Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Landesweiter Protest

Piazza Montecitorio. Der Platz vor dem italienischen Parlament im Herzen Roms ist seit einigen Tagen Ort spontaner Demos. Unerlaubter Demos, aber die Polizei greift aus Angst vor Zusammenstößen nicht ein. Seit einigen Tagen hat sich der Protest von Hochschulprofessoren und anderen Lehrenden sowie Studierenden gegen die Universitätsreform verschärft.

Von Thomas Migge | 25.02.2005
    Piazza Montecitorio. Der Platz vor dem italienischen Parlament im Herzen Roms ist seit einigen Tagen Ort spontaner Demos. Unerlaubter Demos, aber die Polizei greift nicht ein. Die Ordnungskräfte wissen, dass die Beziehungen zwischen den Demonstrierenden und der Bildungsministerin so gespannt sind, dass es zu Zusammenstössen mit der Polizei kommen könnte und genau das soll verhindert werden.

    Transparente werden hochgehalten, die das Konterfei von Letizia Moratti zeigen, der, so die Tageszeitung "il Manifesto", "meistgehasstesten Politikerin Italiens".

    Auch in der politikwissenschaftlichen Fakultät der römischen Universität "La Sapienze" finden inzwischen täglich Kundgebungen statt. Gegen die Universitätsreform der Moratti. In einer Aula der Fakultät versuchen sich einige Studierende, unter dem Applaus ihrer Kommilitonen, im Zielwerfen: es geht darum, Bälle auf ein Poster zu schießen, dass die Ministerin zeigt.

    Seit einigen Tagen hat sich der Protest von Hochschulprofessoren und anderen Lehrenden sowie Studierenden gegen die Universitätsreform verschärft. Die Kundgebungen sind häufiger und aggressiver geworden. Die Tatsache, dass die Ministerin in keiner Weise einlenkt und zu Gesprächen bereit ist, mache die Situation, so Marco Venini, er studiert Kunstgeschichte, nur noch
    schwieriger:

    Das ist eine Protestwelle, die immer mehr Hochschulen ergreift. Es geht ja nicht nur um die von der Ministerin beschlossenen Einsparungen im Bereich Forschung und Lehre, sondern auch darum, dass Nachwuchswissenschaftler keine Möglichkeit mehr auf eine Festanstellung haben werden, wenn die Moratti-Reform Realität wird. Gegen diese Reform kämpfen Wissenschaftler und andere Intellektuelle wie zum Beispiel Umberto Eco.

    Die Reform sieht vor, dass wissenschaftlicher Nachwuchs höchstens zwei Mal auf Zeit in einer staatlichen Forschungseinrichtung Anstellung finden kann. Läuft auch der zweite Zeitvertrag aus gibt es keine Hoffnung auf Neueinstellung. Arbeitslosigkeit ist die Folge. Die Reform, die in den nächsten Wochen im Parlament verabschiedet werden soll, wird von fast allen Rektoren und Professoren italienischer Hochschulen entschieden abgelehnt. Eine Ausnahme macht Renato Guarini, der neue Rektor der "La Sapienza", der mit rund 300.000 Studierenden größten Hochschule Europas. Aus Protest gegen seine, so "La Stampa", "Kritiklosigkeit der Reform gegenüber" besetzten Studierende seine Büros. Besetzt sind inzwischen auch zahlreiche Fakultäten. Dazu Ennio Francescini, Dozent für Mathematik an "La Sapienza":

    Unser Protest ist die letzte Möglichkeit der Ministerin klar zu machen, dass sie ihre Reform ändern muss. Deshalb unterstützen wie aus der Mathematik die Proteste und Besetzungen. Auch bei uns werden bis auf weiteres weder Veranstaltungen stattfinden noch Prüfungen abgehalten. Wir werden weitermachen bis die Ministerin bereit ist mit uns zu sprechen und uns zu respektieren.

    "La Sapienza" ist so groß wie ein ganzer Stadtteil. Die einzelnen Institute nehmen immense Palazzi ein. In vielen Gebäuden herrscht gähnende Leere: Studierende und Lehrende erscheinen erst gar nicht zur Arbeit. Diplom- und Doktorandenprüfungen fallen reihenweise aus. Das Bildungsministerium protestiert und Rektor Guarini weiß nicht wie er der Lage Herr werden soll. Maria Angele Fallani, Physikerin und mit einem Zeitvertrag bei der Universität angestellt, sieht düstere Zeiten auf sich selbst und ihre Kollegen zukommen, sollte die Ministerin nicht einlenken und wesentliche Punkte ihrer umstrittenen Reform revidieren:

    Es gibt unter uns viele schwache Personen, die Angst haben zu demonstrieren, weil sie befürchten, keinen zweiten Zeitvertrag mehr zu erhalten. Aber wenn wir uns jetzt nicht auflehnen, dann wird es bald tausende von arbeitslosen Nachwuchswissenschaftlern geben, dann werden die Studiengebühren, auch das sieht die Reform vor, enorm steigen und ganze Fachbereiche gestrichen. Gleichzeitig werden private Hochschulen mit Staatsgeldern ausgebaut.

    Während im staatlichen Bildungsbereich drastisch gespart werden soll bewilligte Letizia Moratti für das Jahr 2005 mehr Geld für private Universitäten. Das heimliche Ziel der Ministerin scheint die Bevorzugung privater Einrichtungen zu sein, die, so erklärte sie einmal, international konkurrenzfähiger sein können als der schwerfällige staatliche Hochschulapparat. Bei ihrem Protest, so die Studierenden und Hochschullehrer, geht es deshalb nicht nur um die einzelnen Punkte der Moratti-Reform, sondern auch um eine Art Kulturkampf - zur Verteidigung staatlicher Bildungseinrichtungen gegen die Bevorzugung privater Strukturen.