. Darin seien sich die unabhängigen ukrainischen Medien einig, erklärt die Reporterin. Und auch nicht möglicher Druck der eigenen Regierung. "Irgendwann haben wir entschieden, dass wir weiter Journalismus machen sollten. Keine Propaganda, keine rührenden Geschichten. Wir sind zuallererst Reporter und ich glaube, diese Haltung eint uns", erklärt Diana Butsko.
Geeint sind ukrainische Medien in der Regel auch, wenn sie sich an ihre Zielgruppe im Ausland richten, erzählt die Journalistin Myroslawa Iaremkiv, die beim Ukraine Crisis Media Center arbeitet. Das ist eine NGO, die sich während des Euromaidan 2014 und als Antwort auf die russische Annexion der Krim gegründet hat, um russischer Propaganda entgegenzuwirken und die Souveränität der Ukraine zu verteidigen.

Keine Spaltung ukrainischer Medien

Solange Präsident Wolodymyr Zelenskyj nicht verkündet, klein beizugeben und die besetzten Territorien aufzugeben, gebe es in diesen Fragen auch keine Spaltung unter ukrainischen Medienschaffenden, ist sich Myroslawa Iaremkiv sicher: "Wenn wir uns an das Publikum im Ausland richten, versuchen wir interne Debatten nicht nach außen zu tragen. Für die Botschaft nach außen sind wir vereint. Wir haben die Strategie mit einer Stimme zu sprechen, wenn es um die wichtigen nationalen Interessen geht."
In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Mediennutzung der Ukrainer stark gewandelt. Viele nutzen heute den Messenger Telegram, über den in verschiedenen Kanälen Informationen verbreitet werden, etwa über Luftalarm. Es können aber auch Desinformationen dabei sein. Weil die Telegram-Kanäle schneller sind als klassische Medien, können sie lebensrettend sein. Oft ist aber unklar, wer dahintersteckt und wie hoch der Wahrheitsgehalt ist. Nur noch ein Drittel aller Ukrainer schalten inzwischen den Fernseher ein.

Ukrainische Rekrutierung bedroht Medienarbeit

Anna Babinets ist die Chefredakteurin von Slidstvo.info, einem unabhängigen Medienunternehmen mit Fokus auf investigativen Geschichten. Ihr bereitet nach zehn Jahren Krieg vor allem Sorgen, dass die ukrainische Regierung mit der willkürlichen Rekrutierung ein machtvolles Instrument gegen unliebsame Journalisten in der Hand habe.
"Nach Gesetzeslage kann jeder männliche Ukrainer eingezogen werden. Slidstvo.info hatte 15 Teammitglieder, und vier davon mussten zur Armee. Zwei bekannte Journalisten und zwei Kameramänner. Und das stellt uns vor große Probleme. Und jetzt frage ich mich immer, wenn ich nach neuen Mitarbeitern suche, ob sie dasselbe Schicksal ereilen könnte", befürchtet Chefredakteurin Babinets. Sie habe keine Beweise, dass die Regierung gezielt vorgehe, aber für ihr kleines Team sei die Einberufung der Kollegen ein schmerzlicher Verlust gewesen, so Anna Babinets.

Krieg als Dauerzustand

Von Zensur will sie aber nicht sprechen. Sie könne sich nicht erinnern, irgendeine brisante Enthüllung aus Angst nicht veröffentlicht zu haben. Für Danylo Mokryk von der Online-Zeitung Kyiv Independent, die sich an englischsprachige Leserinnen und Leser weltweit richtet, bleibt es die größte Herausforderung, den Menschen außerhalb der Ukraine klarzumachen, was es heißt, mit den andauernden russischen Kriegsverbrechen zu leben. Ihn beschleicht manchmal das Gefühl, die internationale Öffentlichkeit habe nach den russischen Kriegsverbrechen in Butscha und Izjum einfach weitergeschaltet. Wie bei einer Netflixshow kritisiert Mokryk: "Für uns ist es die Realität, in der wir leben. Wir können es uns nicht leisten, das Interesse zu verlieren. Manchmal fühlen wir die Erschöpfung, manchmal sind wir müde, aber wir müssen weitermachen."