Jürgen Liminski: Ein Mozart-Interpret an der Macht. Schmidt nahm dieses Stück auf, als er noch Bundeskanzler war. An der Macht hing Schmidt nicht. Im selben Jahr wurde er durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt, und dazu sagte er vor kurzem in einem Interview – ich zitiere: "Als ich die so genannte Macht abzugeben hatte, im Herbst des Jahres 1982, war ich erleichtert." Zu dieser Erleichterung hat ein Mann einen entscheidenden Beitrag geleistet: der damalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen!
Otto Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Graf Lambsdorff, waren Sie auch erleichtert nach dem Wechsel?
Graf Lambsdorff: Ich war erleichtert, aber ich bin ein bisschen im Zweifel, ob nicht die Erleichterung bei Helmut Schmidt aus der Rückschau eingetreten ist. Damals hatte ich nicht den Eindruck, dass er erleichtert war; damals hatte ich den Eindruck, dass er auch reichlich wütend war. Ich erinnere daran, dass er dann in den Wahlkampf in Hessen zog und empfahl, die FDP wegzuharken. Mit der Erleichterung, mit Abstand sieht das dann so aus.
Was mich damals anlangt: Ich kann nicht sagen, es war Erleichterung, aber ich habe gedacht, wir tun das Notwendige, ich tue das Notwendige, wir brauchen einen neuen, vernünftigen Stab in der Wirtschaftspolitik. Das ging mit den Sozialdemokraten nicht mehr – nicht mit Helmut Schmidt, aber mit den Sozialdemokraten nicht mehr. Deswegen war die Wende nötig.
Liminski: Wie hat sich denn Ihr persönliches Verhältnis zu Schmidt dann entwickelt?
Graf Lambsdorff: Am Anfang war es natürlich etwas gespannt. Heute begegnen wir uns völlig spannungslos, völlig entspannt, freundlich, sachlich und sehen uns hin und wieder. Und ich weiß ja inzwischen auch, Herr Liminski, dass Helmut Schmidt von den wirtschaftspolitischen Positionen, die ich damals in meinem Papier ihm übergeben habe, nicht so weit weg war wie der große Teil seiner Partei. Das würde er vielleicht bestreiten, das weiß ich nicht, aber so war's und so ist es.
Liminski: Von der sozial-liberalen Zeit damals schwärmen noch heute manche Politiker. In seiner Regierungserklärung 1974 sagte Schmidt:
O-Ton Helmut Schmidt: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Wechsel im Amt ändert nichts an der fortgeltenden Richtigkeit und Notwendigkeit sozial-liberaler Politik in unserem Lande. Diese Leitlinie werden wir konsequent weiterhin verfolgen.
Liminski: Herr Lambsdorff, wird Ihnen da wehmütig, wenn Sie die schneidigen Töne hören? Oder anders gefragt: Die Richtigkeit sozial-liberaler Politik, ist das nur eine Frage des politischen Moments?
Graf Lambsdorff: Ich habe sozial-liberal niemals gewissermaßen überhöht gesehen. Ich habe sozial-liberal immer als eine Koalitionsform gesehen. Ich habe diese Koalition bejaht. Ich bin ja 1972 in den Bundestag gewählt worden, als es diese Koalition gab. Dann bin ich Minister gewesen in dieser Koalition. Und ich habe das, was diese Koalition politisch wollte, für richtig gehalten – insbesondere natürlich auf dem Gebiet der Ostpolitik, aber auch bis zur Wende auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und ganz gewiss, jedenfalls was den Kanzler anlangte, auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, Stichwort "NATO-Doppelbeschluss".
Liminski: Was war denn die aufregendste Zeit mit diesem Kanzler?
Graf Lambsdorff: Vielleicht war die aufregendste Zeit, Herr Liminski, der Anfang. Als ich Minister wurde, landete ich sofort in den Krisenstäben. Hans-Dietrich Genscher war in der Welt unterwegs, Schleyer war entführt, die "Landshut" war entführt und ich habe mein Ministerium in den ersten 14 Tagen von innen kaum gesehen, weil wir ständig in den Krisenstäben tagten und uns mit dieser Sicherheitslage zu beschäftigen hatten.
Liminski: Auch in diese Zeit – Sie haben eben das Stichwort genannt: die Wirtschaftskrise – fällt eine globale Krise, und was Schmidt damals dazu sagte, kann eigentlich noch heute gelten. Es lohnt deshalb, auch diesen Originalton noch zu hören.
O-Ton Helmut Schmidt: In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes bei Seite.
Liminski: Das, was jetzt notwendig ist, würden Sie das der Regierung heute auch auf den Weg geben, oder gibt es aus Ihrer Sicht spezifische Maßnahmen, die man heute ergreifen müsste?
Graf Lambsdorff: Herr Liminski, das ist zu allgemein. Es ist ja alles völlig richtig, was Helmut Schmidt damals gesagt hat, und passt auch auf die heutige Situation. Aber mit diesen allgemeinen Formulierungen, die ich nicht deswegen beanstande, kann natürlich in der Praxis niemand etwas anfangen oder nicht recht mit anfangen. Wenn ich höre, was an einzelnen Vorschlägen gemacht wird – denken Sie mal zum Beispiel bitte daran, dass der Kandidat der Sozialdemokraten in Hessen eine Zwangsanleihe für vermögende Leute vorschlägt, eine Zwangsanleihe für den Bund, der Bund soll Geld bekommen; der braucht gar kein Geld, der kriegt sein Geld überall ohne jede Schwierigkeit an allen Kapitalmärkten -, dieser Unsinn, der da überall verbreitet wird, mit dem Helmut Schmidt mit Sicherheit nichts im Sinne hätte, mit diesem Unsinn kann man keine Politik machen.
Liminski: Die Zwangsanleihe, woran erinnert Sie das, um mal diese Parenthese gerade noch etwas offen zu lassen?
Graf Lambsdorff: Die Zwangsanleihe ist früher schon mal diskutiert worden, aber da waren es noch Zeiten, als es für einen Bundesfinanzminister nicht ganz einfach war, an den Kapitalmärkten der Welt Geld für sich zu beschaffen, obwohl die Bundesrepublik Deutschland immer als erstklassiger Schuldner angesehen wurde und auch heute noch in all den Schwierigkeiten ein erstklassiger Schuldner ist. Also da hat es schon mal solche Diskussionen gegeben, aber das, was hier vorgeschlagen wird, das hat nur mit Klassenkampf etwas zu tun, aber nichts mit vernünftiger Wirtschaftspolitik.
Liminski: An Schmidt besticht die schnörkellose Rhetorik. Auch Ihre, Graf Lambsdorff, direkte und nahezu preußische Sprache ist berühmt, um nicht zu sagen gefürchtet. Haben Sie den Eindruck, dass es heute an rhetorisch markanten Persönlichkeiten in der Politik fehlt? - Sie brauchen jetzt keine Namen nennen.
Graf Lambsdorff: Wenn Sie sich die Bundestagsdebatten ansehen, dann kann ich nur das wiederholen, was ich früher schon gesagt habe. Der Stil der parlamentarischen Auseinandersetzung ist abgeflacht gegenüber damals und die großen Debatten, sprich auch die großen Redner aus der damaligen Zeit, die fehlen. Das kann ich leider nicht anders sehen und nicht anders sagen. Es gibt Ausnahmen davon, erfreuliche Ausnahmen, aber zu wenige.
Liminski: Können Sie vielleicht ein paar nennen?
Graf Lambsdorff: Nein. Ich will keine Namen nennen. Was soll das? Das bringt nichts ein. Ist auch nicht meine Aufgabe. Ich bin nicht der Oberzensor des Bundestages und der rednerischen Künste, die da geboten werden.
Liminski: Schmidt war kein Parteisoldat. In dem vorhin genannten Interview kritisiert er sogar die Parteien. Sie hätten heute zu viel Einfluss. Seiner Meinung nach sollten nicht die Parteizentralen, sondern das Parlament und die Fraktionsvorsitzenden eine größere Rolle spielen. Stimmt das so? Ist das der Demokratie abträglich?
Graf Lambsdorff: Ich bin mit der Anfangsäußerung, die Sie von Helmut Schmidt zitiert haben, nicht einverstanden, aber ich bin sehr einverstanden damit, dass das Parlament stärker ins Blickfeld rücken sollte, damit auch die Fraktionsvorsitzenden. Ich finde, dass das Parlament an Einfluss verloren hat. Vielleicht hat das auch mit dem Stil und der Intensität der Debatten zu tun, über den wir gerade eben gesprochen haben. Und ich finde, dass wir auch darüber nachdenken müssen, ob unser Wahlrecht nicht Möglichkeiten erlaubt, für den Wähler erlaubt, stärkeren Einfluss auf die Zusammensetzung der Parteien und der Fraktionen zu nehmen – denken Sie an bayerisches Landtagswahlrecht. Ich glaube, so etwas könnte man auch im Bundestag gebrauchen.
Liminski: Halten Sie das für dringlich?
Graf Lambsdorff: Ja. Ich halte das für dringlich, weil ich das Gefühl habe, dass die Menschen diesen Betrieb in Berlin immer fremder finden, immer weiter entfernt finden, und dass sie den Eindruck haben, sie selber seien nicht gefragt und hätten nichts dazuzutun.
Liminski: Schmidt stellt fest, es fehle an Verantwortungsbewusstsein und das gefährde auch die öffentliche Moral. Brauchen wir wieder eine Rückkehr zu den Tugenden, auch solchen, die andere abschätzig als sekundär betrachten?
Graf Lambsdorff: Ich möchte diese Debatte nicht aufnehmen, Herr Liminski. Was da gesagt worden ist über Sekundärtugenden und vor allen Dingen, welche Linie dann klar und deutlich gezogen worden ist zur Bewachung von Konzentrationslagern, das fand ich so unerhört, dass ich mit demjenigen, der dies so formuliert hat, nichts mehr zu tun haben will. Ich gehe auch in keine Podiumsdiskussion, keine Talkshow mit Oskar Lafontaine.
Liminski: Aber zur Frage zurück: Fehlt es an Verantwortungsbewusstsein?
Graf Lambsdorff: Das, finde ich, geht zu weit. Ich sagte ja: die Ausgangspositionen in der Bemerkung von Helmut Schmidt teile ich nicht ganz. Verantwortungsbewusstsein von anderen zu verlangen, ich weiß nicht, ob man das so pauschal sagen kann, daran fehlt es. – Nein, das sehe ich so nicht.
Liminski: Liberale Lehren aus der Politik vergangener Jahre und Regierungen. Das war Otto Graf Lambsdorff, Ehrenvorsitzender der FDP und ehemals Wirtschaftsminister im Kabinett Schmidt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Lambsdorff.
Graf Lambsdorff: Danke, Herr Liminski.
Otto Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Graf Lambsdorff, waren Sie auch erleichtert nach dem Wechsel?
Graf Lambsdorff: Ich war erleichtert, aber ich bin ein bisschen im Zweifel, ob nicht die Erleichterung bei Helmut Schmidt aus der Rückschau eingetreten ist. Damals hatte ich nicht den Eindruck, dass er erleichtert war; damals hatte ich den Eindruck, dass er auch reichlich wütend war. Ich erinnere daran, dass er dann in den Wahlkampf in Hessen zog und empfahl, die FDP wegzuharken. Mit der Erleichterung, mit Abstand sieht das dann so aus.
Was mich damals anlangt: Ich kann nicht sagen, es war Erleichterung, aber ich habe gedacht, wir tun das Notwendige, ich tue das Notwendige, wir brauchen einen neuen, vernünftigen Stab in der Wirtschaftspolitik. Das ging mit den Sozialdemokraten nicht mehr – nicht mit Helmut Schmidt, aber mit den Sozialdemokraten nicht mehr. Deswegen war die Wende nötig.
Liminski: Wie hat sich denn Ihr persönliches Verhältnis zu Schmidt dann entwickelt?
Graf Lambsdorff: Am Anfang war es natürlich etwas gespannt. Heute begegnen wir uns völlig spannungslos, völlig entspannt, freundlich, sachlich und sehen uns hin und wieder. Und ich weiß ja inzwischen auch, Herr Liminski, dass Helmut Schmidt von den wirtschaftspolitischen Positionen, die ich damals in meinem Papier ihm übergeben habe, nicht so weit weg war wie der große Teil seiner Partei. Das würde er vielleicht bestreiten, das weiß ich nicht, aber so war's und so ist es.
Liminski: Von der sozial-liberalen Zeit damals schwärmen noch heute manche Politiker. In seiner Regierungserklärung 1974 sagte Schmidt:
O-Ton Helmut Schmidt: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Wechsel im Amt ändert nichts an der fortgeltenden Richtigkeit und Notwendigkeit sozial-liberaler Politik in unserem Lande. Diese Leitlinie werden wir konsequent weiterhin verfolgen.
Liminski: Herr Lambsdorff, wird Ihnen da wehmütig, wenn Sie die schneidigen Töne hören? Oder anders gefragt: Die Richtigkeit sozial-liberaler Politik, ist das nur eine Frage des politischen Moments?
Graf Lambsdorff: Ich habe sozial-liberal niemals gewissermaßen überhöht gesehen. Ich habe sozial-liberal immer als eine Koalitionsform gesehen. Ich habe diese Koalition bejaht. Ich bin ja 1972 in den Bundestag gewählt worden, als es diese Koalition gab. Dann bin ich Minister gewesen in dieser Koalition. Und ich habe das, was diese Koalition politisch wollte, für richtig gehalten – insbesondere natürlich auf dem Gebiet der Ostpolitik, aber auch bis zur Wende auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und ganz gewiss, jedenfalls was den Kanzler anlangte, auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, Stichwort "NATO-Doppelbeschluss".
Liminski: Was war denn die aufregendste Zeit mit diesem Kanzler?
Graf Lambsdorff: Vielleicht war die aufregendste Zeit, Herr Liminski, der Anfang. Als ich Minister wurde, landete ich sofort in den Krisenstäben. Hans-Dietrich Genscher war in der Welt unterwegs, Schleyer war entführt, die "Landshut" war entführt und ich habe mein Ministerium in den ersten 14 Tagen von innen kaum gesehen, weil wir ständig in den Krisenstäben tagten und uns mit dieser Sicherheitslage zu beschäftigen hatten.
Liminski: Auch in diese Zeit – Sie haben eben das Stichwort genannt: die Wirtschaftskrise – fällt eine globale Krise, und was Schmidt damals dazu sagte, kann eigentlich noch heute gelten. Es lohnt deshalb, auch diesen Originalton noch zu hören.
O-Ton Helmut Schmidt: In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes bei Seite.
Liminski: Das, was jetzt notwendig ist, würden Sie das der Regierung heute auch auf den Weg geben, oder gibt es aus Ihrer Sicht spezifische Maßnahmen, die man heute ergreifen müsste?
Graf Lambsdorff: Herr Liminski, das ist zu allgemein. Es ist ja alles völlig richtig, was Helmut Schmidt damals gesagt hat, und passt auch auf die heutige Situation. Aber mit diesen allgemeinen Formulierungen, die ich nicht deswegen beanstande, kann natürlich in der Praxis niemand etwas anfangen oder nicht recht mit anfangen. Wenn ich höre, was an einzelnen Vorschlägen gemacht wird – denken Sie mal zum Beispiel bitte daran, dass der Kandidat der Sozialdemokraten in Hessen eine Zwangsanleihe für vermögende Leute vorschlägt, eine Zwangsanleihe für den Bund, der Bund soll Geld bekommen; der braucht gar kein Geld, der kriegt sein Geld überall ohne jede Schwierigkeit an allen Kapitalmärkten -, dieser Unsinn, der da überall verbreitet wird, mit dem Helmut Schmidt mit Sicherheit nichts im Sinne hätte, mit diesem Unsinn kann man keine Politik machen.
Liminski: Die Zwangsanleihe, woran erinnert Sie das, um mal diese Parenthese gerade noch etwas offen zu lassen?
Graf Lambsdorff: Die Zwangsanleihe ist früher schon mal diskutiert worden, aber da waren es noch Zeiten, als es für einen Bundesfinanzminister nicht ganz einfach war, an den Kapitalmärkten der Welt Geld für sich zu beschaffen, obwohl die Bundesrepublik Deutschland immer als erstklassiger Schuldner angesehen wurde und auch heute noch in all den Schwierigkeiten ein erstklassiger Schuldner ist. Also da hat es schon mal solche Diskussionen gegeben, aber das, was hier vorgeschlagen wird, das hat nur mit Klassenkampf etwas zu tun, aber nichts mit vernünftiger Wirtschaftspolitik.
Liminski: An Schmidt besticht die schnörkellose Rhetorik. Auch Ihre, Graf Lambsdorff, direkte und nahezu preußische Sprache ist berühmt, um nicht zu sagen gefürchtet. Haben Sie den Eindruck, dass es heute an rhetorisch markanten Persönlichkeiten in der Politik fehlt? - Sie brauchen jetzt keine Namen nennen.
Graf Lambsdorff: Wenn Sie sich die Bundestagsdebatten ansehen, dann kann ich nur das wiederholen, was ich früher schon gesagt habe. Der Stil der parlamentarischen Auseinandersetzung ist abgeflacht gegenüber damals und die großen Debatten, sprich auch die großen Redner aus der damaligen Zeit, die fehlen. Das kann ich leider nicht anders sehen und nicht anders sagen. Es gibt Ausnahmen davon, erfreuliche Ausnahmen, aber zu wenige.
Liminski: Können Sie vielleicht ein paar nennen?
Graf Lambsdorff: Nein. Ich will keine Namen nennen. Was soll das? Das bringt nichts ein. Ist auch nicht meine Aufgabe. Ich bin nicht der Oberzensor des Bundestages und der rednerischen Künste, die da geboten werden.
Liminski: Schmidt war kein Parteisoldat. In dem vorhin genannten Interview kritisiert er sogar die Parteien. Sie hätten heute zu viel Einfluss. Seiner Meinung nach sollten nicht die Parteizentralen, sondern das Parlament und die Fraktionsvorsitzenden eine größere Rolle spielen. Stimmt das so? Ist das der Demokratie abträglich?
Graf Lambsdorff: Ich bin mit der Anfangsäußerung, die Sie von Helmut Schmidt zitiert haben, nicht einverstanden, aber ich bin sehr einverstanden damit, dass das Parlament stärker ins Blickfeld rücken sollte, damit auch die Fraktionsvorsitzenden. Ich finde, dass das Parlament an Einfluss verloren hat. Vielleicht hat das auch mit dem Stil und der Intensität der Debatten zu tun, über den wir gerade eben gesprochen haben. Und ich finde, dass wir auch darüber nachdenken müssen, ob unser Wahlrecht nicht Möglichkeiten erlaubt, für den Wähler erlaubt, stärkeren Einfluss auf die Zusammensetzung der Parteien und der Fraktionen zu nehmen – denken Sie an bayerisches Landtagswahlrecht. Ich glaube, so etwas könnte man auch im Bundestag gebrauchen.
Liminski: Halten Sie das für dringlich?
Graf Lambsdorff: Ja. Ich halte das für dringlich, weil ich das Gefühl habe, dass die Menschen diesen Betrieb in Berlin immer fremder finden, immer weiter entfernt finden, und dass sie den Eindruck haben, sie selber seien nicht gefragt und hätten nichts dazuzutun.
Liminski: Schmidt stellt fest, es fehle an Verantwortungsbewusstsein und das gefährde auch die öffentliche Moral. Brauchen wir wieder eine Rückkehr zu den Tugenden, auch solchen, die andere abschätzig als sekundär betrachten?
Graf Lambsdorff: Ich möchte diese Debatte nicht aufnehmen, Herr Liminski. Was da gesagt worden ist über Sekundärtugenden und vor allen Dingen, welche Linie dann klar und deutlich gezogen worden ist zur Bewachung von Konzentrationslagern, das fand ich so unerhört, dass ich mit demjenigen, der dies so formuliert hat, nichts mehr zu tun haben will. Ich gehe auch in keine Podiumsdiskussion, keine Talkshow mit Oskar Lafontaine.
Liminski: Aber zur Frage zurück: Fehlt es an Verantwortungsbewusstsein?
Graf Lambsdorff: Das, finde ich, geht zu weit. Ich sagte ja: die Ausgangspositionen in der Bemerkung von Helmut Schmidt teile ich nicht ganz. Verantwortungsbewusstsein von anderen zu verlangen, ich weiß nicht, ob man das so pauschal sagen kann, daran fehlt es. – Nein, das sehe ich so nicht.
Liminski: Liberale Lehren aus der Politik vergangener Jahre und Regierungen. Das war Otto Graf Lambsdorff, Ehrenvorsitzender der FDP und ehemals Wirtschaftsminister im Kabinett Schmidt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Lambsdorff.
Graf Lambsdorff: Danke, Herr Liminski.