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Lammert: Bezüge der Abgeordneten an Einkommensentwicklung koppeln

Parlamentspräsident Norbert Lammert hat sich für höhere Bezüge der Bundestagsabgeordneten ausgesprochen. Die Differenz zwischen den gesetzlich vorgesehenen und den tatsächlichen Einkünften betrage inzwischen über zehn Prozent. Dieser Rückstand sollte hingenommen aber nicht weiter vergrößert werden, sagte Lammert. Der CDU-Politiker schlug vor, die Bezüge an die allgemeine Einkommensentwicklung zu koppeln.

Moderation: Jochen Spengler | 24.05.2007
    Jochen Spengler: Seit 2003 gibt es für die Bundestagsabgeordneten Nullrunden. Sollen die Diäten nun endlich erhöht werden, so wie ja auch die Löhne in der Wirtschaft wieder steigen? Das hat der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorgeschlagen. "Ja, aber" sagt die SPD. "Ja, aber nur, wenn die großzügige Altersversorgung der Abgeordneten zugleich abgesenkt wird", wogegen wiederum die Union ist, weswegen ein geplantes Treffen der Fraktionsspitzen gestern Abend abgesagt wurde.

    Am Telefon ist Bundestagspräsident Norbert Lammert. Guten Morgen Herr Lammert!

    Norbert Lammert: Guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Wieso ist Ihrer Ansicht nach eine Diätenerhöhung überfällig?

    Lammert: Wir haben eine Regelung im Abgeordnetengesetz, die auch die Bezüge festlegt. Hier gibt es seit einer Reihe von Jahren die Orientierung an den Bezügen von Richtern an oberen Bundesgerichten oder an der Besoldung von direkt gewählten hauptamtlichen Bürgermeistern in mittelgroßen Städten als den, wie man damals glaubte, am ehesten vergleichbaren öffentlichen Ämtern, die durch Wahl bestellt werden, auf Zeit nur vergeben werden und die gleichzeitig weisungsunabhängig und insofern im Unterschied zu Beamten ausgestattet sind. Diese Bezüge werden seit Jahren nicht erreicht. Durch die Notwendigkeit des Bundestages, selbst darüber entscheiden zu müssen, ob überhaupt und in welcher Höhe sich die Bezüge der Abgeordneten entwickeln, bleiben regelmäßig die vom Bundestag für sich selbst beschlossenen Gehaltserhöhungen hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurück, so dass im Augenblick die Differenz zwischen den im Gesetz vorgesehenen Bezügen und den tatsächlichen Bezügen über 10 Prozent beträgt.

    Spengler: Ist das richtig: 7.000 zu 7.600 ungefähr? 7.000 Euro Diät monatlich gibt es und 7.600 wäre das Niveau der obersten Bundesrichter?

    Lammert: So ist es und der Vorschlag, den ich zu Beginn der Legislaturperiode gemacht habe aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung, die ich wiederum habe, nämlich zu berichten über die Einkommensentwicklungen und damit gegebenenfalls einen Vorschlag zu machen, dieser Vorschlag lautete: Wir sollten den eingetretenen Einkommensrückstand hinnehmen, aber gleichzeitig sicherstellen, dass er sich nicht weiter vergrößert. Das könnte am besten nach meiner Einschätzung dadurch geschehen, dass man jährlich die Bezüge der Abgeordneten nicht mehr und nicht weniger verändert als die tatsächliche allgemeine Einkommensentwicklung aller Erwerbstätigen in Deutschland.

    Spengler: Mir fallen die BAföG-Empfänger ein. Die warten jetzt seit sechs Jahren auf eine Erhöhung.

    Lammert: Das sind allerdings auch keine Einkommen von Erwerbstätigen.

    Spengler: Das ist richtig. - Sie sind also schon der Meinung, dass sie um 1, 2 Prozent erhöhen sollten?

    Lammert: Eben nicht um 1, 2 Prozent, sondern um die tatsächliche, statistisch festgestellte durchschnittliche Einkommensentwicklung in Deutschland.

    Spengler: Und das sollte so eine Automatik haben?

    Lammert: Eine Automatik ist wiederum nach unserer komplizierten Verfassungslage nicht möglich. Es setzt einen Beschluss des Bundestages voraus. Dieser Beschluss könnte aber genau das zum Gegenstand haben, was ich gerade erläutert habe.

    Spengler: Warum ist dieses Thema Diäten eigentlich so mit Vorurteilen behaftet? Warum kommen die Bundestagsabgeordneten beim Bürger gleich immer schlecht weg? Warum werden Politiker immer als Abzocker dargestellt? Warum ist das so?

    Lammert: Der wichtigste einzelne Grund liegt glaube ich in diesem unglücklichen Verfahren begründet. Wenn ein Gremium, in diesem Fall der Deutsche Bundestag, für seine Mitglieder selbst beschließen kann und muss, wie sich die Bezüge entwickeln sollen, in welcher Höhe sie festgelegt werden sollen und ob und wann sie angepasst werden, dann hat das alleine durch das Verfahren immer den Verdacht der Selbstbedienung gegen sich.

    Es gibt im Übrigen einen zweiten Punkt, der sich auch mühelos erkennen lässt. Jede Debatte, wann immer sie stattfindet und mit welchem Ergebnis sie immer stattfindet, lässt in der Öffentlichkeit den Eindruck zurück, hier sei wieder mal eine Anhebung der Bezüge erfolgt. Tatsächlich führen die Debatten, die es regelmäßig gibt, mal von dem einen und mal von dem anderen breitgetreten, in aller Regel nicht zu Beschlüssen, so dass die allermeisten Hörerinnen und Hörer vermutlich auch eher überrascht sein werden, wenn man sie darauf hinweist, dass die letzte Anpassung tatsächlich 2003 stattgefunden hat und keineswegs nicht, wie die allermeisten vermuten werden, irgendwann doch erst wieder vor ein paar Monaten.

    Spengler: Herr Lammert, liegt diese mangelnde Akzeptanz möglicherweise auch darin, dass sich die Bezüge ja aus diversen Einzelteilen zusammensetzen - da sind ja einmal die Diäten, dann ist es diese Aufwandspauschale -, dass eigentlich das Thema nicht klar, eindeutig und transparent geregelt ist, dass da ja Diverses zusammenkommt?

    Lammert: Auf der Suche nach Ursachen für die begrenzte Popularität dieses Verfahrens würde ich an der Stelle nicht das größte Problem sehen, denn an dieser Stelle kann nun von einem Mangel an Transparenz überhaupt keine Rede sein. Wann immer über dieses Thema geschrieben oder geredet wird, wird es mit Offenlegung aller damit verbundenen Zahlen verbunden, so dass man alle möglichen Vorwürfe erheben kann, aber den mangelnder Transparenz ganz gewiss nicht.

    Spengler: Ich muss sagen in Vorbereitung auf dieses Interview ist es mir relativ schwer gefallen, genau zusammenzukriegen, was denn eigentlich Bundestagsabgeordnete alles bekommen. Ich zähle es mal auf. Da sind eben die Diäten, 7.000 Euro etwa, dann gibt es eine Kostenpauschale - die ist steuerfrei -, dann gibt es eine Bahnnetzkarte, die man bekommt, dann bekommt man noch Geld für die Mitarbeiter. Wenn man das alles etwas sage ich mal transparenter und klarer regeln würde, wäre das nicht hilfreich? Bräuchte man nicht eine Reform sozusagen?

    Lammert: Sagen Sie mal im Ernst, Herr Spengler. Pflegen Sie die Mitarbeiter, die Ihnen bei der Erledigung Ihrer Aufgaben behilflich sind, auch als Bestandteil Ihres Einkommens zu deklarieren? Das ist doch nun wirklich absurd.

    Spengler: Ich habe aber auch keine Angestellten.

    Lammert: Ich habe das gerade so aufgezählt. Da haben die auf der einen Seite eigenes Einkommen. Dann gibt es eine Kostenpauschale und dann haben die noch Geld für Mitarbeiter. Das scheint mir bei jeder Rundfunkanstalt auch üblich zu sein, dass die Mitarbeiter haben und dass die hoffentlich ordentlich bezahlt werden. Diese Mittel stehen den Abgeordneten selbstverständlich nicht zu ihrer persönlichen Verwendung zur Verfügung.

    Spengler: Da gibt es aber durchaus Meldungen, Berichte, dass es Missbrauch mit dieser Mitarbeiterbezahlung gibt.

    Lammert: Da bin ich Ihnen für jeden konkreten Hinweis dankbar. Mit der allgemeinen Verdächtigung kann ich nichts anfangen.

    Spengler: Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass zu Mitarbeitern Parteimitarbeiter zählen, die Geschäftsführer einer Partei sind, und es stellt sich dann die Frage, ist es wirklich eine Mitarbeit für den Bundestagsabgeordneten oder doch eine indirekte Parteienfinanzierung.

    Lammert: Und weil genau die nicht zulässig ist, gibt es hier klare Regelungen, um die wir uns auch bei jedem konkreten Fall, wenn er denn nur erkennbar wird, unverzüglich kümmern. Die für diesen Zweck zur Verfügung stehenden Mittel sind Mittel zur Unterstützung der Arbeit von Abgeordneten, wobei ich allerdings darauf aufmerksam machen muss: Die Arbeit von Abgeordneten findet nicht nur in Berlin, sondern ganz wesentlich auch in ihren Wahlkreisen statt. Die Wählerinnen und Wähler legen darauf übrigens auch allergrößten Wert, dass sie vor Ort verfügbar sind und dass sie sich auch unterstützt durch Mitarbeiter um die Anliegen kümmern, die ihnen dort vorgetragen werden.

    Spengler: Lassen Sie mich einen Punkt herausgreifen. Es gibt diese steuerfreie Aufwandsentschädigung. Die ist dafür gedacht, dass zum Beispiel ein Zweitwohnsitz, eine Zweitwohnung bezahlt wird. Jetzt muss jeder Steuerzahler dem Finanzamt eigentlich genau seinen Aufwand mit einzelnen Quittungen belegen. Warum müssen das die Abgeordneten nicht? Warum ist das steuerfrei?

    Lammert: Das Bundesverfassungsgericht hat damals in seinem berühmten Urteil aus den 70er Jahren, das überhaupt die Grundlage für die prinzipielle Umstellung der Regelung der Einkommen von Abgeordneten, von steuerfreien Diäten auf steuerpflichtige Einkommen war, unter anderem auch festgehalten, dass eine Pauschalierung typischer, mit dem Mandat verbundener Kosten möglich und zulässig sei. Genau das ist der Mechanismus, den wir haben, dass aus einer Reihe von prinzipiellen und praktischen Gründen an die Stelle des Einzelnachweises jeder einzelnen Ausgabe eine Pauschalierung der typischen durchschnittlichen, mit der Ausübung eines Mandats verbundenen Kosten tritt.

    Spengler: Aber das führt zu Ungerechtigkeiten?

    Lammert: Davon bin ich nicht überzeugt, dass es zu Ungerechtigkeiten führt.

    Spengler: Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Wenn einer zum Beispiel in der Nähe von Berlin wohnt, der braucht keine zweite Wohnung. Wenn einer zum Beispiel in Bayern wohnt, der braucht wahrscheinlich in Berlin eine zweite Wohnung. Der eine hat Aufwand, der andere hat keinen, aber beide werden gleich bezahlt.

    Lammert: Zunächst einmal sollten wir jetzt auch nicht den Eindruck erwecken, als handelt es sich hier gewissermaßen um zwei gleich große Fallgruppen. Bis auf ganz wenige werden alle anderen eine Zweitwohnung in Berlin benötigen. Das heißt wir reden, wenn überhaupt, über die kleine Ausnahme von der allgemeinen Regel.

    Zweitens ist sicher richtig - das ist das Wesen von Pauschalierungen -, dass sie einen angenommenen Durchschnittsfall regeln. Wir haben uns ja immer wieder mit dem Thema beschäftigt und haben dann auch in Beispielrechnungen Fälle festgestellt, wo etwa Abgeordnete in großen Flächenwahlkreisen durch die ihnen entstehenden Fahrtkosten, die sie nicht einzeln geltend machen können, höhere Kosten pro Monat haben, als sie aufgrund der Kostenpauschale dann erstattet bekommen. Also es gibt da den einen wie den anderen Fall. Unter diesem Gesichtspunkt haben Sie Recht ist mit Blick auf den konkreten Einzelfall eine Pauschalierung nicht bis zum letzten Euro gerecht. Wir halten aber die Regelung unter Berücksichtigung der angesprochenen prinzipiellen Anliegen für vernünftig und gerechtfertigt.

    Spengler: Herr Lammert, verstehe ich Sie richtig, dass Sie eigentlich keinen großen Reformbedarf bei der Besoldung von Abgeordneten sehen?

    Lammert: Ich habe jedenfalls immer dafür geworben, zwei Dinge auseinanderzuhalten: Erstens die Frage, ob überhaupt und wenn ja in welcher Höhe eine Anpassung der Bezüge im vorhandenen System angemessen ist. Dazu habe ich einen Vorschlag gemacht, den ich vorhin erläutert habe, wie man in dieser Legislaturperiode verfahren sollte. - Die zweite Frage ist, ob man nicht das Verhältnis von Bezügen und Versorgung neu regeln könnte und sollte.

    Spengler: Nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel?

    Lammert: Ob dies das einzige Modell ist und ob es ein Vorbild ist, darüber müsste man dann wiederum gesondert reden und würde man dann ganz gewiss auch gesondert reden. Ich persönlich halte eine Neuregelung dieser Relationen von Bezügen und Versorgung für durchaus angezeigt, weise aber immer wieder darauf hin, dass dies allein aus rechtlichen Gründen immer nur zu Beginn einer Legislaturperiode in Kraft treten kann, weil jeder, der für den Deutschen Bundestag kandidiert, die Konditionen vorher kennen muss, die dann für ihn gelten. Also wäre aus meiner Sicht durchaus möglich, jetzt eine Verständigung darüber herbeizuführen, ob man solche Änderungen zum gegenwärtigen System herbeiführen will, denn wenn man das überhaupt will, müsste man in dieser Legislaturperiode einen Beschluss fassen, der dann beispielsweise ab der nächsten Legislaturperiode gelten könnte.

    Spengler: Um Nordrhein-Westfalen zu erwähnen: das hieße eine deutliche Erhöhung der Diäten. Dafür müssen aber die Abgeordneten selber für ihre Altersversorgung sorgen, selber in die Alterskasse einzahlen.

    Lammert: Ja. Vereinfacht formuliert ist das so, wobei sich mir persönlich - aber ich sage das jetzt wiederum ausschließlich für mich - bis heute nicht so richtig erschlossen hat, worin denn eigentlich die private Vorsorge bestehen soll, wenn die dafür erforderlichen Beträge zusätzlich aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt werden.

    Spengler: Das ist wahrscheinlich genau dasselbe Problem wie mit der allgemeinen Altersversorgung der Menschen in unserem Land und den Beamtenpensionen. Auch dort ist das quasi parallel zu dem, was bei den Bundestagsabgeordneten geschieht.

    Lammert: Sie sehen, Herr Spengler, auch die vermeintlichen Patentrezepte erweisen sich bei genauem Hinsehen nicht als solche.

    Spengler: Das ist meistens so. - Kommen wir zum Schluss noch zur Nebentätigkeit von Abgeordneten. Vor zwei Jahren hat der Bundestag beschlossen, dass alle Parlamentarier die Art ihrer Nebentätigkeit und auch die Höhe der Nebenverdienste - jedenfalls pauschal - offen legen sollten. Dagegen haben neun Abgeordnete vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Sie haben diese Regelung storniert. Jetzt wollen Sie doch, dass die Abgeordneten ihre Nebentätigkeiten angeben. Warum?

    Lammert: Also erstens: die Abgeordneten haben ihre Nebentätigkeiten angegeben.

    Spengler: Sie sollen veröffentlicht werden.

    Lammert: Ich habe im Übrigen auch Wert darauf gelegt, dass völlig unabhängig von der anhängenden Klage alle Abgeordneten selbstverständlich dieser Meldepflicht nachkommen müssen. Das ist auch erfolgt.

    Spengler: Es geht um die Veröffentlichung?

    Lammert: Ja. - Zweitens: ich habe die Veröffentlichung solcher Daten ausgesetzt, die Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung sind, ob die Veröffentlichung solcher Daten überhaupt verfassungsgemäß ist, sprich mit dem Status der Abgeordneten und dem freien Mandat auf der einen Seite und dem Anspruch auf Schutz persönlicher Daten, die Abgeordnete ja mit der Annahme ihres Mandats nicht prinzipiell verwirkt haben, vereinbar ist. Ich musste sicherstellen, dass ich nicht durch Veröffentlichung möglicherweise den Schaden herbeiführe, den die Klage vom Bundesverfassungsgericht vermeiden helfen will. Im Übrigen habe ich auch aus den Reihen des Bundesverfassungsgerichts nicht mal andeutungsweise einen Vorwurf gegenüber dieser Entscheidung gehört, die im Übrigen gleich zweimal vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages, in dem die Fraktionsführungen aller Fraktionen im Deutschen Bundestag vertreten sind, ausdrücklich bestätigt worden ist. Und ich habe nun, nachdem die von mir erwartete Entscheidung immer noch ausgeblieben ist, eine neue Abwägung zwischen dem aus meiner Sicht jeweils zu berücksichtigenden Anspruch der Öffentlichkeit auf Offenlegung von Tätigkeiten und dem Anspruch von Abgeordneten auf Schutz persönlicher Daten vorgenommen und gesagt, ich werde nun sicherstellen, dass trotz der damit verbundenen Abgrenzungsprobleme all die Daten, die nicht Gegenstand des Klageverfahrens sind, veröffentlicht werden.

    Spengler: Danke schön für das Interview. - Das war Norbert Lammert, der Bundestagspräsident.