Donnerstag, 25. April 2024

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Journalisten-Zentrum und TOR-Project
Initiativen für Pressefreiheit im Ukraine-Krieg

Für ausländische Journalisten wird es immer gefährlicher, aus dem Kriegsland zu berichten. Und für unabhängige Medien immer schwieriger, ihre Inhalte zu verbreiten. Westliche Hilfsorganisationen rufen deshalb zu Hilfe auf – oder entwickeln bereits konkrete Projekte.

Von Michael Borgers | 07.03.2022
Zwei Journalisten stehen im ukrainischen Wassylkiw (bei Kiew) vor einem zerstörten Gebäude - eine Agenturaufnahme
Zwei Journalisten stehen im ukrainischen Wassylkiw (bei Kiew) vor einem zerstörten Gebäude. (imago images/Ukrinform)
Was man in den vergangenen anderthalb Wochen erlebt habe, berühre den eigenen Kernauftrag, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Abteilung von Reporter ohne Grenzen. Gerade erst hat die Organisation im westukrainischen Lwiw ein „Zentrum für Pressefreiheit“ eröffnet. „Das ist vor allen Dingen der Versuch, schnell zu koordinieren und vor allen Dingen vor Ort, damit am Ende gut Hilfe dort ankommt, wo sie ankommen soll.“
Konkrete Hilfe wie Schutzausrüstung, die verliehen wird, schusssichere Westen und Helme etwa. Außerdem ist das Zentrum auch als Anlaufstelle für Journalistinnen und Reporter gedacht, die finanzielle oder psychologische Unterstützung suchen. Es gehe darum, so effizient wie möglich zu helfen, so Mihr. Was aktuell aber auch bedeute, den Blick verstärkt auf Russland zu richten, seitdem die Regierung in Moskau die Berichterstattung über ihren Krieg mit einem Gesetz weiter zensiert habe.  

„Collateral Freedom“ für Webseiten in Russland

„Im Prinzip ist in Russland seit Freitag über das Wochenende eigentlich ja eine Angst und Panikstimmung. So, dass wir dort gerade mit sehr, sehr vielen Medien, mit vielen Journalisten und Journalistinnen im Kontakt sind, die das Land verlassen müssen, weil sie über das Wochenende Drohungen bekommen haben, Razzien bekommen haben, von Haus zu Haus gehen, wenn sie für ein unabhängiges Medium gearbeitet haben, was mittlerweile zensiert oder verboten ist.“

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Damit die Menschen in Russland sich dennoch weiterhin unabhängig informieren können, arbeitet Reporter ohne Grenzen außerdem an „Collateral Freedom“, einem seit 2015 bestehenden IT-Projekt, das helfen soll, die Sperrung von Webseiten durch Behörden zu umgehen. „Und da versuchen wir jetzt, die, die nicht schon komplett verboten sind, zugänglich zu machen wieder, indem wir die in Clouds legen, im Prinzip gespiegelte Webseiten. Und das ist eine ständig automatisierte, aktualisierte Webseite mit einem etwas anderen Pfad.“

Chaos Computer Club setzt auf „TOR-Project“

Auch der Chaos Computer Club versucht zurzeit, in Russland den Zugang zu unabhängiger Berichterstattung zu ermöglichen. Der Verein setzt dabei ebenfalls auf einen bereits erprobten Weg. „Im Wesentlichen ist das bei uns die Infrastruktur über das sogenannte TOR-Project“, erklärt Constanze Kurz, Sprecherin des deutschen Chaos Computer Club. Beim TOR-Project würden Menschen in demokratischen Ländern wie Deutschland ihre technische Infrastruktur zur Verfügung stellen, damit woanders Menschen auf diese zugreifen könnten. Und helfen könnten dabei eigentlich alle hierzulande mit Computer:
„Man kann sich sozusagen durch nen kleinen Klick, so ein kleines Add-on, nen Browser installieren. Für das TOR-Project heißt das Snowflake.“ Eine Schneeflocke also, die allerdings einen Haken habe, so Constanze Kurz, oder genauer: einen schlechten Ruf. „Weil es mit dem Begriff Dark Net oft beschrieben wird. Aber heute sieht man deutlich, dass dieses Darknet Zugang zu Informationen bedeuten kann für diejenigen, die es nutzen können. Und gerade die Menschen in den demokratischen Ländern, die keine Angst vor Zensur haben brauchen, die können natürlich mithelfen, diese Infrastruktur, diese anonymisierte Infrastruktur aufrecht zu halten. Und daran arbeiten in den letzten Tagen verstärkt, also Leute aufzuklären darüber, wie sie helfen können, wenn sie technisch helfen wollen.“
Das TOR-Project sei auch deshalb so wichtig, weil in diesen Tagen andere Zugänge nicht mehr möglich seien, etwa der via VPN, ein anderer Weg, Netzwerke herzustellen.

Journalisten helfen Journalisten – auch belarussischen

Vom Versuch, Informationen digital zu verbreiten, wieder zu denen, die diese Informationen liefern: Journalisten wie Egon Scotland. Der Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ wurde vor mehr als 30 Jahren getötet, als er vom Krieg in Kroatien berichten wollte. Für einige Kollegen in Deutschland war das der Anlass, „Journalisten helfen Journalisten“ zu gründen. Für Carl-Wilhelm Macke, den Geschäftsführer des Vereins, ist diese Vergangenheit gerade wieder sehr gegenwärtig. „Wir haben sofort dran gedacht, was das auch bedeutet für diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in der Ukraine leben, arbeiten und bleiben.“

Mehr zur Berichterstattung über den Ukraine-Krieg:


Mit „Journalisten helfen Journalisten“ unterstütze man schon lange belarussische Kollegen, so Macke. „Die sind geflohen vor dem Lukaschenko-Regime, vor dem Krieg in die Ukraine, nach Kiew vornehmlich, und jetzt müssen sie wieder fliehen, Richtung Westen.“ Weiter nach Polen. Ihnen versuche man nun zu helfen mit den Spenden, die sein Verein sammle. Aber auch Macke erinnert an die putinkritischen Journalistinnen und Journalisten in Russland.
„Das war wichtig für uns, dass wir auch unsere erste Spende, unsere erste Aktion, dem Nowaja Gaseta, also der Redaktion gewidmet haben, die ganz besonders putinkritisch gearbeitet hat oder nach wie vor arbeitet. Das war uns wichtig, weil wir in dem Krieg vor 30 Jahren versucht haben, auch immer Kontakt zu haben mit allen Journalistinnen und Journalisten aus den beteiligten Ländern und Regionen, also Serben, Kroaten, Muslime, Christen und so weiter.“ Im Mittelpunkt der Hilfe habe immer der professionelle Journalismus gestanden – und nicht die Nationalität.