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Langguth: Auch Schröder arbeitet an seinem Bild in der Geschichte

Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth hält den Vorwurf von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gegenüber seiner Nachfolgerin Angela Merkel, Außenpolitik mit zu viel Emotionen zu betreiben, für falsch. Schröders Kritik an Merkel diene auch der eigenen Positionierung. Möglich sei auch, dass er Frank-Walter Steinmeier in seiner Position als Außenminister stützen wolle.

Moderation: Dirk Müller |
    Müller: Wie man sieht, irrt Gerhard Schröder hin und wieder, das war vor zwei Jahren, 2005, nach dem Wahlabend. Aber der Exkanzler kritisiert nach wie vor die Kanzlerin, vor allem in der Außenpolitik, Beispiel China, der Dalai Lama, und jetzt wieder aktuell erneut Russland. Gerhard Schröder findet es fahrlässig, wie Angela Merkel Politik macht gegenüber Moskau und Politik macht gegenüber Peking. Doch was steckt wirklich dahinter. Will er vielleicht auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier helfen, dessen Außenpolitik besser durchzusetzen im Kanzleramt. Wir wollen darüber sprechen mit Prof. Gerd Langguth, Politikwissenschaftler an der Universität in Bonn, guten Tag!

    Gerd Langguth: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Langguth, ist der Exkanzler ein Nachtreter?

    Langguth: Na, so will ich es nicht sagen. Aber er ist natürlich auch einer, der auch sich selbst natürlich mit im Blick hat, wenn er nämlich Merkel kritisiert wegen ihrer Politik gegenüber Russland, auch in Sachen Dalai Lama, China, dann will er natürlich damit auch relativieren, dass er zum Thema Menschenrechte sich weniger klar und präzise geäußert hat. Denken Sie daran, sein Wort von Putin, den er eben als Musterdemokraten damals dargestellt hat.

    Müller: Hat er ein schlechtes Gewissen?

    Langguth: Nein, haben Politiker schlechte Gewissen, das ist die prinzipielle Frage. Nein, so würde ich es nicht sehen. Aber jeder arbeitet natürlich an seinem Bild in der Geschichte, und das tut natürlich Schröder hier auch, aber sicherlich will er auch seinem früheren, engen Weggefährten, Frank-Walter Steinmeier, ein Stück weit auch helfen, ein entsprechendes Profil zu gewinnen. Denn es stellt sich natürlich auch innerhalb der SPD trotz der klaren Unterstützung für den Beck-Kurs oder halbklaren Unterstützung auf dem SPD-Bundesparteitag doch die Frage, wird Beck Kanzlerkandidat der SPD werden, oder wird es vielleicht doch Frank-Walter Steinmeier, der natürlich jetzt auch als Vizekanzler noch eine zusätzliche Prestigemöglichkeit zum Einsatz bringen kann.

    Müller: Ist das dann vielleicht eine Art solidarische Hilfe von Schröder für Steinmeier?

    Langguth: Ich glaube, es ist beides. Denn natürlich muss auch Schröder ein Interesse haben, dass Steinmeier, der ja aus seinem Stamm kommt, auch entsprechend reüssiert. Und man darf ja nicht vergessen, dass Steinmeier grade zu Beginn seiner Arbeit als Außenminister ja in besonderer Weise damals der Unterstützung von Frau Merkel bedurfte, denn ihn hatten ja noch die Dinge um Herrn Kurnaz eingeholt, die Frage, wie also in Guantánamo mit Leuten umgegangen wurde, die auch eben mal in Deutschland gelebt haben, also in diesem Falle Kurnaz, der aus Bremen stammt, wenn er auch türkischer Staatsbürger ist. Und das hat ja doch lange Zeit viele Monate den Bundestag beschäftigt, und hier war natürlich Steinmeier auch auf die Unterstützung durch Frau Merkel angewiesen. Aber die Zeit ist jetzt ein Stück weit vorbei, denn er hat jetzt auch eigene Autorität natürlich gewonnen, weil er stellvertretender Parteivorsitzender wurde.

    Müller: Blicken wir, Herr Langguth, noch einmal auf den Ex-Kanzler. Ist es für ihn wichtig, dass im Grunde sein politisches Erbe jetzt nicht durch ein Entschwenken der Außenpolitik beschädigt wird?

    Langguth: Ja. Man muss natürlich sagen, generell haben sich ja in der Regel allerdings immer die Nachfolger doch zurückgehalten, in Sachen Außenpolitik die Vorgänge heftig zu kritisieren, obwohl es natürlich nie ganz durchgehalten wurde. Natürlich will Schröder sich selbst ein Bild setzen. Auch er hat ja schnell zur Waffe des Schreibens gegriffen und dann auch entsprechende Memoiren in einem atemberaubenden Tempo vorgelegt, wo er natürlich auch die Zielsetzung hat, diese Denkmalsetzung eben entsprechend vorzunehmen. Und Staatsmänner können natürlich am besten mithilfe der Außenpolitik und der Darlegung ihrer Außenpolitik dann in der deutschen Öffentlichkeit brillieren.

    Müller: Reden wir einmal über das Argument. Er wirft Merkel vor, zu viel mit dem Bauch, mit zu viel Emotionen zu entscheiden.

    Langguth: Ja, das ist natürlich ... Ob das so richtig ist, bin ich nicht so sicher. Frau Merkel kalkuliert natürlich sehr klar und kühl. Sie müssen sehen, Frau Merkel hat allein, ob man das jetzt für gut hält oder nicht, sei dahingestellt, durch den überraschenden Besuch von Dalai Lama im Kanzleramt ja auf einmal Wogen der Sympathie, grade in Wählerkreisen, für sie hervorgebracht, die zum Beispiel in Chatrooms dauernd erklärt haben, sie hätten noch nie gedacht, dass sie jemals in ihrem Leben Frau Merkel loben müssten. Aber Dalai Lama verfügt eben doch bei breiten Teilen der deutschen Bevölkerung über eine große Sympathie, und die Ex-DDR-Bürgerin Merkel will natürlich ein Stück weit damit auch symbolisieren, was das Thema Freiheit auch für sie persönlich bedeutet. Und ob das aus dem Bauch heraus ist, oder ob das klares, nüchternes Kalkül ist, das sei einmal dahingestellt. Also Bauchpolitik, glaube ich, hat Frau Merkel bisher noch nicht betrieben.

    Müller: Also wenn das kalkuliert ist, könnte man sagen, dass alles, was sie jetzt gemacht hat, zählt mehr als beispielsweise, schlicht auf den Punkt gebracht, Aufträge für die deutsche Industrie?

    Langguth: Ja, das kann man natürlich so sagen. Natürlich ist immer die Frage bei der Außenpolitik, wo ist die Wertgebundenheit der eigenen Überzeugung, und wo stehen knallharte, auch eigene, wirtschaftspolitische Interessen. Das war immer der Fall. Es war auch mit Helmut Kohl, wenn er nach China gereist ist. Es war auch natürlich mit Schröder der Fall, aber in irgendeiner Form wird ja die Politik auch immer wieder von Fragen von Menschenrechten und sonst was eingeholt. Und man muss ja bei Frau Merkel sehen, kaum ist sie im Amt gewesen, hat sie ja schon zunächst mit Condoleezza Rice und dann mit George W. Bush die Frage von Guantánamo angesprochen. Sie hat sich zum Thema China geäußert, sie war, als sie ihren Antrittsbesuch in Moskau machte, hatte sie auch Vertreter der Opposition in die deutsche Botschaft eingeladen, was vorher in dieser Form so Schröder nicht gemacht hat. Also hier hat sie schon einen deutlich anderen Kurs als ihr Vorgänger, und das stört denselben natürlich, und das kann ich natürlich auch nachvollziehen.

    Müller: Nun sagen ja viele Realpolitiker, die sich mit dem internationalen Umfeld beschäftigen, das, was Angela Merkel als Kanzlerin gemacht hat, ist so etwas wie politisch naiv. Das ist schön für die Menschenrechte, aber schlecht für die politischen Beziehungen gegenüber anderen diktatorischen Staaten, beispielsweise Saudi Arabien erhalten wir ja auch nun unsere Beziehungen, und ohne dort konsequent zu sein. Kann das sein, dass das politisch alles nach hinten losgeht, zum Beispiel auch mit Blick auf Moskau?

    Langguth: Ja sicher. Natürlich ist da bei dieser Politik ganz zweifellos ein Risiko dabei. Das ist ja nicht zu bestreiten. Man sieht ja auch, wie jetzt China entsprechend reagiert und eine Konferenz nach der anderen absagt. Und natürlich kann man sagen, bei der Energieabhängigkeit, in der wir auch gegenüber Moskau stehen, muss man natürlich auch immer noch darauf hinweisen, dass Moskau ein wichtiger, langfristiger, strategischer Partner für Deutschland und die EU sein muss. Umgekehrt erinnere ich mich aber auch, als noch Helmut Kohl beispielsweise Kanzler war, dass ihm seinerzeit von der SPD und insbesondere von den Grünen vorgeworfen wurde, er hätte das Menschenrechtsthema bei seinen Besuchen in diversen Ländern überhaupt nicht angesprochen. Also dass diese Frage ... Ich sag es noch einmal, dies ist eine Frage sowohl der eigenen moralischen Grundüberzeugung, die wir auch als westliche Staaten mit unserem Wertekanon zu vertreten haben, natürlich aber auch Interessenpolitik, die wir auch natürlich zu vertreten haben, und das ist nicht immer einfach, das zusammenzubinden.

    Müller: Inwieweit wird Frank-Walter Steinmeier in den nächsten Monaten als Vizekanzler Interesse daran haben, dass seine Außenpolitik so entwickelt wird, dass sie gegen die Außenpolitik des Kanzleramts entsteht?

    Langguth: Also ich glaube, wenn er das machen würde, dann würde er weder dem Amt gut dienen noch, glaube ich, dass es so ganz generell seine Politik sein kann und sein wird. Denn er weiß ja als früherer Kanzleramtsminister, dass ja doch vernünftige, gediegene Beziehungen zum Kanzleramt wichtig und notwendig sind zum Gedeihen der deutschen Außenpolitik. Er muss natürlich andererseits auch ein Stück weit eigenes Profil zeigen. Die Kanzlerin ist ja immer schon da. Wissen Sie, wenn der Außenminister plante, nach Grönland zu fahren, ja auf einmal war sie schon im roten Anorak der Deutschen Gesellschaft für Schiffbrüchige und hat sich dort vor dem schmelzenden Eis ablichten lassen.

    Müller: Also ist Steinmeier gar kein Außenminister mehr?

    Langguth: Bitte?

    Müller: Also ist Steinmeier kein Außenminister?

    Langguth: Doch, natürlich ist er Außenminister, aber Merkel ist ungeheuer schnell. Kaum wirft man ihr vor, und er hat es ja auch mal angedeutet, sie müsse doch auch mal nach Afghanistan fahren, auf einmal hat sie das sofort verbunden mit einer Reise, als sie nach Japan gefahren ist und von Japan zurückkommend. Also Merkel hat einfach als Bundeskanzlerin den direkten Draht auch zu den anderen Regierungschefs dieser Welt, und das macht natürlich das Leben für Steinmeier so schwer. Das hatte auch Genscher unter Kohl ja schon als Problem gehabt und teilweise ja auch Joseph Fischer unter Schröder.

    Müller: Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth war das. Vielen Dank für das Gespräch!

    Langguth: Danke auch!

    Müller: Wiederhören!