Silvia Engels: Am Telefon ist Professor Gerd Langguth, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Guten Morgen, Herr Langguth!
Gerd Langguth: Guten Morgen, Frau Engels!
Silvia Engels: Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger schwankte ja am Wochenende erkennbar in seinen Positionen hin und her. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Langguth: Ja, also ich glaube, er hat die Wucht der Ereignisse so am Anfang gar nicht erkannt. Und er hat festgestellt, wenn er nicht ein Stück weit einknickt, dass er dann doch vielleicht mit Rücktrittsforderungen überhäuft wird, die dann zum Schluss irgendwann nicht mehr zu halten sind.
Engels: Aber inwieweit passiert das einem Politikprofi wie Günther Oettinger, er müsste doch wissen, dass NS-Debatten und -Vergleiche und Relativierungen dieser Zeit in der deutschen Öffentlichkeit einfach nicht gut ankommen?
Langguth: Ja, das hätte er wissen müssen, das ist natürlich in der Tat so. Der Fall, Filbinger hatte deshalb ja diese Brisanz generell, weil die klare Verwerfung des Nazi-Regimes, also die Grundkonstituante der neuen Bundesrepublik war. Er ist ja kein Geschichtsdeuter bisher. Oettinger hat sich ja nicht durch große geschichtliche Theorien etwa bisher profiliert, er ist ja Mann mehr der Ökonomie und anderer Fragen. Und ich glaube, er hat einfach auch bei seiner Rede unterschätzt, welche Bedeutung das Ganze hat. Ich glaube übrigens nicht, dass da dahinter irgendwie eine spezifische politische Strategie von ihm steckte, dass er etwa eine bestimmte Wählerschicht jetzt hier integrieren wollte, sondern das ist einfach so gekommen, wie das halt kommt, wenn so Reden vorbereitet werden, wo man die Brisanz vorher in dieser Deutlichkeit nicht erkannt hatte. Er wollte wahrscheinlich insbesondere der Familie was antun, was dort akzeptiert wird. Aber ansonsten muss ich sagen, ist das sehr schwer erklärbar.
Engels: Wenn es keine Strategie war, am rechten Rand zu fischen, wie ja der SPD-Chef Beck Herrn Oettinger unterstellt, warum hat er sich dann nicht früher entschuldigt, denn er hat ja das Echo doch durchaus gehört?
Langguth: Er hat das Echo gehört, hat aber wahrscheinlich gedacht, er könne es ein Stück weit aussitzen. Sie müssen sehen, er hatte ja im ersten Moment ja doch von seiner baden-württembergischen CDU die volle Unterstützung bekommen - von Herrn Mappus beispielsweise, dem Fraktionsvorsitzenden, oder aber auch von dem Vorsitzenden der Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Also er dachte, er könne das vielleicht aussitzen. Aber Frau Merkel hat dann doch gezeigt, wo es längs geht. Das ist überhaupt das Interessante für mich, dass Frau Merkel hier einen Weg beschritten hat, der so eigentlich bisher noch nie gewesen ist, dass nämlich ein Ministerpräsident abgewatscht wurde in einer so wichtigen geschichtspolitischen Frage, das hat es noch nie gegeben. Ich glaube, das hat sie aber ganz bewusst gemacht, weil sie auch gemerkt hat, dass das ein Thema ist, das sonst die Bundes-CDU erreicht hätte. Und sie musste es aus diesem Grunde eben auch machen, denn die internationalen Proteste wurden ja lauter und lauter.
Engels: Wie ist denn die Person des langjährigen und ja seit Jahrzehnten umstrittenen Ministerpräsidenten Hans Filbinger in der CDU noch verankert, denn das konservative Potenzial im Südwesten haben Sie ja angesprochen. Ist das auch ein Machtkampf, gegen den sich Frau Merkel da deutlich positioniert hat?
Langguth: Nein, ich glaube, das ist kein Machtkampf, ich glaube noch nicht einmal, dass da eine spezifische Strategie etwa von Herrn Oettinger seinerzeit drin war. Ich glaube, man muss zunächst sehen, dass Filbinger, er ist ja ein verbitterter Mann gewesen, der bis zur letzten Minute um seine Rehabilitation kämpfte. Und insbesondere hat er in Baden-Württemberg eben jeden Politiker immer wieder auf sein Schicksal angesprochen, und hier muss man sehen, dass natürlich in dieser Sekunde auch bei einem solchen Gottesdienst dann auch natürlich Oettinger der Familie was Gutes tun wollte und dass er eben diese Brisanz unterschätzt hat. Ich glaube also nicht, dass es eine politische Dimension hatte, wie das häufig gedacht wurde. Aber eins muss man natürlich sehen: Frau Merkel hat doch deswegen einen wichtigen Schritt getan, weil sie damit der Relativierung von Diktaturen als solchen entgegenwirkte, denn die ganze Diktatur-Diskussion - die ostdeutsche Merkel ist ja jemand, die ja da spezifische eigene Erfahrungen hat -, diese Relativierung der Diktatur-Diskussion, die kann sie ja nicht mitmachen, denn es wird ja eines Tages mal zur Diskussion auch kommen, etwa, wie hält man es beispielsweise innerparteilich, innerhalb anderer Parteien, mit der PDS, wenn die in einem neuen Bündnis vielleicht PDS/SPD miteinander diskutieren wollen, miteinander kooperieren wollen, da wird dann Merkel sagen, ich habe immer mich dagegen gewandt, dass wir Diktaturen als solche relativieren wollen, und dass man also auch die DDR-Erfahrung hier mit einbauen muss und mit sehen muss.
Engels: Ich habe es erwähnt: Bis auf Generalsekretär Pofalla haben es hochrangige CDU-Politiker - vorneweg die Ministerpräsidenten - am Wochenende vermieden, sich in irgendeiner Form zur Trauerrede von Günther Oettinger zu äußern. Was bedeutet es, dass die ansonsten ja nicht immer zurückhaltenden Unions-Ministerpräsidenten gar nichts sagten - nicht für und nicht gegen Merkel, nicht für und nicht gegen Oettinger?
Langguth: Man muss sehen, dass natürlich Oettinger jemand ist, der ist ja ein mächtiger Mann innerhalb der CDU. Und die CDU Baden-Württemberg ist ja eine Landespartei, die ja nun wirklich auch Einfluss hat. Und es gibt natürlich manche, die wollen sich weder mit Merkel anlegen, noch wollen sie sich mit Oettinger anlegen. Und die Tatsache, dass Merkel eben ein solches Telefonat öffentlich machte, ist ja in dieser Form schon ungewöhnlich. Und dass man hier jetzt keine Lust hatte, sich etwa hinter Oettinger zu stellen, weil man hier in den Verdacht kommt, dass man vielleicht damit indirekt auch Filbinger stützen will, das ist natürlich die andere Seite. Man will sich raushalten aus dieser Angelegenheit. Ich glaube allerdings auch, dass viele der Ministerpräsidenten, die es ja gibt, sich das genau merken werden. Und die Sympathie, die einige Ministerpräsidenten für Frau Merkel haben, wird dadurch nicht gestärkt, denn sie müssen natürlich damit rechnen, dass Frau Merkel auch in einer anderen Situation heftig einmal Ministerpräsidenten angreift.
Und Frau Merkel hat hier wirklich den Weg des Risikos gemacht, sie hätte die Dinge ja auch ihrerseits aussitzen können, hätte sagen können, hier bitte, ich werde jetzt hier mich dazu überhaupt nicht äußern. Aber sie hat eben blitzschnell erkannt, wenn sie selber hier nichts macht, dann geht es letztlich auch mittelfristig gegen sie, denn wenn sie eben nicht ihrerseits klare Position bezieht, dann würde eben auch ihr vorgeworfen werden können, dass sie sich einer solchen Relativierung von Diktaturen beugen würde.
Engels: Herr Oettinger, nein, nicht Herr Oettinger, entschuldigen Sie, Herr Langguth natürlich, ganz kurz zum Schluss: Ist Herr Oettinger damit aus dem Schneider oder nicht?
Langguth: Nein, nicht, weil ich glaube, dass so ein Zick-Zack-Kurs ihm jetzt doch noch ein paar Probleme bringen wird, aber irgendwann wird ein neues Thema kommen, so dass es dann auch irgendwann vielleicht vergessen sein wird.
Engels: Besten Dank. Wir sprachen mit dem Politikwissenschaftler der Universität Bonn, Professor Gerd Langguth. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Langguth: Danke auch.
Gerd Langguth: Guten Morgen, Frau Engels!
Silvia Engels: Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger schwankte ja am Wochenende erkennbar in seinen Positionen hin und her. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Langguth: Ja, also ich glaube, er hat die Wucht der Ereignisse so am Anfang gar nicht erkannt. Und er hat festgestellt, wenn er nicht ein Stück weit einknickt, dass er dann doch vielleicht mit Rücktrittsforderungen überhäuft wird, die dann zum Schluss irgendwann nicht mehr zu halten sind.
Engels: Aber inwieweit passiert das einem Politikprofi wie Günther Oettinger, er müsste doch wissen, dass NS-Debatten und -Vergleiche und Relativierungen dieser Zeit in der deutschen Öffentlichkeit einfach nicht gut ankommen?
Langguth: Ja, das hätte er wissen müssen, das ist natürlich in der Tat so. Der Fall, Filbinger hatte deshalb ja diese Brisanz generell, weil die klare Verwerfung des Nazi-Regimes, also die Grundkonstituante der neuen Bundesrepublik war. Er ist ja kein Geschichtsdeuter bisher. Oettinger hat sich ja nicht durch große geschichtliche Theorien etwa bisher profiliert, er ist ja Mann mehr der Ökonomie und anderer Fragen. Und ich glaube, er hat einfach auch bei seiner Rede unterschätzt, welche Bedeutung das Ganze hat. Ich glaube übrigens nicht, dass da dahinter irgendwie eine spezifische politische Strategie von ihm steckte, dass er etwa eine bestimmte Wählerschicht jetzt hier integrieren wollte, sondern das ist einfach so gekommen, wie das halt kommt, wenn so Reden vorbereitet werden, wo man die Brisanz vorher in dieser Deutlichkeit nicht erkannt hatte. Er wollte wahrscheinlich insbesondere der Familie was antun, was dort akzeptiert wird. Aber ansonsten muss ich sagen, ist das sehr schwer erklärbar.
Engels: Wenn es keine Strategie war, am rechten Rand zu fischen, wie ja der SPD-Chef Beck Herrn Oettinger unterstellt, warum hat er sich dann nicht früher entschuldigt, denn er hat ja das Echo doch durchaus gehört?
Langguth: Er hat das Echo gehört, hat aber wahrscheinlich gedacht, er könne es ein Stück weit aussitzen. Sie müssen sehen, er hatte ja im ersten Moment ja doch von seiner baden-württembergischen CDU die volle Unterstützung bekommen - von Herrn Mappus beispielsweise, dem Fraktionsvorsitzenden, oder aber auch von dem Vorsitzenden der Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Also er dachte, er könne das vielleicht aussitzen. Aber Frau Merkel hat dann doch gezeigt, wo es längs geht. Das ist überhaupt das Interessante für mich, dass Frau Merkel hier einen Weg beschritten hat, der so eigentlich bisher noch nie gewesen ist, dass nämlich ein Ministerpräsident abgewatscht wurde in einer so wichtigen geschichtspolitischen Frage, das hat es noch nie gegeben. Ich glaube, das hat sie aber ganz bewusst gemacht, weil sie auch gemerkt hat, dass das ein Thema ist, das sonst die Bundes-CDU erreicht hätte. Und sie musste es aus diesem Grunde eben auch machen, denn die internationalen Proteste wurden ja lauter und lauter.
Engels: Wie ist denn die Person des langjährigen und ja seit Jahrzehnten umstrittenen Ministerpräsidenten Hans Filbinger in der CDU noch verankert, denn das konservative Potenzial im Südwesten haben Sie ja angesprochen. Ist das auch ein Machtkampf, gegen den sich Frau Merkel da deutlich positioniert hat?
Langguth: Nein, ich glaube, das ist kein Machtkampf, ich glaube noch nicht einmal, dass da eine spezifische Strategie etwa von Herrn Oettinger seinerzeit drin war. Ich glaube, man muss zunächst sehen, dass Filbinger, er ist ja ein verbitterter Mann gewesen, der bis zur letzten Minute um seine Rehabilitation kämpfte. Und insbesondere hat er in Baden-Württemberg eben jeden Politiker immer wieder auf sein Schicksal angesprochen, und hier muss man sehen, dass natürlich in dieser Sekunde auch bei einem solchen Gottesdienst dann auch natürlich Oettinger der Familie was Gutes tun wollte und dass er eben diese Brisanz unterschätzt hat. Ich glaube also nicht, dass es eine politische Dimension hatte, wie das häufig gedacht wurde. Aber eins muss man natürlich sehen: Frau Merkel hat doch deswegen einen wichtigen Schritt getan, weil sie damit der Relativierung von Diktaturen als solchen entgegenwirkte, denn die ganze Diktatur-Diskussion - die ostdeutsche Merkel ist ja jemand, die ja da spezifische eigene Erfahrungen hat -, diese Relativierung der Diktatur-Diskussion, die kann sie ja nicht mitmachen, denn es wird ja eines Tages mal zur Diskussion auch kommen, etwa, wie hält man es beispielsweise innerparteilich, innerhalb anderer Parteien, mit der PDS, wenn die in einem neuen Bündnis vielleicht PDS/SPD miteinander diskutieren wollen, miteinander kooperieren wollen, da wird dann Merkel sagen, ich habe immer mich dagegen gewandt, dass wir Diktaturen als solche relativieren wollen, und dass man also auch die DDR-Erfahrung hier mit einbauen muss und mit sehen muss.
Engels: Ich habe es erwähnt: Bis auf Generalsekretär Pofalla haben es hochrangige CDU-Politiker - vorneweg die Ministerpräsidenten - am Wochenende vermieden, sich in irgendeiner Form zur Trauerrede von Günther Oettinger zu äußern. Was bedeutet es, dass die ansonsten ja nicht immer zurückhaltenden Unions-Ministerpräsidenten gar nichts sagten - nicht für und nicht gegen Merkel, nicht für und nicht gegen Oettinger?
Langguth: Man muss sehen, dass natürlich Oettinger jemand ist, der ist ja ein mächtiger Mann innerhalb der CDU. Und die CDU Baden-Württemberg ist ja eine Landespartei, die ja nun wirklich auch Einfluss hat. Und es gibt natürlich manche, die wollen sich weder mit Merkel anlegen, noch wollen sie sich mit Oettinger anlegen. Und die Tatsache, dass Merkel eben ein solches Telefonat öffentlich machte, ist ja in dieser Form schon ungewöhnlich. Und dass man hier jetzt keine Lust hatte, sich etwa hinter Oettinger zu stellen, weil man hier in den Verdacht kommt, dass man vielleicht damit indirekt auch Filbinger stützen will, das ist natürlich die andere Seite. Man will sich raushalten aus dieser Angelegenheit. Ich glaube allerdings auch, dass viele der Ministerpräsidenten, die es ja gibt, sich das genau merken werden. Und die Sympathie, die einige Ministerpräsidenten für Frau Merkel haben, wird dadurch nicht gestärkt, denn sie müssen natürlich damit rechnen, dass Frau Merkel auch in einer anderen Situation heftig einmal Ministerpräsidenten angreift.
Und Frau Merkel hat hier wirklich den Weg des Risikos gemacht, sie hätte die Dinge ja auch ihrerseits aussitzen können, hätte sagen können, hier bitte, ich werde jetzt hier mich dazu überhaupt nicht äußern. Aber sie hat eben blitzschnell erkannt, wenn sie selber hier nichts macht, dann geht es letztlich auch mittelfristig gegen sie, denn wenn sie eben nicht ihrerseits klare Position bezieht, dann würde eben auch ihr vorgeworfen werden können, dass sie sich einer solchen Relativierung von Diktaturen beugen würde.
Engels: Herr Oettinger, nein, nicht Herr Oettinger, entschuldigen Sie, Herr Langguth natürlich, ganz kurz zum Schluss: Ist Herr Oettinger damit aus dem Schneider oder nicht?
Langguth: Nein, nicht, weil ich glaube, dass so ein Zick-Zack-Kurs ihm jetzt doch noch ein paar Probleme bringen wird, aber irgendwann wird ein neues Thema kommen, so dass es dann auch irgendwann vielleicht vergessen sein wird.
Engels: Besten Dank. Wir sprachen mit dem Politikwissenschaftler der Universität Bonn, Professor Gerd Langguth. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Langguth: Danke auch.