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Lambsdorff (FDP)
"Alle erwarten mehr von uns" in der Sicherheitspolitik

Gemeinsam mit Frankreich müsse diskutiert werden, wie sich Europa in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik positionieren wolle, sagte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff im Dlf. Die deutsche Regierung gehe hier auf Emmanuel Macrons Mahnungen seit zweieinhalb Jahren nicht ein, kritisierte er.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.02.2020
Alexander Graf Lambsdorff, FDP
Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff kritisiert im Dlf die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik (dpa / Fabian Sommer)
Deutschland müsse zudem seine Verpflichtungen in der NATO zur Finanzierung der Bundeswehr erfüllen und eine viel aktivere Rolle gegenüber Afrika einnehmen. Alexander Graf Lambsdorff sprach im Dlf darüber, was für ihn in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik falsch laufe - und welche Gestaltungsideen er für erfolgsversprechend hält.
Alexander Graf Lambsdorff war lange Zeit für die FDP im Europäischen Parlament vertreten und ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort ist er in seiner Fraktion stellvertretender Vorsitzender mit der Zuständigkeit für Außenpolitik.

Jasper Barenberg: Ein Zitat: "Andere geben den Takt vor, sortieren die Welt neu und bestimmen auch über Deutschland und Europas Zukunft, während Deutschland passiv am Spielfeldrand steht ohne Antwort auf die drängenden Herausforderungen." So wird Alexander Graf Lambsdorff zitiert, der FDP-Fraktionsvize. Wie kommen Sie zu diesem harschen Urteil?
Alexander Graf Lambsdorff: Wir haben seit 2014 einen sogenannten Münchener Konsens erwartet. Damals haben ja Bundespräsident Gauck, der damalige Außenminister Steinmeier und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, alle drei, gesagt, dass infolge der Annexion der Krim Europa, aber insbesondere Deutschland, mehr Verantwortung übernehmen müssen. Das wurde dann oft missverstanden, dass mehr Verantwortung gleichzusetzen sei mit mehr Soldaten. Darum ging es gar nicht. Aber was stattdessen passiert ist, ist, dass dieser Münchener Konsens, der zum Beispiel die Finanzierung der NATO betrifft, der zum Beispiel eine bessere Ausstattung der deutschen Diplomatie betrifft, all diese Dinge über die vergangenen Jahre erodiert sind und im Grunde von diesem Konsens nichts mehr übrig ist, seitdem insbesondere die SPD auf dem Weg in die Opposition ist und sich in Richtung Rot-Rot-Grün orientiert. Das finde ich ausgesprochen bedauerlich, denn die anderen warten auf uns. Bundespräsident Steinmeier hat es gestern in seiner Rede auch markiert: Deutschland muss einfach mehr tun, alle erwarten mehr von uns.
"Wir sind ja keine Fundamentalopposition"
Barenberg: Nun ist es Außenminister Heiko Maas gewesen, dem es ja auch vor Kurzem gelungen ist, alle Kriegsparteien in Libyen in Berlin an einen Tisch zu bekommen, ein viel gelobter diplomatischer Erfolg. Was anderes ist das als ein Beispiel guter deutscher Außenpolitik?
Lambsdorff: Das haben wir auch gelobt als Freie Demokraten, wir sind ja keine Fundamentalopposition, die grundsätzlich alles schlechtredet, was die Regierung tut, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, dass die Themen, um die es da ging, ein Waffenstillstand, ein Waffenembargo und ein politischer Prozess ganz am Anfang stehen. Die Initiative war richtig und sinnvoll. Da hat die Bundeskanzlerin sicher auch mitgewirkt, aber die Erfolge, die werden wir erst mal abzuwarten haben. Ich glaube, das Entscheidende ist – und das ist der Punkt, warum ich da auch so kritisch gegenüber der Bundesregierung eingestellt bin –, ist, dass man auf das, was Emmanuel Macron, der französische Präsident, seit zweieinhalb Jahren anmahnt, einfach gar nicht eingeht, nämlich einmal eine gemeinsame Diskussion darüber, wie in diesem 21. Jahrhundert, das absehbar von den USA und China dominiert werden wird, Europa sich positionieren möchte und wie Deutschland sich da einbringen will.
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Barenberg: Und was wäre das?
Lambsdorff: Ich glaube zum Beispiel, dass es richtig wäre, mit den Franzosen darüber zu reden, wie es weitergeht in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es ist ganz klar, dass wir in der NATO unsere Verpflichtungen erfüllen müssen, was die Finanzierung der Bundeswehr angeht. Es ist eine viel aktivere Rolle gegenüber Afrika, und es ist vor allem die Umsetzung eines politischen Konzepts, das in der Bundesregierung immer im Munde geführt wird, aber nicht umgesetzt wird, nämlich des sogenannten vernetzten Ansatzes. Was heißt das? Das heißt, dass wir Ministerien haben in Berlin, die alle nebeneinanderher wurschteln, die aber nicht miteinander reden, wenn es darum geht, gemeinsame Länderstrategien zu entwickeln, gemeinsame Regionalstrategien zu entwickeln. Wir haben 15 Ministerien in Berlin, die Entwicklungshilfe machen. Das ist unmöglich. Wir haben drei Ministerien, die große Aktionspläne für Afrika haben. Auch das ist unmöglich. Wir brauchen eine Außenpolitik aus einem Guss, und da versagt diese Bundesregierung.
In Syrien "spielt Deutschland überhaupt keine Rolle"
Barenberg: Aber ich will noch mal auf das Beispiel Libyen zu sprechen kommen, weil da scheint mir so etwas wie ein vernetzter Ansatz ja erkennbar. Also die Einbeziehung des UN-Sicherheitsrates dort, da gibt es eine Unterstützung für den Vorstoß aus Berlin. Es gibt am Sonntag eine erste Folgekonferenz in München, wo man über die Überwachung auch des Waffenembargos sprechen will am Montag. Dazu beraten die europäischen Außenminister. Also das ist doch genau das, was Sie eigentlich erwarten, einen vernetzten Ansatz, der politische und andere Schritte kombiniert.
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Bundesaußenminister: Maas hofft auf bessere Kontrolle des Waffenembargos in Libyen
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Lambsdorff: Ja, und Libyen ist auch die Ausnahme hier, was den Versuch angeht, etwas zu erreichen. Ich habe es ja eben gesagt, das loben wir und unterstützen wir auch. Aber schauen Sie auf Syrien, da spielt Deutschland überhaupt keine Rolle, und schauen Sie auf den Kampf gegen den Islamischen Staat, der ja nach wie vor nicht besiegt ist. Da will die Große Koalition Ende März die wirklich ausgesprochen sinnvolle, von den Verbündeten, aber auch von den dort vor Ort eingesetzten Soldaten besonders auch gelobte, sinnvolle Mission beenden, wo unsere Tornados Aufklärungsflüge machen und Informationen sammeln zur Bekämpfung des IS. Das heißt, Libyen ist wirklich die Ausnahme, die die Regel bestätigt, und die Regel ist leider, dass deutsche Außenpolitik nicht so stattfindet, wie sie stattfinden sollte.
"Es ist wichtig, die Diplomatie zu stärken"
Barenberg: Dann lassen Sie uns ein anderes Stichwort aufgreifen, das Sie auch genannt haben: Afrika. Die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gibt erkennbar zu verstehen, dass sie sich ein stärkeres Engagement vorstellen kann. Heißt das, konkret gesprochen und hart gesprochen, nicht am Ende dann doch, dass Deutschland auch bereit sein muss, Kampftruppen dorthin zu schicken? Wären Sie dafür?
Lambsdorff: Ich glaube, dass das eine Frage ist, die Frau Kramp-Karrenbauer in der Koalition klären muss. Es kann sein, dass das im Einzelfall erforderlich ist. Das hängt, je nachdem, von den Entwicklungen in den einzelnen Ländern ab. Eines ist wichtig – und das ist für die Hörerinnen und Hörer, glaube ich, auch zentral –, die Staatlichkeit in der Sahelzone ist etwas, woran Deutschland und Europa Interesse haben, denn sonst verwandelt sich diese Region in der Nähe von Europa in ein Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen, die von dort aus Europa, uns, auch unsere Städte angreifen. Insofern, dass wir da aktiv Politik machen, ist richtig, aber der Fokus direkt wieder auf Soldaten – auch in Ihrer Frage, Herr Barenberg –, das greift ja zu kurz. Wir müssen dort wirklich gemeinsam mit den Franzosen überlegen, wie geht das, kann das Kampftruppen beinhalten, unter Umständen ja. Ist es wichtig, dass wir dort mit entwicklungspolitischen Instrumenten arbeiten, ja, das ist noch viel wichtiger. Ist es auch wichtig, dass wir die Afrikanische Union beispielsweise einbeziehen als Europäer, die dort diesen Regierungen beispielsweise in Burkina Faso hilft, das Land vor dem Abgleiten ins Chaos zu bewahren, auch das, ja. Denn wenn Diplomaten erfolgreich sind, dann müssen wir Soldaten gar nicht erst schicken. Deswegen sagen wir als Freie Demokraten eben, es ist so wichtig, die Diplomatie zu stärken.
"Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für internationale Politik"
Barenberg: Es ist nur am Ende oft – ist jedenfalls mein Eindruck – der Lackmustest für all diese Überlegungen. Sie haben selbst die Finanzierung der Bundeswehr, der NATO angesprochen. Hat also Wolfgang Ischinger, der Chef der Sicherheitskonferenz, recht, wenn er sagt, schlagkräftige Diplomatie braucht am Ende auch entsprechende militärische Mittel als ein Instrument im größeren Instrumentenkasten, in dem auch noch andere Instrumente sind.
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Lambsdorff: Ganz genau, und das ist ja genau der Ansatz, wenn man Außenpolitik machen will, die alle Instrumente beinhaltet, zum Beispiel gute Nachrichtendienste, eine starke Diplomatie, eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit. Dann ist natürlich das militärische Instrument eines, das auch dazugehört. Das hat Bundespräsident Steinmeier hier übrigens gestern in München auch sehr deutlich markiert, dass das genau so ist. Ischinger hat ja mehrfach auch gesagt, wir sollten uns lösen im Grunde von einer engen Betrachtung bei der Finanzierung der Außenpolitik vom Militärischen und hat vorgeschlagen, dass man drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für internationale Politik ausgibt, also über die zwei Prozent für die Bundeswehr hinaus, auch die Entwicklungszusammenarbeit und die Diplomatie mit in den Blick nimmt, damit wir unsere internationale Verantwortung besser gerecht werden können.
Barenberg: Das heißt auch, die FDP ist dafür, mehr Geld für die Sicherheitspolitik auszugeben.
Lambsdorff: Genau, wir haben dieses Drei-Prozent-Ziel, das Ischinger entwickelt hat, sogar in unser Wahlprogramm übernommen, weil – noch mal –, wenn Diplomaten erfolgreich sind, der Einsatz von Soldaten gar nicht erst nötig ist. Wenn aber der Einsatz von Soldaten von vornherein unmöglich ist, dann schwächt das auch unsere Diplomatie. Insofern sind wir da sehr stark für diesen vernetzten Ansatz, wie er hier in München mal entwickelt worden ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.