
Landminen gehören zu den perfidesten Waffen überhaupt. Billig produziert und in Kriegsgebieten zigtausendfach im Boden ausgelegt, töten und verwunden die Sprengsätze nicht nur Soldaten. Die meisten Opfer kommen aus der Zivilbevölkerung. Oft sind es Kinder, die noch Jahre nach dem Ende der eigentlichen Kampfhandlungen beim Spielen durch Minen verstümmelt oder gar getötet werden.
Kambodscha, Afghanistan, Bosnien – das grausame Erbe der Kriege dort forderte Mitte der 1990er Jahre so viele Opfer, dass über einen Bann dieser Waffe diskutiert wurde. Daraus entwickelte sich das Ottawa-Abkommen, dass 1997 geschlossen wurde. Es verbietet Einsatz, Produktion, Lagerung und Weitergabe dieser Waffen. 164 Staaten weltweit haben den Vertrag ratifiziert.
Im Angesicht des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine haben nun jedoch fünf EU-Länder ihren Austritt beschlossen. Ist dies der Anfang vom Ende des Landminen-Banns?
Die fünf EU-Mitgliedsländer Finnland, Polen sowie die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland wollen aufgrund der verschärften Sicherheitslage an ihren Grenzen zu Russland und Belarus nicht länger auf Landminen verzichten. Sie sehen darin ein Mittel, das mehr militärische Handlungsoptionen liefert, um sich gegen einen etwaigen russischen Vormarsch verteidigen zu können.
Die Militärs dieser Länder betonen, dass Minenfelder den Gegner dazu zwingen, langsamer vorzugehen, da dieser die Minen räumen oder umgehen muss. Darüber hinaus können Minen den Feind in bestimmte Geländeabschnitte lenken, wo er leichter bekämpft werden kann. Schließlich sollen Minen, insbesondere in schwer kontrollierbarem Gelände, als zusätzlicher Schutz gegen unentdeckte Grenzverletzungen dienen.
Finnlands Botschafter in Berlin, Kai Sauer, betont, dass die 1340 Kilometer lange Grenze Finnlands zu Russland besonders lang und daher schwer allein mit Soldaten zu verteidigen sei; Minen seien hierfür notwendig. Finnlands Entscheidung beruhe auf einer militärischen Bewertung der Lage, sagt Sauer. Die Kämpfe in der Ukraine zeigten einen „Hybridkrieg“, auf den man sich einstellen müsse, in dem sowohl sehr alte, traditionelle als auch ultramoderne Mittel wie Drohnen und Künstliche Intelligenz genutzt würden. Angesichts der russischen Vorgehensweise in der Ukraine, bei der mobilisierte Kräfte ohne große Rücksicht auf Verluste eingesetzt werden, müssten die Gegenmittel darauf zugeschnitten sein, und Minen seien für Finnland „ein Teil dieser Antwort“.
Völkerrechtler befürchten einen Dominoeffekt, also weitere Aussteiger aus dem Ottawa-Abkommen. Botschafter Sauer sieht diese Gefahr in Europa nicht, da Länder wie Deutschland, Frankreich oder Spanien keine Gefahr von unmittelbaren Nachbarn drohe und somit die Sicherheitslage grundlegen anders zu bewerten sein.
Große Länder wie Russland, Indien, China und die USA sind der Ottawa-Konvention nie beigetreten, ebenso wenig wie militärisch exponierte Länder wie Israel, Iran oder die beiden koreanischen Staaten, die Landminen einsetzen. Norwegen hingegen setzt bei der Verteidigung seiner Grenze zu Russland auf andere, moderne Waffensysteme, die den Gegner aus der Luft, vom Wasser und von Land aus attackieren können. Manche Experten halten einen „Drohnenwall“ ohnehin für effektiver als eine Grenze aus Panzersperren und Minen.
Warum sind Landminen so eine umstrittene Waffe?
Landminen sind eine geächtete Waffe, weil sie - einmal verlegt - noch Jahrzehntelang gefährlich bleiben und damit vor allem die Zivilbevölkerung treffen. Die Räumung ist teuer, mühsam und gefährlich, wie Yevhanii Shabunia am eigenen Leib erfahren musste. Der Ukrainer verlor im April 2022 einen Teil seines Beines, als er auf eine neuartige russische Kunststoffmine trat, die sein Metalldetektor nicht aufspüren konnte.
Minen wurden von vielen Ländern weltweit verboten, betont Eva Maria Fischer von der gemeinnützigen Organisation Handicap International, weil klar wurde, dass die humanitären Folgen, auch für die eigene Bevölkerung, deutlich größer waren als der militärische Nutzen.
Laut dem von ihrer Organisation veröffentlichten „Landminen-Monitor“ starben 2024 über 5000 Menschen durch Landminen. Über 80 Prozent der bekannten Opfer waren Zivilisten, rund ein Drittel Kinder. Die meisten Opfer gab es in Myanmar und Syrien mit jeweils rund 1000 Getöteten.
Das Erschreckende: Der Einsatz von Antipersonenminen macht Konfliktzonen auch nach dem Ende der Kämpfe instabil, behindert den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung. Beispiel Irak: der Staat gehört zu den flächenmäßig am meisten verminten Ländern der Welt. Rund 25 Millionen Antipersonenminen – so die Schätzung - liegen dort vergraben. Landminen hemmen dort vor allem die Landwirtschaft. Bauern können Flächen nicht nutzen. Werden sie selbst durch einen Sprengsatz verstümmelt kommt zu wenig Hilfe vom Staat, die Familien haben große Schwierigkeiten die fehlende Arbeitskraft aufzufangen.
Was besagt das Ottawa-Abkommen?
Das Ottawa-Abkommen, offiziell die Konvention zum Verbot von Antipersonenminen, ist ein seit 1997 bestehender Meilenstein internationaler Abrüstungspolitik. Das Abkommen verbietet nicht nur den Einsatz, sondern auch die Herstellung, Lagerung und Weitergabe von Antipersonenminen. Der Einsatz von größeren Anti-Panzer-Minen bleibt von dem Abkommen unberührt.
Zum Erfolg der Ottawa-Konvention zählt, dass bis heute mehr als 55 Millionen Antipersonenminen offiziell aus Armeebeständen vernichtet wurden. Dies hat zu einer drastischen Reduzierung der zivilen Opfer geführt: von rund 20.000 Opfern pro Jahr vor 1999 auf jährlich nur noch etwa 5.000. Dank des Abkommens ist auch die Minenräumung in den letzten zwei Jahrzehnten stark vorangekommen, wodurch einst stark minenverseuchte Länder wie Mosambik und Ruanda fast vollständig von den heimtückischen Sprengfallen befreit werden konnten.
Das Abkommen enthält auch konkrete Vereinbarungen zur Minenräumung innerhalb bestimmter Fristen und mit bestimmten Mitteln sowie zur Unterstützung der betroffenen Menschen, um eine nachhaltige Lösung für das Problem zu finden. Deutschland zählt dabei zu den wichtigsten Geldgebern solcher Minenräumungskampagnen weltweit.
Wegbereiter des Ottawa-Abkommens ist die Internationale Kampagne zur Ächtung von Landminen (International Campaign to Ban Landmines, ICBL), zu der auch die Nichtregierungsorganisation Handicap International gehört. ICBL wurde 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Eva Maria Fischer von Handicap International beschreibt das Abkommen als einen großen Erfolg und ein Vorbild für andere Abrüstungsverträge, wie das Verbot von Streumunition, und für die Zusammenarbeit zwischen willigen Staaten und der Zivilgesellschaft.
Bedeuten die Austritte das Ende des Ottawa-Abkommens?
Der angekündigte Austritt der fünf EU-Länder alarmiert Völkerrechtler. Sie befürchten einen Dominoeffekt. Abrüstungs-Aktivistin Eva-Maria Fischer hält es für „ein gefährliches Signal an die internationale Gemeinschaft, dass selbst etablierte Abrüstungsnormen jederzeit verhandelbar und nationalen Interessen untergeordnet werden können.“
Dabei tritt die EU seit Jahrzehnten auf der Weltbühne als Befürworterin von Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung auf. Durch die aktuelle Entwicklung könnten zudem Verhandlungen über neue Abrüstungsabkommen, etwa im Bereich autonomer Waffensysteme oder cybergestützter Kriegsführung, erschwert werden, meint Fischer.
Finnlands Botschafter Sauer sieht die Gefahr weiterer Austritte aus dem Abkommen mit Blick auf Europa nicht, da Länder wie Deutschland, Frankreich oder Spanien keine Gefahr von unmittelbaren Nachbarn drohe und somit die Sicherheitslage grundlegend anders zu bewerten sein.
Gunnar Köhne, Jens Krepela