Samstag, 04. Mai 2024

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Lahav Shani mit Beethoven
Youngster und alter Hase

Er ist gerade mal Anfang 30, doch Lahav Shani kann bereits zwei Chefdirigentenpositionen für sich reklamieren: beim Israel Philharmonic Orchestra und bei den Philharmonikern aus Rotterdam. Mit seinem niederländischen Orchester hat er Beethoven eingespielt und zeigt sich dabei als Dirigent und Pianist.

Am Mikrofon: Raoul Mörchen | 25.12.2020
    Der Dirigent ist in sein Klavierspiel vertieft.
    Lahav Shani spielt neben Klavier auch Kontrabass (Lahav Shani / Marco Borggreve)
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur, op. 92
    Einen Dirigenten am Klang zu erkennen, ist eine schwierige, oft unlösbare Aufgabe. Aber eines würde man doch vermuten, hört man, wie die Rotterdamer Philharmoniker Beethovens Siebte angehen: dass da vorn am Pult ein alter Hase steht. Schon nach ein paar Takten hat man das Gefühl: hier ist sich jemand unglaublich sicher in dem, was er - oder vielleicht ja auch sie? - tut und noch vorhat. Wie sonst würde man riskieren, ein Werk, das für seine vitale Energie berühmt wurde, eine Sinfonie, die Wagner einmal "Die Apotheose des Tanzes" genannt hat, weil sie nicht so sehr aus Harmonik und Melodie, sondern ganz aus der Bewegung heraus zu existieren scheint, wie sonst also könnte man so ein Stück in derartig stoischer Ruhe eröffnen und dem "Poco sostenuto" der Einleitung eine so festliche, majestätische Würde verleihen, wenn man nicht ganz genau wüßte, wie man diese feierliche Stimmung drehen kann. Oder besser: wie man sie logisch vermitteln kann als Kern, aus dem sich eine beinahe rauschhafte, vorwärtsstürmende Musik entwickeln wird.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur, op. 92
    Die Erleichterung in Israel war groß, als mit Lahav Shani in diesem Herbst endlich ein neuer Chef seinen Dienst angetreten hat beim Israel Philharmonic Orchestra. Und zwar nicht irgendeiner, sondern zum ersten Mal einer aus den eigenen Reihen sozusagen, ein Israeli, geboren 1989 in Tel Aviv. Über Jahrzehnte hat das israelische Musikleben vor allem von den Früchten der Diaspora gelebt. Erst von den vielen vor den Nazis geflohenen Künstlern aus Europa. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen viele prägende Musikerpersönlichkeiten aus den USA wie Leonard Bernstein, der vierzig Jahre lang regelmäßig am Pult der in Tel Aviv ansässigen Philharmoniker gestanden hat, in den letzten Jahrzehnten dann verstärkt auch Talente aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Der eigene Nachwuchs wie die in Tel Aviv geborenen Geiger Itzhak Perlman und Pinchas Zukerman oder der Dirigent Eliahu Inbal suchte sein Glück meist im Ausland. Und viele wichtige Positionen gab es daheim auch gar nicht zu vergeben, schon gar nicht beim Israel Philharmonic Orchestra. Dessen musikalische Leitung lag beinahe ein halbes Jahrhundert fest in den Händen des Inders Zubin Mehta, bis mit Lahav Shani endlich ein Nachfolger gefunden war.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur, op. 58
    Pianistisch sauber, aber wenig Spannung
    Auch in Rotterdam hat man sich die Wahl eines neuen Chefdirigenten sicher nicht leichtgemacht, wollte man den so konsequent erarbeiten Ruf als eines der führenden Orchester Europas nicht aufs Spiel setzen. Lahav Shanis Vorgänger in den Niederlanden tragen vergleichbar große Namen wie sein Vorgänger in Israel: 13 Jahre, bis 2008, hat Valery Gergiev die Philharmoniker geleitet, danach für ein Jahrzehnt Yannick Nézet-Séguin. Galt Nézet-Séguin damals schon als Wunderkind und Youngster, hat Shani die Bestmarke beim Amtsantritt 2018 noch einmal unterboten: mit 29, als nunmehr jüngster Chefdirigent in der hundertjährigen Geschichte des Ensembles. Dieser Chefdirigent ist übrigens auch ein gestandener Mann am Klavier; hat erst im vergangenen Jahr mit Renaud Capuçon und Kian Soltani Klaviertrios von Tschaikowsky und Dvorak eingespielt. Und er sitzt nun, bei seinem Rotterdamer CD-Debut, ebenfalls am Flügel bei Beethovens Klavierkonzert Nr. 4
    Musik: Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur, op. 58
    Wer die neue Platte chronologisch durchhört, von Track 1 bis 7, begegnet damit erst einmal einem Musiker, der zwei Sachen gut zu können scheint, nämlich Klavier spielen und ein Orchester dirigieren, aber keine der beiden wirklich herausragend. Das ist ein bißchen schade, dass es so losgeht, aber für Pianisten ist die Luft längst richtig dünn geworden, und einfach einen zugegeben schweren Notentext fehlerfrei und auch einigermaßen elegant durchzuspielen, ist eine Kunst, die nicht mehr viel zählt. Da muss man mehr bieten. Doch das tut Shani hier nicht: man erkennt keine Handschrift, keinen eigenen Zugriff, keine eigenen Ideen. Dieses formal vielleicht aufregendste Klavierkonzert Beethovens klingt fast ein wenig langweilig, so spannungsarm ist es ausformuliert.
    Samtiger Orchesterklang mit klaren Konturen
    Doch dann sind da eben noch vier weitere Tracks auf der CD mit der Sinfonie Nr. 7, und da stellt man gleich die Ohren weit auf: so einen warmen, weichen und runden Orchestersound hört man heute wirklich nur noch selten – und nie, wenn Kollegen aus der Generation von Shani am Pult stehen. Die mögen es in der Regel schneller, härter und rauher. Selbst wenn man alte Aufnahmen etwa von Karajan aus den 1960er Jahren dagegen hält, klingen die längst nicht so satt und samtig wie die Rotterdamer unter Lahav Shani. Und doch hat das Ganze sehr klare Konturen, wirkt ungeheuer konzentriert, die Räume sind deutlich und sehr tief gestaffelt und dynamisch weit aufgespannt.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur, op. 92
    Wer Lahav Shani einmal live erlebt hat, berichtet beeindruckt, wie zielsicher und bestimmt der junge Dirigent seine Musiker durch die Partituren führt. Die Bewegungen sind ökonomisch und verständlich, keine Show, nur Effekt. Und dieser Effekt ist ganz erstaunlich. Hier entsteht Bewegung und Energie aus einer großen inneren Ruhe heraus und mit einem fantastischen Gespür für Entwicklung und für die Klangreserven eines großen Ensembles. Erste Stimmen warnen zwar bereits, Shani solle sich vor Schönklang-Routine hüten, wie sie seinem Mentor Daniel Barenboim immer wieder vorgehalten wird. Doch noch ist es dafür zu früh, noch steckt in diesem Sound, in diesem Dirigenten, zu viel Potential. Auf dessen volle Entwicklung sollte man hoffen und warten, und sich einstweilen freuen über das, was schon da ist. Es ist jede Menge.
    Ludwig van Beethoven:
    Klavierkonzert Nr. 4 / Sinfonie Nr. 7 A-Dur
    Lahav Shani (Klavier & Leitung)
    Rotterdam Philharmonic Orchestra
    Warner Classics - EAN: 190295177683