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Laschet fordert "Dritte Einheit" für die Integration von Zuwanderern

Armin Laschet (CDU), Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, hat eine "dritte deutsche Einheit in der Bundesrepublik" gefordert. Zuwanderer und deren Kinder müssten endlich in die Gesellschaft integriert werden. Entscheidend sei dabei die Bildungspolitik.

Armin Laschet im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Was brauchen wir? Brauchen wir so etwas wie eine dritte deutsche Einheit? Das zumindest meint Armin Laschet, der Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, den wir jetzt am Telefon begrüßen. Schönen guten Morgen, Herr Laschet!

    Armin Laschet: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Laschet, was meinen Sie mit dem Begriff "Wir brauchen eine dritte deutsche Einheit in der Bundesrepublik"?

    Laschet: Wir haben zwei große Einheiten bereits bewältigt. Die erste Einheit war nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene integriert hat. Die kamen nach Deutschland in den Westen, hatten so gut wie nichts, hatten zum Teil auch kulturelle Probleme, wenn beispielsweise ein Protestant in ein katholisches Dorf kam. Sie waren nicht willkommen bei vielen Menschen, weil sie ihnen die Arbeitsplätze wegnahmen. Und trotzdem hat man diese große Kraftanstrengung geschafft, und die zwölf sind integriert und haben den Aufstieg in Deutschland gut bewältigt. Und dann hatten wir die zweite Einheit, die wir am heutigen Tag feiern, eine Leistung, die quasi auch ein Land zusammengeschweißt hat. Aber was wir vergessen haben, ist die Integration derer, die vor 50 Jahren zu uns gekommen sind und die diese Aufstiegschancen noch nicht haben. Viele Gastarbeiter und deren Kinder und Kindeskinder, so wie sie früher genannt wurden, sollen ebenfalls an dieser Einheit teilnehmen. Und das ist diese Idee der dritten deutschen Einheit.

    Zurheide: Sie haben gerade angesprochen, die Aufstiegschancen sind eigentlich der Schlüssel, und die mangelnden Aufstiegschancen für jene, die zugewandert sind, die behindern das. Die Frage: Ist das aus Ihrer Sicht ein kulturelles Phänomen oder ist es nicht vielmehr ein soziales Phänomen und müssten wir da stärker unseren Blick drauf richten?

    Laschet: Das ist vor allem ein soziales Problem. In den 50er- und 60er-Jahren war für viele Menschen Aufstieg möglich in unserem Land. Meistens ging es den Kindern besser als den eigenen Eltern. Also man hat von Generation zu Generation eine Verbesserung seiner Situation erlebt, in den allermeisten Fällen der Deutschen. Das ist irgendwann zum Erliegen gekommen. Wir haben heute eine viel mehr von der Herkunft der Eltern abhängige soziale Struktur, und dies zu durchbrechen ist das, was wir jetzt wieder brauchen. Und das betrifft viele Deutsche, das betrifft aber eben auch viele Zuwanderer, die an Bildung nicht teilnehmen können, die natürlich oft schon Sprachprobleme haben und deshalb in der Schule zurückhängen, die die Ganztagsangebote in den letzten Jahrzehnten nicht hatten, die heute geschaffen werden. Aber es ist ein Angebot an die gesamte Gesellschaft, nicht nur an Zuwanderer.

    Zurheide: Jetzt gibt es ja häufig so Schlichtanalysen, die da lauten, das hat auch mit Religion, möglicherweise mit einer größeren Hinwendung zu Fundamentalismus zu tun, dass das nicht geht. Und dann meint man in aller Regel jene, die dem Islam nahestehen. Ist das eigentlich richtig, Religion wirklich als Hinderungsgrund zu bezeichnen, oder gibt's nicht Fundamentalismus auch bei Katholischen, zum Beispiel Ausprägungen wie der Pius-Bruderschaft?

    Laschet: Also Fundamentalismus gibt es natürlich in jeder Religion, aber dass man die mangelnden Bildungs- und Aufstiegschancen von Religion ableitet, das kann man nun wirklich nicht sagen. Wir haben beispielsweise in den USA die Situation, dass die Muslime fast durchgängig zur Mittelschicht des Landes gehören, und dass man das Problem mit Zuwanderern aus Südamerika und Mittelamerika hat, und die sind meistens katholisch. Da käme ja niemand auf die Idee zu sagen, die Nichtintegration der Hispanics in Spanien liegt daran, dass sie katholisch sind, nein, es liegt an der Frage, wie kann man an Bildung teilnehmen.

    Der Spätaussiedler, der zu uns kommt, der die Sprache nicht spricht, ist gleichermaßen Opfer einer mangelnden Bildungspolitik wie Zuwandererkinder aus der Türkei. Ich glaube, man muss auf das einzelne Kind schauen und hier optimale Möglichkeiten eröffnen und kann daraus keine Religionsdebatte machen.

    Zurheide: Wenn Sie das so sagen, frage ich mich manchmal, an wen Sie das adressieren, auch an viele in Ihrer eigenen Partei oder zumindest an den Parteifreunden im Süden der Republik bei der CSU. Haben die das schon so ganz verstanden, was Sie da gerade erklären?

    Laschet: Ich glaube, dass die das verstanden haben. Ich brauche das auch meiner eigenen Partei nicht so sehr zu erklären. Immerhin hat Wolfgang Schäuble als Bundesinnenminister gesagt, der Islam ist Teil der deutschen Gesellschaft. Das hatten seine Vorgänger so nie gesagt. Er hat die Islamkonferenz einberufen, die Bundeskanzlerin hat den Integrationsgipfel 2006 gestartet. Also ich glaube, überall, in allen Parteien, aber auch in der Union ist das heute Allgemeingut. Man weiß, wir sind eine älter werdende Gesellschaft, wir haben immer weniger junge Leute. Wir haben in diesem Jahr erstmals mehr über 65-Jährige als unter 20-Jährige. Und diese jungen Leute muss man fördern, egal wo sie herkommen, und die müssen Aufstiegschancen haben.

    Zurheide: Was muss in den Koalitionsgesprächen in Berlin gemacht werden und was erwarten Sie, besonders auf das Thema Integration bezogen?

    Laschet: Also ich glaube, dass wir in die Koalitionsgespräche hineinbringen müssen einen Potenzialblick, dass wir viel stärker gucken, welche Qualifikationen haben eigentlich Menschen. Wir haben immer noch die Situation, dass ausländische Abschlüsse nicht anerkannt werden, dass wir Feststoffphysiker und andere aus der früheren Sowjetunion haben, die bei uns Taxi fahren, weil nicht anerkannt wird, was sie leisten. Das ist das Erste, was man bundesgesetzlich regeln muss.

    Das Zweite ist: Wir brauchen einen neuen Blick auf die Menschen, die bei uns sind. Es kann nicht sein, dass ein 17-, 18-Jähriger, der perfekt integriert ist, der gut deutsch spricht, abgeschoben wird, weil vor 15 Jahren seine Eltern einmal vielleicht falsche Angaben bei der Einreise gemacht haben. So einen Fall haben wir vor wenigen Tagen in Nordrhein-Westfalen erlebt. Hier brauchen wir eine bundesgesetzliche Regelung, die jeden, der integriert ist, der willens ist, sich in diesem Land einzubringen, der Deutsch spricht, dass der auch eine Chance hat, hierzubleiben. Und das betrifft natürlich dann auch das Bleiberecht. Hier läuft die Frist am Jahresende aus, und das muss man als Erstes anpacken.

    Zurheide: Das sind rund 60.000 Menschen. Sie verlangen klar, die sollen hierbleiben und die müssen einen Status bekommen?

    Laschet: Ja, ich verlange zunächst mal, dass die Bleiberechtslösung, die man gefasst hat, nicht am 31.12. endet, sondern um zwei Jahre verlängert wird. Dann hat man Möglichkeiten, auch hier zu differenzieren und zu guten Lösungen zu kommen. Wir sind de facto heute Auswanderungsland. 2008 sind zum ersten Mal mehr Menschen aus Deutschland weggegangen, als hineingekommen sind. Und das heißt, wir müssen um jeden, der gut qualifiziert ist, der sich in diesem Land einbringen will, werben. Und da brauchen wir eine Fristverlängerung um zwei Jahre, um dann zu sehen, wie gehen wir mit dem Bleiberecht weiter um.

    Zurheide: Und was macht Armin Laschet demnächst? Der Grüne Daniel Cohn-Bendit, der hat gesagt, er sollte Integrationsminister in Berlin werden. Hat Cohn-Bendit, der Grüne, inzwischen Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen?

    Laschet: Nein, eben nicht, deshalb sind Vorschläge von Daniel Cohn-Bendit auch wenig beeindruckend. Wir haben jetzt eine schwarz-gelbe Regierung, die haben wir auch in Düsseldorf. In Düsseldorf bin ich Integrationsminister, das macht mir viel Spaß. Und Sie wissen ja, wir haben auch eine wichtige Landtagswahl im nächsten Mai, und da würde ich mich gerne einbringen und für die Integrationspolitik weiter kämpfen.

    Zurheide: Danke schön! Das war Armin Laschet, der nordrhein-westfälische Integrationsminister im Deutschlandfunk.