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Last Night of the Proms
Patriotische Gassenhauer

Nach heftigen Debatten um die Kolonialismusbezüge in „Rule Britannia“ und „Land of Hope and Glory“ hatte die BBC zunächst angekündigt, die Stücke in diesem Jahr ohne Gesang zu spielen. Nun wurde die Hymne doch von einigen ausgewählten Chorsängern vorgetragen.

Von Jörn Florian Fuchs | 13.09.2020
Fahnenschwenkendes Publikum bei der "Last Night of the Proms", dem Abschluss der BBC-Konzertreihe "The Proms" in der Royal Albert Hall in London 2014
Fahnenschwenkendes Publikum bei der "Last Night of the Proms", dem Abschluss der BBC-Konzertreihe "The Proms" in der Royal Albert Hall in London 2014 (picture alliance/ empics/ Guy Bell)
Es ist traditionell der krönende Abschluss einer umfangreichen Konzertsaison und das ganze Land feiert sich und die vorwiegend britische Musik. Die "Last Night of the Proms" hat auf der Insel mindestens so viel Kultstatus wie in unseren Breiten die Bayreuther Festspiele, die Berlinale und das Münchner Oktoberfest zusammen. Fast die ganze Nation hört und schaut zu, wenn in der Royal Albert Hall die wenigen glücklichen Kartenbesitzer, denn viele Tickets werden verlost, Party feiern, mit Fahnen, lustigen Hüten und viel Jubel vor, nach und während der gespielten Stücke. In diesem Jahr ist natürlich alles anders. Die Royal Albert Hall ist leer, bis auf eine Kammerbesetzung von BBC Symphony Orchestra und BBC Singers, die dort in übergroßem Abstand positioniert sind.
Demonstranten in London protestieren nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA gegen Rassismus und Polizeigewalt 
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(Deutschlandfunk, Gesichter Europas, 20.06.2020)Großbritannien war und ist Magnet für Einwanderer aus seinen ehemaligen Kolonien. Aber fühlen sich die Zugewanderten auch wirklich dazugehörig? Die jüngsten Solidaritätskundgebungen der "Black British" mit den Black-Lives-Matter-Protesten in den USA säen Zweifel.
Zur 125. Ausgabe der "Last Night" dirigiert Dalia Stasevska das verkleinerte BBC Symphony Orchestra. Sie ist erst die zweite Dame am Pult, nach Marin Alsop, führt konturiert, enthusiastisch, energisch durch die diversen Hits. Die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz singt wunderbar Feinsinniges von Mozart und Richard Strauss. Auf dem Programm stehen die "Hochzeit des Figaro", die Uraufführung "Solus" von Andrea Tarrodi und "The Lark Ascending" von Vaughan Williams.
Liedzeile nach den Black-Lives-Matter-Protesten unpassend
Diese "Last Night" ist aber auch politisch brisant, weil es im Vorfeld Streit um als zu nationalistisch verstandene Hits wie "Rule Britannia" und "Land of Hope and Glory" gab. Während der Stücke werden zahllose Union Jacks eingeblendet, mal als flimmerndes LED-Gewitter, mal als reale Flaggen. Chor und Orchester jedoch vermeiden zu starke Triumphgesten. Ein Mittelweg, der nicht recht befriedigt. Wie gerne hätte man etwa zur Liedzeile: "Briten werden nie Sklaven sein" eine Europafahne aufblitzen gesehen. Dennoch im Ganzen eine gelungene Veranstaltung, charmant auch diverse zugeschaltete Gäste, darunter ein Pastor, der früher an der Seite von Jimmy Somerville Popsongs zum Besten gab. Die BBC kündigte an, dass auch im kommenden Jahr an den umstrittenen Liedern festgehalten werden soll.