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Langsame Mühlen

Die Deutschen gehen immer häufiger vor Gericht. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Italien arbeitet die deutsche Justiz zügig, doch hinter den passablen Durchschnittswerten verbergen sich zum Teil außerordentlich lange Wartezeiten. Seit Dezember 2011 haben Betroffene die Möglichkeit, Schadenersatz zu fordern.

Von Matthias Becker | 17.03.2012
    #"2007 war das. Und seitdem gab es also einen riesengroßen Schriftwechsel natürlich erstmal. Und 2007 oder 2008 - ich weiß es gar nicht mehr genau - haben wir unseren ersten Verhandlungstermin endlich bekommen. Also da hat man schon ziemlich lange drauf gewartet. Dann gab es Verfahrensfehler, dann wurde das Ganze noch mal, musste man noch mal antreten. Jetzt habe ich zwei Verhandlungen gehabt und habe jetzt im März, also nach fünf Jahren, meine hoffentlich endgültige Verhandlung."

    Christiane Fischer, 40 Jahre alt, berufstätig. Wie ihr geht es vielen in Deutschland, die auf ein Gerichtsurteil warten. Die Verfahren dauern zu lange, manchmal fünf, sieben oder auch zehn Jahre. Das liegt daran, dass immer mehr Menschen ihre Interessen vor Gericht durchsetzen wollen, es liegt an komplizierten Regelungen und am Gutachterstreit - und besonders liegt es an den Hartz-Gesetzen.

    "Na ja, das bedeutet, dass ich da sitze zum Beispiel vor dem Richter, wie beim letzten Mal, ich glaub', das war vor einem dreiviertel Jahr, und der fragt mich dann, mit wem ich zum Beispiel am 17. März bei der Arbeitsagentur gesprochen habe. Oder ob ich nachweisen könnte, ob ich mit der Arbeitsagentur gemailt oder telefoniert habe. Also ich musste Einzelnachweise meiner Telefonrechnung raus suchen oder Mails, 2007, um nachzuschauen, ob ich da mit der Arbeitsagentur Kontakt hatte. Und davon hängt es jetzt ab, ob ich nachweisen kann, dass ich mich da zu Recht da an- und abgemeldet habe und eben Anspruch auf dieses Arbeitslosengeld I noch habe."

    Seit über einem Jahrzehnt arbeitet Christiane Fischer schon bei einem großen deutschen Fernsehsender - aber das auf Tagesbasis, je nach Bedarf. Für die beschäftigungslose Zeit beantragt sie Arbeitslosengeld. Im Jahr 2007 weigerte sich das zuständige Arbeitsamt, für einen bestimmten Zeitraum zu zahlen. Christiane Fischer nahm sich eine Anwältin und klagte. Es geht um 2000 Euro.

    Dass Kläger so lange auf ihr Urteil warten müssen, ist keine Seltenheit - sagt Ilka Pflantz, die Anwältin von Christiane Fischer.

    "Es ist typisch, dass bestimmte Verfahren auch mal fünf oder sieben Jahre dauern. Das ist der Normalzustand. Wir sagen unseren Mandanten von vornherein, ein Klageverfahren dauert beim Sozialgericht drei Jahre."

    Für viele Betroffene bedeutet die Verzögerung eine große Belastung, erklärt die Rechtsanwältin.

    "Bei allen geht es ja immer ums Geld. Ob's Grundsicherung für Arbeitssuchende ist, Arbeitslosengeld, es geht immer ums Geld. Es geht immer darum, dass Menschen irgendwo eine Entscheidung treffen, die dazu führt, dass andere, die eben die Leistung beantragt haben, ohne finanzielle Mittel da stehen. Wenn sie Glück haben, haben sie Vermögen und können erstmal aus ihrem Vermögen den Lebensunterhalt bestreiten. Aber viele haben eben wirklich Probleme und sind auf dieses Geld angewiesen, und dann ist es natürlich schlimm, wenn man jahrelang warten muss, um eine Entscheidung zu bekommen."

    Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Italien arbeitet die deutsche Justiz zügig. Aber hinter den passablen Durchschnittswerten verbergen sich zum Teil außerordentlich lange Wartezeiten. Bei den Finanzgerichten beispielsweise dauern 15 Prozent der Verfahren länger als drei Jahre. Die Verfahrensdauer unterscheidet sich je nach Region: Ein Verwaltungsgericht in Rheinland-Pfalz braucht für ein Verfahren im Durchschnitt fünf Monate. In Brandenburg dagegen sind es 32 Monate. Auch bei den Oberverwaltungsgerichten schwanken die Durchschnittswerte je nach Bundesland um fast zwei Jahre.

    Die großen regionalen Unterschiede zeigen, dass für die Verzögerungen in erster Linie organisatorische Probleme und zu wenig Personal verantwortlich sind. Dazu kommt: Die Deutschen sind immer häufiger bereit, bei einem Konflikt vor Gericht zu gehen - erklärt Ulrich Schellenberg, Mitglied im Vorstand des Deutschen Anwaltvereins.

    "Ja, wir stellen von Jahr zu Jahr fest, dass die Eingangszahlen höher werden. Das liegt sicher auch darin begründet, dass die Verrechtlichung unserer Gesellschaft voran schreitet. Wir bekommen neue und mehr Gesetze, die Verhältnisse werden komplizierter. Es gibt aber sicher auch eine größer gewordene Bereitschaft, sich für sein Recht auch einzusetzen. Und in soweit dürfte vielleicht auch die Quote der Prozesse größer werden."

    Während es immer mehr Klagen gibt, stagniert die Zahl der Beschäftigten in der Justiz. Im Fall der Richter geht sie sogar leicht zurück. Insofern ist es nicht überraschend, dass Reformvorschläge aufkommen, um die Zahl der Klagen zu senken. So wurden Verfahrensregelungen verschärft und Widerspruchsfristen verkürzt. Auch die Möglichkeit, finanzielle Prozesskostenhilfe zu bekommen, wurde etwas erschwert.

    Besonders umstritten ist ein Vorschlag, der bislang noch nicht umgesetzt ist: Vor der Eröffnung des Verfahrens sollen Kläger eine Gebühr bezahlen müssen, zum Beispiel 75 Euro. Dadurch sollen Prozesse, in denen um nur geringe Geldsummen gestritten wird, unattraktiver werden. Ein Eintrittspreis für die Justiz? Der Vorschlag empört die Anwältin Ilka Pflantz.

    "Was heißt denn hier geringe Summen? Wenn ich nur 374 Euro im Monat zur Verfügung habe und die Behörde gewährt mir 2,70 nicht, das ist eine extrem hohe Summe! Für jemanden, der bloß 374 Euro hat, ist jeder Cent wichtig, weil er muss davon seinen Lebensunterhalt bestreiten. Wenn Klagen anhängig sind, wo von vornherein klar ist, dass hier mutwillig ein Verfahren betrieben wird, dann hat das Gericht heute schon die Möglichkeit, Mutwillenskosten zu verhängen und praktisch eine indirekte Gerichtsgebühr zu erheben. Aber da erst mal von vornherein den Riegel vorzuschieben, dass man sagt, Du darfst erst mal gar nicht klagen, Du musst erst mal 75 Euro bezahlen, kann doch nicht die Norm sein."

    Die Verfahrensänderungen der vergangenen Jahre haben bisher nicht dazu geführt, dass seltener geklagt würde. Regelrechte Abschreckungsmaßnahmen wie eine Gebühr für sozialrechtliche Prozesse sind politisch kaum durchsetzbar. Da bleibt nur die Möglichkeit, die vorhandenen Ressourcen der Justiz effizienter einzusetzen.
    Zu diesem Zweck wollen die Justizminister der Bundesländer die Verwaltungs- und Sozialgerichte zusammenlegen. So könnten Richter flexibler eingesetzt werden, argumentiert der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn.

    "Wir haben in der Justiz einen immer größeren Kostendruck. Und um den Kostendruck ein wenig zu entlasten, müssen wir gerade beim Personal relativ flexibel sein. Wenn Belastungen größer oder kleiner werden, kann man als Justizverwaltung darauf nur bedingt reagieren. Das zeigt zum einen dann, dass man hohe Verfahrensdauern hat, dass es lange dauert, und auf der anderen Seite, dass eine Unterbeschäftigung von Richtern vorliegt."

    Jörg-Uwe Hahn, Mitglied der FDP und derzeit Vorsitzender der Justizministerkonferenz, macht sich dafür stark, die Fachgerichtsbarkeiten zusammenzulegen. Die Idee ist nicht neu. Erstmals forderten das die Justizminister im Jahr 2004 in ihren Vorschlägen für eine "Große Justizreform". Gegenwärtig klingt die Zusammenlegung besonders attraktiv, weil viele Verwaltungsgerichte freie Ressourcen haben, während die Sozialgerichte überlastet sind.

    Die meisten Richter und ihre Verbände sind allerdings entschieden gegen diese Fusion. Auch Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Sie verweist darauf, dass es bereits jetzt - auf freiwilliger Basis - möglich ist, dass Richter zwischen den Gerichtsbarkeiten wechseln.

    "Es ist überhaupt nicht nachgewiesen, dass das irgendetwas erspart. Im Gegenteil, die Aufwendungen, die dafür getroffen werden müssten, zum Beispiel Gerichte unter ein Dach zu bringen. Das sind gewachsene Strukturen. Es ist überhaupt nicht einsehbar, warum das aufgegeben werden soll."

    Bereits im Herbst des vergangenen Jahres haben die Justizminister an das Bundesjustizministerium appelliert, schnell einen Entwurf vorzulegen, um die Zusammenlegung zu ermöglichen. Weil es aber starke Bedenken gibt, ob das Vorhaben überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, fordern sie keine generelle Verschmelzung, sondern eine Art Öffnungsklausel.

    "Ich kann mir vorstellen, dass es Bundesländer gibt, in denen es weiterhin klug ist, die Gerichte nicht zusammenzuführen. In einem mittelgroßen Bundesland wie Hessen ist es klug. Und wir wissen gerade von den Kollegen aus den ostdeutschen Ländern, dass es dringend erforderlich ist, dass eine Zusammenlegung stattfindet. Also wieso nicht eine Optionsmöglichkeit? Der Schlüssel dazu liegt in der SPD-Bundestagsfraktion."

    So oder so wäre auch für diese Justizreform eine Verfassungsänderung nötig - für die keine Mehrheit in Sicht ist. Die Positionen in dieser Frage orientieren sich nicht an der Parteizugehörigkeit. Auch sozialdemokratisch regierte Bundesländer sind für Hahns Vorschlag. Das FDP-geführte Bundesjustizministerium dagegen macht keine Anstalten, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen - obwohl die so genannte Optionslösung im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung steht.

    Besonders betroffen vom Rückstau der Justiz sind alle Gerichte, die wegen des so genannten Amtsermittlungsgrundsatzes verpflichtet sind, einen strittigen Sachverhalt aufzuklären. Das bedeutet dann oft langwierige Ermittlungen und Gutachterstreit. Am langsamsten mahlen die Mühlen der Justiz bei den Familien- und Verwaltungsgerichten - und ganz besonders bei den Sozialgerichten.

    Dort sind die Fallzahlen regelrecht explodiert. 2010 waren es bundesweit 422.000 - 120.000 mehr als vor fünf Jahren, eine Steigerung um mehr als ein Drittel. Der stetige Zustrom sei kaum zu bewältigen, sagt die Sozialrichterin Monika Paulat.

    "Der Richter bearbeitet ein Verfahren vom Eingang, fängt dann an zu ermitteln, wenn Sie sich mal einen Rentenrechtsstreit vorstellen, Befundberichte einholen, Gutachten einholen. Und er hat ja nicht nur ein solches Verfahren, sondern x Verfahren. Irgendwann sind die fertig zur Entscheidung, und dann liegen die sozusagen auf Halde. Weil er kann nur bei einem Verhandlungstermin auch nur eine begrenzte Zahl von Sachen verhandeln. Er kommt gar nicht nach. Wir haben mal ausgerechnet, wenn wir alle Verfahren, die wir haben auf Halde, abbauen wollten, dann müssten wir anderthalb Jahre schließen."

    In Brandenburg wird alle zwölf Minuten ein neues Verfahren angestrengt, ein Richter betreut durchschnittlich 500 Fälle. Viele davon sind Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz; solche Klagen müssen vorrangig entschieden werden. Unterdessen wächst der Aktenberg auf dem Schreibtisch des Richters.

    Bis 2005 bearbeiteten Verwaltungsgerichte Sozialhilfe-Angelegenheiten. Mit den Arbeitsmarktreformen durch die Hartz-Gesetze wurden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Grundsicherung verschmolzen und die Sozialgerichte zuständig. 2005, als die Hartz-Reformen in Kraft traten, wurden jährlich in ganz Deutschland nur etwa 11.000 Fälle entschieden, die die Grundsicherung zum Gegenstand hatten. Fünf Jahre später waren es 154.000 Fälle. Anders gesagt: Die Zahl der Urteile hat sich vervierzehnfacht.

    Eine unklare Rechtslage, das verbreitete Gefühl, die Verwaltungsakte seien ungerecht, und Behörden, die Widersprüche von Arbeitslosen pauschal ablehnen - all das führt immer noch zu einem historischen Höchststand der Eingangszahlen. Viele Richter und Anwälte sagen deshalb, die eigentliche Quelle der Klageflut liege in den Jobcentern. So sieht es auch Robert Nazarek, Referatsleiter für Sozialrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund.

    "Man könnte die Klageflut deutlich einschränken, wenn die Jobcenter anders arbeiten würden. Man kann teilweise auch feststellen, dass Jobcenter nicht wahrnehmen, wie sich die Rechtsprechung entwickelt, und dann einfach weiter Bescheide fehlerhaft erteilen."

    Immer wieder verurteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik wegen unangemessen langer Gerichtsverfahren. Ende des vergangenen Jahres waren noch 130 solcher Klagen anhängig.

    "Jede Person hat ein Recht darauf, dass ( ... ) in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird."

    So steht es in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Schon 2006 sprachen die Straßburger Richter von einem "strukturellen Problem" der deutschen Justiz und bemängelten, dass es keine konkreten Schutzmechanismen für die Geschädigten gäbe. Weil sich die Justizpolitik dennoch nicht bewegte, setze Straßburg schließlich ein Ultimatum, um das Menschenrecht auf ein Verfahren in angemessener Frist und eine wirksame Beschwerde zu gewährleisten. Den erfolgreichen Klägern wurden zum Teil hohe Entschädigungen zugesprochen.

    Nun wird es auch hierzulande einfacher, gegen überlange Verfahren vorzugehen. Seit Dezember 2011 haben Betroffene die Möglichkeit, Schadenersatz zu fordern. Max Stadler, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, glaubt, dass Verzögerungen bald der Vergangenheit angehören werden.

    "Wenn ein Bürger die berechtigte Sorge hat, dass ein Verfahren sich zu lange hinzieht, muss er künftig eine Rüge erheben. Dann wird das Gericht darauf aufmerksam gemacht, die Sache schneller zu behandeln. Und sollte trotzdem das Verfahren eine Überlänge aufweisen, dann gibt es einen Schadensersatzanspruch. Und diese Gefahr, dass der Staat dann finanziell haften muss, wird dazu führen, dass solche überlangen Verfahren künftig nicht mehr stattfinden werden."

    In der Regel sollen 100 Euro pro Monat gezahlt werden. Ob die Verzögerung tatsächlich unangemessen war, darüber entscheiden künftig die Oberlandesgerichte. Aber es gibt auch Kritik an dem neuen Gesetz. Zu kompliziert, zu unbestimmt und vor allem zu wenig - das ist jedenfalls die Meinung von Jerzy Montag, dem rechtspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag. Er bemängelt, dass klagende Bürger nur in Ausnahmefällen finanziell entschädigt werden sollen.

    "Für Verzögerungen, wo es um immaterielle Schäden geht, sieht das Gesetz in der Regel eine Entschädigung durch die bloße Feststellung, dass es zu lange gedauert hat, vor. Eine solche Feststellung können sie sich gerahmt in ihr Wohnzimmer hängen. In Ausnahmefällen soll es in diesen Fällen Schadenersatz in Geld geben."

    "Es ist völlig richtig, das Gesetz ist für Ausnahmefälle gedacht. Mehr ist aber auch nicht erforderlich, weil die Justiz in der Regel ohnehin zügig arbeitet. Aber die Bundesrepublik ist eben in der Vergangenheit wegen solcher Ausnahmefälle wiederholt verurteilt worden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Also mussten wir gesetzgeberisch tätig werden. Ein Allheilmittel ist dieses Gesetz also nicht, aber ich rechne schon mit einer deutlichen Verbesserung zugunsten der rechtsuchenden Bürger."

    Meint Staatssektretär Stadler, FDP. Mit der neuen Entschädigungsregelung soll mittelbar Druck auf die Landesregierungen ausgeübt werden. "Wo viele berechtigte Klagen erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen", heißt es aus dem Bundesjustizministerium. Das zielt auf die Landesregierungen, die die Gerichte finanzieren.

    "Da ja der Schadensersatz an den betroffenen Bürger vom Staat geleistet werden müsste, gibt es ein Interesse, dass die Parlamente die Justiz personell so gut ausstatten, dass die Justiz überhaupt in der Lage ist, die Verfahren in angemessener Zeit durchzuführen. Deswegen hoffe ich auf diese indirekte Wirkung, dass die Struktur so verbessert wird, dass überlange Verfahren nicht vorkommen."

    Jerzy Montag bezweifelt, dass dieses Kalkül aufgehen wird.

    "Jetzt steht im Gesetz, dass für jedes Jahr in diesen Ausnahmefällen, wo die Urkunde im Wohnzimmer nicht ausreichen soll, ein Betrag für 1200 Euro zu zahlen ist. Mit Verlaub: Das ist lächerlich. Wenn der projektierte Gesamtschadensbetrag geringer ist als die Errichtung von drei neuen Richterstellen, dann ist doch völlig klar, was geschehen wird: Es werden keine neuen Richterstellen eingerichtet, sondern es wird im Haushalt dieser doch minimale Betrag an Schadenersatzleistungen einkalkuliert."


    Wird sich das strukturelle Problem der deutschen Justiz durch die Entschädigungslösung beseitigen lassen? Die deutschen Anwälte beginnen jedenfalls, von dem neuen Instrument der Verzögerungsrüge Gebrauch zu machen, auch wenn viele bezweifeln, dass letztlich in nennenswertem Umfang Entschädigung geleistet werden wird - zum Beispiel Ulrich Schellenberg vom Deutschen Anwaltverein.

    "Meine ganz persönliche Prognose ist, dass dieses Gesetz jetzt im öffentlichen Fokus steht, ich kann es aber nicht ganz ausschließen, dass es dann auch wieder ein wenig in Vergessenheit gerät und nur von einzelnen Anwälten in einzelnen Fällen herausgeholt wird, um damit zu drohen. Die praktische Relevanz schätze ich im Moment noch relativ zurückhaltend ein das Problem wirklich gelöst haben wir erst, wenn die Politik den entscheidenden Schritt weiter geht und erkennt, dass es ein Ressourcenproblem ist."

    Zurück zu Christiane Fischer. Sie ist froh, dass sie nun endlich erfahren wird, wie der Streit mit der Arbeitsagentur ausgehen wird. Die fünf Jahre, die sie auf die Entscheidung warten musste, seien belastend gewesen.

    "Also ich habe viele Tage damit verbracht, Schreiben zu beantworten und zu recherchieren, was 2007 überhaupt geschehen ist. Und auch so eine lange Zeit der Klage oder immer dieses Erwarten, klappt es nun oder nicht, was muss man vor dem Richter sagen, über diesen langen Zeitraum, das ist schon nervenaufreibend."

    Christiane Fischer kann sich nicht vorstellen, auf eine Entschädigung zu klagen und dafür noch ein weiteres Verfahren zu führen.

    "Ich glaub' nicht, dass das was bringt. Weil letztendlich möchte man doch einfach nicht entschädigt werden, sondern man möchte, dass irgendjemand in diesem Streit, der festgefahren ist, möchte man nur sein gutes Recht haben. Mehr möchte man eigentlich nicht."