Dienstag, 16. April 2024

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Laschet: Bildung ist "Schlüssel der Integration"

Nach Ansicht des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Armin Laschet müssen die Bildungschancen von Einwandererkindern in Deutschland verbessert werden. Bildung und Sprache seien der "Schlüssel der Integration", sagte der CDU-Politiker. Er forderte vor dem Integrationsgipfel am Freitag die Bundesländer zu mehr Engagement in diesem Bereich auf.

Moderation: Jürgen Liminski | 12.07.2006
    Jürgen Liminski: Herr Laschet, vor 50 Jahren kamen die ersten Gastarbeiter. Jetzt, fast drei Generationen später, kommt der erste Gipfel zur Integration. Ist das nicht ein bisschen spät?

    Armin Laschet: In der Tat ist es etwas spät, und deshalb ist es ein Verdienst, auch der Bundeskanzlerin, dass sie zu diesem Gipfel einlädt, dass er stattfindet und dass Akteure aus Wirtschaft, Gewerkschaften, der Bundesländer, der Kommunen und der Migrantenorganisationen an einem Tisch sitzen, um über Integrationspolitik zu sprechen. Wenn der Gipfel vor 30 Jahren stattgefunden hätte, wäre es besser gewesen, dann wären wir vielleicht heute viel, viel weiter.

    Liminski: Offenbar ging aber ein halbes Jahrhundert alles mehr oder weniger gut mit Italienern und Türken und anderen. Warum gibt es jetzt Probleme? Stimmt das Integrationsklima nicht mehr?

    Laschet: Also ich weiß nicht, ob es all die Jahre gut ging. Am Anfang hat man die Illusion gehabt, es sind Gastarbeiter, die kommen und die gehen wieder. Und wenn das so ist, dann hat man zum Beispiel die Sprache, die deutsche Sprache als Verständigungsmittel in unserer Gesellschaft als nicht als so wichtig erachtet. Denn der, der nur in der Fabrik arbeitet und dann irgendwann wieder zurückgeht, muss natürlich nicht die Sprache sprechen. Wir stellen aber heute zunehmend fest, dass gerade die Kinder der Zuwanderer, die zweite und dritte Generation, die Sprache nicht gut sprechen, deshalb schlechte Schulerfolge haben, überdurchschnittlich ohne Abschluss von den Schulen abgehen und dann direkt in die Sozialsysteme wandern. Und deshalb ist Bildung, Sprache der Schlüssel der Integration, und das muss am Freitag Thema sein.

    Liminski: Das Mittel der Integration ist die Sprache, sagen Sie, sie ist der Zugang zu unserer Kultur. Wann soll denn der obligatorische Sprachunterricht beginnen? Wie machen Sie es denn in Nordrhein-Westfalen?

    Laschet: Also in Nordrhein-Westfalen haben wir die Schuleingangsuntersuchung, die man mit sechs Jahren macht, vorgezogen auf das vierte Lebensjahr. Jedes Kind wird ab dem nächsten Jahr im vierten Lebensjahr auf seine Sprachkompetenz getestet, und dann wird Sprache schon im Kindergarten als Ort frühkindlicher Bildung systematisch gefördert - und das übrigens nicht nur für Zuwandererkinder, sondern wir stellen ja zunehmend auch fest, dass auch deutsche Kinder die Sprache nicht mehr so sprechen, wie man sie sprechen müsste, wenn man in der Schule bestehen will.

    Liminski: Sie plädieren für mehr Bildung insgesamt. Die Städte und Landkreise fordern mehr Anstrengung von Bund und Ländern zur besseren Integration. Die hohe Abbrecherquote in den Schulen und Ausbildungen sei alarmierend, heißt es zum Beispiel in einem Positionspapier des Deutschen Städtetags und des Deutschen Landkreistags. Nötig sei auch mehr sozialpädagogisches Personal an Hauptschulen. Und zugleich forderten die Kommunen eine flächendeckende Versorgung mit Integrationskursen auch auf dem Land. Woher soll denn das Geld für all diese Maßnahmen kommen?

    Laschet: Also für die Sprachförderung haben wir die Mittel in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr verdoppelt, mehr als verdoppelt, von 7 Millionen auf 17 Millionen. Darüber hinaus hat die Schulministerin gesagt, wir müssen die Hauptschulen besser machen. In den Hauptschulen muss es mehr Lehrer geben, muss es auch mehr Ganztagsangebote geben und muss es auch mehr Sozialpädagogen geben, die gerade Kinder aus Zuwandererfamilien auffangen. Ich denke, dazu sind die Länder in der Lage. Und das werden sie zusammen mit den Kommunen leisten.

    Wir müssen darüber hinaus ein Netz von Integrationsagenturen haben, die die ganzen sozialen Dienste, die wir ja haben, wo heute schon vieles geleistet wird insbesondere auch von den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, dass das besser transparent wird, damit man weiß, wo findet man Hilfe? Beide Seiten sind hier gefordert. Die Zuwanderer müssen die Angebote annehmen, und wir müssen sie bereitstellen. Und ich denke, dem dient auch dieser Gipfel, das alles einmal transparent zu machen und zu bündeln.

    Liminski: Herr Laschet, kann oder soll man zum Beispiel auch Schüler verteilen, um Brennpunktschulen zu entlasten? Das wird in Baden-Württemberg erwogen.

    Laschet: Ja, darüber sollte man sicher nachdenken, denn wir stellen ja auch zunehmend fest, dass Kinder aus Zuwandererfamilien, selbst wenn sie die Möglichkeit haben, eben nicht gebündelt an den Schulen sind, wo 80 bis 90 Prozent Kinder aus sozialen Brennpunkten sind, sondern lieber dann auf andere Schulen gehen. Dazu gibt es allerdings noch keine abschließenden Konzepte, aber darüber nachzudenken, können wir das Ganze nicht ein wenig entzerren, um damit jedem mehr Chancengerechtigkeit zu ermöglichen, ist sicher ein Gedanke, über den man jetzt auch neu nachdenken muss.

    Liminski: Integration bedeutet ja auch, dass der Integrationswillige sich in ein System integriert. Wie würden Sie denn dieses System definieren, mit einem Wissenskanon oder mit Werten?

    Laschet: Also ich denke zunächst, dass das Grundgesetz, die Werte unserer Verfassung, die christlich-jüdisch geprägt sind seit Jahrhunderten, ergänzt um die Aufklärung, die französische Revolution, dass das die Basis des Zusammenlebens sein muss. Es kann niemand Werte aus seiner eigenen Kultur über die des Grundgesetztes stellen. Und ich denke, das ist auch möglich. Bei den vielen Verbänden, mit denen wir das Gespräch führen, stellt man fest, daran zweifelt auch niemand. Man hat nur lange diese Anforderung nicht so offen formuliert. Ich denke, dass auch da alle politischen Parteien heute einen Schritt weiter sind und dass unter den Zuwanderern selbst jetzt die Debatte beginnt: Was sind die Werte des Grundgesetztes, akzeptieren wir auch häusliche Gewalt, akzeptieren wir Zwangsverheiratung von Mädchen? Das ist ein Riesenfortschritt. Türkische Autoren formulieren heute diese Ziele, und das ist besser, als wenn wir als Mehrheitsgesellschaft das immer nur vorgeben. Also, ich glaube, wir sind hier einen großen Schritt weiter gekommen in der Anerkennung einer gemeinsamen Basis.

    Liminski: Also Ehrenmorde, Zwangsehen, Parallelgesellschaften, das sind auch Themen für die Integration, oder sind das nur Themen für das Strafrecht?

    Laschet: Nein, das sind auch Themen für die Integration. Es ist die Frage, welche gemeinsame Leitkultur haben wir, unter der wir hier in Deutschland leben? Das ist auch die Frage, das wird mehr den Islamgipfel des Bundesinnenministers im September beschäftigen, schaffen wir es, einen Islam auch zu praktizieren in Deutschland, der mit den europäischen und deutschen Werten vereinbar ist, der eben das Grundgesetz akzeptiert und trotzdem eine andere Religion ist? Das heißt dann auch, wir wollen Religionsunterricht einführen als bekenntnisorientierten Unterricht, nicht nur als Islamkunde. Und gerade die christlichen Kirchen stärken diesen Wunsch, denn sie wissen, das wird auch bekenntnisorientiertem christlichen Religionsunterricht eine neue Perspektive geben. Es gibt ja viele, die das abschaffen wollen, auch bekenntnisorientierten Unterricht abschaffen wollen, und nur quasi staatlich verordnete Ethikkunde vermitteln. Das Gegenteil ist bekenntnisorientierter Religionsunterricht, der dann aber auch für die Muslime auf der Basis des Grundgesetzes.

    Liminski: Herr Laschet, lässt sich denn das Thema Integration vom Thema Migration trennen? Müssen wir, können wir jeden integrieren, und wo fängt eigentlich die Auslese an?

    Laschet: Es gibt zwei Aufgabenstellungen. Die, die schon bei uns im Lande leben, müssen die besten Bildungschancen haben, gerade in einer älter werdenden Gesellschaft. Wenn ich in 20 Jahren selbst einmal 65 Jahre alt bin, sind wir, die geburtenstarken Jahrgänge der 60er, ja eine riesige Mehrheit. Und die dann Jungen sind dann eine Minderheit. Und viele der dann Jungen, werden Zuwanderungsgeschichte haben, also die müssen dann das Bruttosozialprodukt mit erarbeiten, und deshalb müssen sie gut ausgebildet sein. Eine ganz andere Frage ist, brauchen wir weitere Zuwanderung. Da denke ich, dass wir qualifizierte Zuwanderung brauchen, die sich orientiert an den Interessen unseres Landes. Und für diese Aufgaben ist der Bund zuständig, für die Integration derer, die schon hier leben, die Bundesländer, so hat es das Zuwanderungsgesetz geregelt.

    Liminski: Am Ende dieses Gipfels soll ein nationaler Integrationsplan stehen, oder jedenfalls die Umrisse. Wie kann so ein nationaler Integrationsplan aussehen?

    Laschet: Also er kann aus meiner Sicht im Wesentlichen auf einer Selbstverpflichtung beruhen, denn der Bund kann keine nationalen Aktionspläne erlassen, denn Kindergärten, frühkindliche Bildung, Schulen, Sprache, alles das sind Kompetenzen der Bundesländer, und die müssen sich verpflichten hier gemeinsame Standards in ganz Deutschland zu erarbeiten. Wir haben als nordrhein-westfälisches Kabinett einen 20-Punkte-Plan vorgelegt, den auch Ministerpräsident Rüttgers öffentlich vorgestellt hat. Das ist unser Angebot an diesen Gipfel, und ich denke, die anderen Länder werden andere Vorschläge machen, und am Ende wird ein einheitlicher Plan stehen, auf den auf den sich alle verpflichten. Und das wäre ein großer Gewinn.

    Liminski: Das war Armin Laschet, bundesweit der einzige Integrationsminister. Er gehört zum Kabinett von Ministerpräsident Rüttgers in Nordrhein-Westfalen. Ich danke für das Gespräch, Herr Laschet.

    Laschet: Bitteschön.