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Leben im Ausnahmezustand

Der Alltag in der vom Erdbeben und Tsunami verwüsteten Küstenregion Japans ist schwierig. Fünf Stunden anstehen für ein bisschen Wasser, Auskommen mit wenig Lebensmitteln und ständig die Angst vor neuen Beben, so schildert die Studentin Mariko Inoue die Situation in ihrer Heimatstadt Sendai.

Mariko Inoue im Gespräch mit Peter Kapern | 15.03.2011
    Peter Kapern: Wir bleiben beim Thema Japan nach den Naturkatastrophen. Sie würde uns gerne ein Interview geben, hat uns Mariko Inoue gestern gesagt, als wir sie angerufen haben. Sie könne aber nicht versprechen, dass sie auch wirklich pünktlich am Telefon ist, weil es nämlich sein könnte, dass sie gerade für Wasser anstehen muss. Mariko Inoue ist eine Studentin, die häufig in Deutschland ist. Zurzeit aber ist sie in ihrer Heimatstadt Sendai, einem der am stärksten von der Naturkatastrophe betroffenen Orte. Nun hat es doch geklappt mit unserer Verabredung, und dafür sind wir über alle Maßen dankbar. Guten Morgen, Frau Inoue.

    Mariko Inoue: Hallo, guten Morgen!

    Kapern: Frau Inoue, wie haben Sie die Naturkatastrophe vom vergangenen Freitag, Samstag erlebt?

    Inoue: Ja, genau. Soll ich erzählen?

    Kapern: Ja!

    Inoue: Okay. Freitag ungefähr zwei Uhr war es am Mittag, wir hatten ein ganz großes Erdbeben. Es dauerte fünf Minuten und wir konnten nicht einfach stehen. Dann war es ein bisschen kleiner und größer und es dauerte, es kam immer wieder, ungefähr zwei Stunden. Nachher konnten wir nicht das Wasser benutzen und den Strom auch nicht, und immer und wieder kamen die Erdstöße und wir konnten nicht schlafen. Das passierte bis jetzt.

    Kapern: Ist denn das Haus, in dem Sie leben, von dem Erdbeben verschont geblieben?

    Inoue: Ja. Gott sei Dank können wir hier leben, aber meine ganzen Freunde und meine Cusins und meine Freunde sind immer noch vermisst.

    Kapern: Wie sieht denn nun seither Ihr Alltag aus? Wie sieht das Leben jetzt in Sendai aus?

    Inoue: Einiges in Sendai ist okay. Das Zentrum von Sendai ist okay, aber die Autos haben kein Benzin. Deswegen warten die Autofahrer bis zu fünf Stunden, um zehn Liter Benzin zu kaufen. Deswegen ist auf den Straßen immer Stau. Gestern und Vorgestern gab es auch kein Wasser, deswegen habe ich fünf Stunden gewartet, um einen kleinen Schluck Wasser zu bekommen. Das passiert in Sendai.

    Kapern: Wo genau bekommen Sie jetzt Ihr Wasser? Wo müssen Sie da hingehen und wer verteilt das Wasser?

    Inoue: Das Wasser kommt mit dem Auto zu einem ganz großen Wassertank zu den Grundschulen und so weiter. Aber wir haben kein Benzin überall und deswegen müssen wir zu Fuß da hingehen.

    Kapern: Also zu Fuß dort hingehen?

    Inoue: Ja, genau, zu Fuß. Deswegen ist das also ein bisschen schwer.

    Kapern: Frau Inoue, woher bekommen Sie denn derzeit Lebensmittel?

    Inoue: Gott sei Dank wohne ich bei meiner Familie, deswegen hatten wir einige Sachen noch. Aber anderes gibt es nicht und die meisten Geschäfte waren zu, oder nur fünf Minuten auf, und in den fünf Minuten war alles weg. Deswegen haben wir ganz, ganz wenig Lebensmittel.

    Kapern: Gibt es Hilfsorganisationen, die Lebensmittel verteilen?

    Inoue: Ja, aber ganz, ganz kleine. Deswegen haben wir heute ein oder zwei kleine Brötchen, was wir mit zwei Leuten für einen Tag essen müssen. Das passiert auch in Sendai. Aber jetzt ist es schon viel, viel besser geworden.

    Kapern: Es ist sehr kalt in Japan. Das sehen wir hier auf den Fernsehbildern. Können Sie das Haus, in dem Sie leben, heizen? Gibt es Energie?

    Inoue: Nein. Wir haben nicht die Heizung an. Deswegen läuft alles mit Strom. Die ersten Tage waren deswegen sehr, sehr kalt, weil wir mussten die Fenster und die Türen auf machen, weil das Erdbeben immer kommt, sodass wir schnell weglaufen müssen. Deswegen waren Fenster und Türen immer auf. Aber jetzt haben wir ein anderes Problem mit der Atomkraft. Deswegen ich bin sicher, Türen auf ist okay, aber Türen zu ist auch okay, aber wir müssen aufpassen.

    Kapern: Welche Informationen bekommen sie über die Lage in den Atomkraftwerken insbesondere in Fukushima und wie erhalten Sie die Informationen?

    Inoue: Seit gestern Morgen hatten wir Gott sei Dank wieder Strom. Deswegen konnten wir uns mit dem Fernsehen informieren. Aber andere noch nicht, deswegen mit Radio. Aber das Radio braucht Batterien, deswegen müssen wir auf die Batterien aufpassen. Aber die Information ist auch sehr wichtig. Also was soll ich sagen? Es ist sehr, sehr schlimm.

    Kapern: In den Berichten, die wir hier erhalten, klingt immer auch Bewunderung darüber an, wie gefasst die Japaner diese schwere Zeit ertragen. Wie kommt es zu dieser Besonnenheit, was ist der Grund dafür? Auch Sie klingen ja sehr besonnen.

    Inoue: Das ist eine ein bisschen schwierige Frage.

    Kapern: Wie kommt es, dass die Japaner in dieser schwierigen Situation so ruhig bleiben?

    Inoue: Wir sind nicht ruhig, deswegen gab es einige Panik. Ist das Ihre Frage?

    Kapern: Ja.

    Inoue: Wir Japaner sind ganz, ganz stressig und es gab viel Panik. Tokyo ist von hier weit weg, aber in Tokyo kaufen viele Leute Lebensmittel, sodass es an den Küsten kein Essen und Wasser gibt. Das ist sehr traurig, ja.

    Kapern: Was denken Sie, wie lange es noch dauern könnte, bis Ihnen wirklich stark geholfen wird, sehr viel geholfen wird?

    Inoue: Ich weiß nicht. Ich möchte nicht sagen, wie lange es dauert. Abends können wir nicht schlafen, weil es kein Wasser gibt und wir jeden Tag fünf Stunden darauf warten müssen, und das kann ich nicht immer machen. Aber viele Leute arbeiten draußen, meine Schwester auch, mein Vater auch, viele Leute arbeiten, damit es wieder besser wird. Deswegen ich glaube bald, nicht so weit weg.

    Kapern: Frau Inoue, ich wünsche Ihnen alles Gute für die nächste Zeit. Das wird keine einfache Zeit für Sie. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Glück für die Zukunft.

    Inoue: Vielen, vielen Dank! Vielen Dank für die Ermutigung aus Deutschland, die wir bekommen haben. Darüber sind wir sehr glücklich. Vielen, vielen Dank.

    Kapern: Wir bedanken uns bei Ihnen dafür, dass Sie sich für uns die Zeit genommen haben. Auf Wiederhören!

    Inoue: Auf Wiedersehen.

    Kapern: Das war Mariko Inoue, eine japanische Studentin, die in Sendai lebt und die ihre Deutschkenntnisse erworben hat während ihrer Ausbildung hier auf einem Weinbaubetrieb in Deutschland.