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Lateinamerika
Bolsonaros Nachbarn

Das Pendel ist umgeschlagen. Nach einem Jahrzehnt mehrheitlich linker Regierungen in Lateinamerika rückten Staaten wie Argentinien, Chile, Peru und Kolumbien weiter nach rechts. Und jetzt Brasilien mit Jair Bolsonaro. Kommt es zum Konflikt mit den linksregierten Nachbarstaaten wie Venezuela und Bolivien?

Von Victoria Eglau | 03.11.2018
    Bild des neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro mit oliv-grüner Jacke.
    Jair Bolsonaro (picture alliance / AA / Fabio Teixeira)
    "Chile und Brasilien sind strategische Verbündete und diese Beziehung werden wir verstärken." Chiles Präsident Sebastián Piñera beglückwünschte den ultrarechten brasilianischen Wahlsieger Jair Bolsonaro in dieser Woche vor laufenden Kameras. Sebastián Piñera wirkte äußerst zufrieden, dass Jair Bolsonaro seinen ersten Auslandsbesuch voraussichtlich Chile abstatten will. Mehrere Politiker aus Sebastián Piñeras rechter Regierungskoalition hatten den brasilianischen Kandidaten, einen Verteidiger der Pinochet-Diktatur, während des Wahlkampfs besucht. Auch aus anderen lateinamerikanischen Ländern mit konservativer Regierung erhielt Jair Bolsonaro Glückwünsche, doch die Reaktionen fielen verhaltener aus. Juan Gabriel Tokatlian, Politikwissenschaftler von der argentinischen Universität Torcuato Di Tella:
    "Piñera hat Bolsonaros liberales Wirtschaftsprogramm gelobt - solche Töne waren aus Argentinien, Kolumbien oder Peru bisher nicht zu hören. Eine neue Regierung in Brasilien hat immer Auswirkungen, vor allem auf Südamerika. Aber nicht alle heute rechts regierten Länder werden sich gleich positionieren - und viele werden Bolsonaros aggressiven Positionen nicht folgen wollen."
    Die linken Regierungen in Lateinamerika werden abgelöst
    Nach einem Jahrzehnt mehrheitlich linker Regierungen in Lateinamerika ist das Pendel in den vergangenen drei Jahren nach rechts geschwungen: Dem Wahlsieg des konservativen Liberalen Mauricio Macri in Argentinien im Oktober 2015 folgten rechte und liberale Wahlerfolge in Chile, Peru, Kolumbien oder Paraguay. In Brasilien wurde 2016 Präsidentin Dilma Rousseff vom Senat ihres Amts enthoben - das war das Ende der 13jährigen Herrschaft der linken Arbeiterpartei. Der Wahlsieg des Ex-Militärs Jair Bolsonaro ist aber der bislang radikalste Ausdruck des allgemeinen Rechtsrucks, den Politologe Juan Gabriel Tokatlian so erklärt:
    Bolsonaros Wahlsieg ist "radikalster Ausdruck des Rechtsrucks"
    "Eines der größten Probleme des linken Progressismus' in Lateinamerika ist, dass er bislang keine Selbstkritik geübt hat. Und wenn die Linke das Voranschreiten der Rechten aufhalten will, muss sie breite, neue Koalitionen bilden und andere Themen aufgreifen. Sie war gut darin, gegen die soziale Ungleichheit und für Menschenrechte einzutreten, und den Staat gegenüber dem Markt zu stärken. Aber für Probleme wie Kriminalität und Korruption fehlen ihr Strategien."
    Brasilien hat eine exorbitante Mordrate: Im Durchschnitt werden jeden Tag 175 Menschen umgebracht. Dass die Bürger die Unsicherheit satthaben und über die Korruption der politischen Klasse empört sind, hat maßgeblich zum Wahlsieg des rechtsautoritären Jair Bolsonaro beigetragen. In Mexiko dagegen, wo die Menschen ebenfalls unter ausufernder Gewalt und tiefverwurzelter Korruption leiden, ist nun mit Andrés Manuel López Obrador ein Linksnationalist der Hoffnungsträger. Seine konservativen Vorgänger hatten die gravierenden Probleme nicht in den Griff bekommen. Wenn der neue mexikanische Präsident nächsten Monat sein Amt antritt, wird die kleine, heterogene Gruppe linksregierter Länder ein wenig wachsen. Neben Bolivien und Uruguay gehören ihr das autoritär regierte Nicaragua, das kommunistische Kuba und das nicht mehr demokratische Venezuela an. Jair Bolsonaros Triumph in Brasilien wirft die Frage auf, ob mit ihm eine Militärintervention in Venezuela möglich wäre, um das Regime des autoritären Sozialisten Nicolás Maduro zu stürzen. Der Politologe Mauricio Jaramillo von der kolumbianischen Universidad del Rosario wiegelt ab:
    "Es wäre sehr schwierig, in Lateinamerika einen Konsens für ein militärisches Eingreifen zustande zu bringen."
    Brasiliens Präsident wird nun die Nähe zu den USA suchen
    Tatsächlich sagte Jair Bolsonaro in einem Interview nach seinem Wahlsieg, er strebe keine Militärintervention im Nachbarland Venezuela an. Juan Gabriel Tokatlian, Experte für internationale Beziehungen:
    "Ich denke aber, dass die Kritik an Maduro nun lauter werden wird. Meiner Meinung nach wird Bolsonaro eine enge Beziehung zu den USA und zu Kolumbien eingehen, um quasi als Dreieck Druck auf Venezuela auszuüben."
    Jair Bolsonaro wird eine Ähnlichkeit zu US-Präsident Donald Trump nachgesagt, etwa in seinem ausgeprägten Nationalismus und seinem "Law and Order"-Diskurs. Das bisherige Verhältnis zwischen den USA und Brasilien könnte sich ändern, meint Juan Gabriel Tokatlian:
    "Brasilien hatte zu den USA immer eine komplexe Beziehung mit sowohl übereinstimmenden als auch abweichenden Interessen. Möglicherweise wird das Verhältnis künftig stärker von ideologischer Nähe geprägt sein."