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Lambsdorff: Nichtiger Anlass wird benutzt für die Botschaft der Gewalt

Man müsse zwischen der breiten Masse der arabischen Welt und Dschihadisten unterscheiden, sagt Alexander Graf Lambsdorff. Letztere nutzen nach Ansicht des FDP-Europapolitikers einen nichtigen Anlass für ihre Botschaft der Gewalt.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Doris Simon | 14.09.2012
    Doris Simon: Was Freitagsgebete in der islamischen Welt auslösen können, vor allem, wenn der Tenor der Predigten scharf ausfällt, das weiß man spätestens seit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen auch im Westen. Entsprechend angespannt ist die Stimmung zur Stunde in vielen Ländern dieser Welt, ganz besonders im Nahen Osten und in den USA. Dort fürchtet man, dass die wütenden Proteste gegen die US-Vertretungen weiter eskalieren.
    Am Telefon ist jetzt der FDP-Europaabgeordnete und Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. guten Tag.

    Alexander Graf Lambsdorff: Schönen guten Tag.

    Simon: Herr Lambsdorff, als Europaparlamentarier haben Sie regelmäßig Kontakt auch zu arabischen Gesprächspartnern. Sehen Sie in der aktuellen Lage eine Möglichkeit, die islamische Welt zu beruhigen? Gibt es da irgendetwas, das die Proteste abebben lassen könnte?

    Graf Lambsdorff: Also ich glaube, man muss unterscheiden zwischen der arabischen, der muslimischen Welt insgesamt auf der einen Seite und hoch motivierten Dschihadisten, die kurz nach dem Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 erneut, wie sie das in vergangenen Jahren auch schon getan haben, einen im Grunde nichtigen Anlass, irgendein Filmchen, das jemand in Kalifornien auf YouTube eingestellt hat, einen solchen nichtigen Anlass nehmen, um ihre eigentliche politische Botschaft, die Botschaft der Gewalt zu transportieren. Das muss man wirklich unterscheiden. Die breite Masse der Bevölkerung in den Ländern, die ich bereise, sieht das nicht so extrem wie diejenigen, die diesen Angriff auf das Konsulat in Bengasi gestartet haben, oder diejenigen, die vor der Botschaft in Kairo demonstrieren.

    Simon: Aber viele Muslime fühlen sich ja in ihren religiösen Gefühlen verletzt, auch durch so einen dummen Film, wie er jetzt hergestellt worden ist in den USA. Muss man das als Gott gegeben annehmen, dass sich daran nichts ändern lässt?

    Graf Lambsdorff: Man muss wahrscheinlich noch für einige Zeit – und das können durchaus Jahrzehnte sein – davon ausgehen, dass das, was wir unter Redefreiheit, was die Amerikaner unter "Freedom of Speech" verstehen, Geschmacklosigkeiten, Widerwärtigkeiten einschließt, die wir auf der einen Seite in freien offenen Gesellschaften zu tolerieren bereit sind, aber auf der anderen Seite diese Geschmacklosigkeiten auch religiös beleidigend sind, was in anderen Gesellschaften nicht akzeptiert wird. Das hat nicht in jedem Fall zur Folge, dass es große Auseinandersetzungen gibt, aber es hat zur Folge, dass sich Extremisten immer wieder die Möglichkeit bietet, anzustacheln zum Hass, anzustacheln zur Gewalt. Sie haben die Mohammed-Karikaturen erwähnt, da war es genauso: Die sind irgendwann mal erschienen in Dänemark und Wochen, Monate später erst überhaupt genutzt worden, um Hass zu mobilisieren.

    Simon: Nun hat der amerikanische Präsident Obama dem ägyptischen Präsidenten Mursi, der ja noch nicht lange im Amt ist, ein Muslimbruder, mehr oder weniger vorgeworfen, er hätte sich nicht entschieden genug eingesetzt, um das Eskalieren der Proteste vor der US-Botschaft in Kairo zu verhindern. Mursi war ja gestern in Brüssel. Ist er Ihrer Meinung nach entschieden genug in der Konfrontation mit den Radikalen?

    Graf Lambsdorff: Bei seinem Besuch zeigte sich genau das Dilemma, das ich eben beschrieben habe. Mursi hat im Telefonat mit dem US-Präsidenten diesen dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass solche Videos nicht produziert oder eingestellt werden. Das kann ein amerikanischer Präsident gar nicht. Und dieses fundamentale Missverständnis zwischen eben der Freiheit der Rede auf der einen Seite und der Empfindlichkeit, wenn es um die Beleidigung religiöser Gefühle geht, dieses Missverständnis, das trat hier in Brüssel sehr deutlich zu Tage. Die Frage, ob Mursi entschieden genug ist, ob die ägyptischen Sicherheitskräfte entschieden genug vorgegangen sind in Kairo, kann ich von Brüssel aus schlecht beantworten. Ich glaube aber, dass inzwischen die Situation doch sehr eindeutig so ist, dass die israelischen Sicherheitskräfte alles tun, um die amerikanische Botschaft zu schützen.

    Simon: Sie meinen die ägyptischen Sicherheitskräfte?

    Graf Lambsdorff: Richtig.

    Simon: Und ich verstehe Sie dann so, dass Sie der Meinung sind, die Regierungen, ob das jetzt die libysche war, die zuständig war in Bengasi, oder die ägyptische in Kairo, dass die nicht unwillens sind, sondern überfordert?

    Graf Lambsdorff: Bei der libyschen Regierung ist das ganz eindeutig so. Ich war ja kürzlich erst in Libyen und durfte aus Sicherheitsgründen zu bestimmten Zeiten nicht nach Bengasi. Ich finde es überraschend, ehrlich gesagt, dass der amerikanische Botschafter quasi zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September sich in Bengasi aufgehalten hat. Zwischen Tripolis und dem Westen des Landes und Bengasi und dem Osten des Landes gibt es fundamentale Unterschiede. Kurz hinter Bengasi finden sich die Städte Derna und Tobruk und dort wissen wir, das wussten wir auch mit unserer Mission der Europäischen Union in Libyen, dass es islamistische Zellen gibt, dass es gewaltbereite islamistische Zellen gibt, und wenn man sich die Details des Angriffs vor Augen führt, mit schweren Waffen, gut organisiert, dann weiß man auch, dass das nicht ein aufgebrachter Mob war, sondern dass das eine durchorganisierte Operation war. Es fällt mir von daher schwer zu verstehen, warum der amerikanische Botschafter sich zu diesem Zeitpunkt dort aufgehalten hat.

    Simon: Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch bei den Demonstrationen zum Beispiel in Kairo ganz gezielt Islamisten am Werk waren, so wütend wie insgesamt die Reaktion ist, hat man den Eindruck, da scheint ganz viel Hass direkt unter der Oberfläche zu liegen, Hass auf die Amerikaner. Wenn man sich Obamas Rede an die islamische Welt vor drei Jahren in Kairo in Erinnerung ruft, vor allem aber auch die Unterstützung der Amerikaner für den libyschen Widerstand, ist das alles vergessen?

    Graf Lambsdorff: Das ist nicht vergessen auf der einen Seite; auf der anderen Seite ist es so, dass die Amerikaner wirklich zutiefst, zutiefst unpopulär, manchmal sogar geradezu verhasst sind in der arabischen Welt. Das hat mit vielen Dingen zu tun: zum einen das, worüber wir gerade gesprochen haben, dass die Beleidigung religiöser Gefühle in Amerika zwar als geschmacklos, aber nicht als rechtswidrig empfunden wird, es hat damit zu tun, dass über Jahrzehnte die Bevölkerung indoktriniert worden ist, was den Nahost-Konflikt angeht, die Situation zwischen Israel und den Palästinensern, wofür man den Amerikanern einen Teil der Verantwortung zuschiebt. Da kann eine Rede eines Präsidenten, so gut sie gemeint ist, da können einzelne Maßnahmen wie die Beteiligung der Amerikaner an der Befreiung Libyens von Gaddafi so schnell nichts ändern. Deswegen glaube ich, da müssen wir uns nichts vormachen: Das ganze wird ein Prozess sein, wenn es denn zu einem Ausgleich kommt, sich auf einen Ausgleich zubewegt, der wird noch Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern.

    Simon: Angesichts dessen, wie verhalten sich die USA in dieser aktuellen Krise aus Ihrer Sicht?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, sie tun das richtige. Der Präsident hat sowohl mit dem libyschen Premierminister gesprochen als auch mit dem ägyptischen Präsidenten, hat deutlich gemacht, dass die USA den Übergang in der arabischen Welt weiter begleiten werden. Sie müssen gleichzeitig natürlich darauf achten, dass ihre Leute geschützt sind. Das heißt, es werden jetzt 50 Marine-Infanteristen zum Schutz des Konsulats nach Bengasi entsandt. Das sind Dinge, die ganz praktisch und pragmatisch im Einvernehmen mit der libyschen Regierung auch geschehen. Das heißt, man muss beides tun: Man muss seine eigenen Leute sichern, Diplomaten müssen ihrem Beruf nachgehen, ohne Angst davor zu haben, Opfer von Anschlägen zu werden, und man muss gleichzeitig natürlich auch weiterhin den Gesprächsfaden aufrecht erhalten. Denn vergessen wir eines nicht: Der Übergang in der arabischen Welt, so schwierig das jetzt im Einzelfall ist, ist ja im großen und ganzen doch eine verbesserte Situation gegenüber der Situation, als wir noch Herrn Gaddafi und Herrn Mubarak hatten.

    Simon: Da war es aber aus der Sicht von vielen auf jeden Fall stiller.

    Graf Lambsdorff: Gut. Aber das war zum Teil auch eine Friedhofsruhe, mindestens für Libyen kann man das sagen. Die Unterdrückung, die Zahl der Toten in den libyschen Gefängnissen, die Folteropfer, die Flüchtlinge, die Vertriebenen - die Situation mag stiller gewesen sein, weil wir uns vielleicht ihr auch nicht in der gleichen Weise gewidmet haben, wie das im Moment der Fall ist. Aber ich glaube, dass diese Ruhe, eine Friedhofsruhe nicht das ist, was wir uns in unserer Nachbarschaft wünschen können.

    Simon: Wagen Sie eine Einschätzung, wie lange die Proteste noch anhalten werden?

    Graf Lambsdorff: Ich vermute mal, dass es tatsächlich, da heute Freitag ist, der Sonntag der Moslems, unter Umständen heute Nachmittag noch mal zu Unruhen kommt in Nordafrika. Bis diese Nachrichten Afghanistan und Pakistan erreicht haben, wird es wahrscheinlich noch etwas dauern. Also vermute ich, dass es da in der nächsten Woche noch mal eine Aufwallung geben könnte. Aber ich rechne auch damit, dass das irgendwann wieder abebbt. In 10 Tagen, 14 Tagen, glaube ich, wird sich die Lage wieder beruhigt haben.

    Simon: Die Einschätzung des FDP-Europapolitikers Alexander Graf Lambsdorff zur Situation im Nahen Osten und den wütenden Protesten gegen einen Schmähfilm gegen den Propheten Mohammed.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.