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Leben im Exil
Can Dündar schreibt über Heimatverlust und Neuanfang

Er wird als Staatsfeind betrachtet, in seiner Heimat Türkei laufen mehrere Verfahren gegen ihn. Der Journalist Can Dündar lebt seit einem Jahr in Deutschland und hat in seinem neuen Buch "Verräter" dokumentiert, was er seither erlebt hat und wie er sein neues Leben fern von Familie und Heimat meistert.

Von Silke Ballweg | 09.10.2017
    Der türkische Journalist Can Dündar bei der Eröffnung des Online-Magazins Özgürüz
    Der türkische Journalist Can Dündar hier bei der Eröffnung des Online-Magazins Özgürüz (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Das Buchcover zeigt das Gesicht von Can Dündar - durch fast runde Brillengläser blickt der Journalist den Betrachter ernst und eindringlich an. Sein Mund aber: auf dem Foto kaum zu erkennen. Er ist verdeckt durch die Worte "Verräter", die auf ihm abgedruckt sind. Wie ein Knebel liegen die Großbuchstaben über den Lippen des Journalisten. Hier geht es um jemanden, der zum Schweigen gebracht werden sollte, es geht um Meinungs- und Pressefreiheit.
    Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli vergangenen Jahres sind Journalisten in der Türkei nicht mehr sicher. Rund 130 Medien wurden seither geschlossen, gut 170 Journalisten sitzen in Haft. Auch gegen Can Dündar laufen mehrere Gerichtsverfahren, bei einer Rückkehr in seine Heimat würde ihm erneute Gefängnishaft drohen. 2015 legte der Journalist in einem Cumhuriyet-Artikel offen, dass der türkische Geheimdienst Waffen an syrische Islamisten lieferte. Und Dündar glaubt, dass Präsident Erdogan ihm diese Recherche persönlich übel nimmt.
    "Er ist jemand, der nicht vergisst und stattdessen auf Rache sinnt. Ich glaube sogar, dass er traurig ist, dass er mich quasi verloren hat, dass ich in der Türkei nicht im Gefängnis sitze oder auf dem Friedhof liege. Mit meiner Geschichte über die Waffenlieferungen habe ich eines von Erdogans größten Verbrechen aufgedeckt, ich denke, er will, dass ich dafür einen Preis bezahle."
    In seinem Buch "Verräter. Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil" erzählt Dündar in dreißig Kapiteln von den beruflichen wie persönlichen Wendungen, die sein Leben seit dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 nahm. Denn die auf die Ereignisse jener Nacht folgenden Verhaftungen von Lehrern, Staatsanwälten und Journalisten, das Gefühl, einer Hexenjagd auf kritische Intellektuelle beizuwohnen, bewogen Dündar dazu, von einem Spanienurlaub nicht in die Türkei zurückzukehren.
    Ankunft in Berlin
    Stattdessen bestieg er am 1. September vergangenen Jahres in Barcelona ein Flugzeug nach Berlin:
    "Innerhalb weniger Wochen war mir zunächst mein Land, dann meine Familie, auch mein Zuhause und schließlich noch mein Job entglitten. Wie ein vom Baum gerissenes Blatt schwebte ich im Ungewissen. Ungewiss, wohin der Sturm mich treiben würde."
    Dündar berichtet in seinem Buch davon, wie er in Deutschland direkt mit der Arbeit begann. Wie er andere Journalisten traf, den Kontakt zu Politikern suchte, die sich für die Ereignisse in der Türkei interessierten. Als ihn die Wochenzeitung "Die Zeit" schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Deutschland als Kolumnisten engagierte, war er überglücklich:
    "Damit hatte ich ein geregeltes Einkommen, ein schönes Zuhause, ein behagliches Büro, eine Kolumne, in der ich meine Gedanken zum Ausdruck bringen, und eine Arbeit, mit der ich mein Engagement fortsetzen konnte. Und ein neues Land, in dem ich leben würde."
    Die Kapitel seiner Texte tragen Überschriften wie Merkel, der Aktivist, Schlaf, der Überfall oder Angst. Und wer die jüngsten politischen Entwicklungen der Türkei verfolgt hat, stößt bei der Lektüre auf viel Bekanntes. So berichtet er von dem Tag, an dem seine Frau Dilek zu ihm nach Deutschland reisen wollte. Der aber, statt in Zweisamkeit, in bitterer Enttäuschung endete, weil die Türkei Dilek Dündars Reisepass kurzerhand für ungültig erklärte und sie nicht ausreisen ließ.
    Der Journalist als Freiheitskämpfer
    Dündar schreibt von enttäuschenden Treffen mit europäischen Politikern, die - wenn er sie zur Kritik an Erdogan aufforderte - nur beschämt zu Boden blickten, weil sie den türkischen Staatspräsidenten aufgrund eigener politischer Zwänge nicht verärgern wollten. Schließlich kommt er immer und immer wieder auf das Thema zu sprechen, das ihm am meisten auf der Seele zu brennen scheint: Die erschütternde Situation von Medien und Journalisten in der Türkei. Beim Lesen wird klar: Aus dem Journalisten Dündar ist ein Aktivist geworden:
    "Ich fühle mich nicht länger wie ein richtiger Journalist. Ich kämpfe für etwas, und deswegen bin ich nicht mehr so objektiv, wie ich es als Journalist sein müsste. Aber, das war nicht meine Wahl. Ich wurde in diesen Kampf gezwungen. Ich wollte eigentlich nur jemand sein, der schreibt. Stattdessen ist aus mir ein Freiheitskämpfer geworden."
    Can Dündar hat sein Buch in einer von persönlichen Umbrüchen und intensiven Gefühlen geprägten Lebensphase geschrieben. Inneren Abstand, das spürt man bei der Lektüre, hat er zu den Ereignissen noch nicht.
    "Es war schwierig, vielleicht das schwierigste meiner bisherigen Bücher. Denn meine Wunde ist noch frisch. Es war das anstrengendste Jahr meines Lebens und es hat mich ausgelaugt, darüber zu schreiben."
    In Freiheit, aber nicht sicher
    Die Einblicke in sein Seelenleben sind dabei besonders spannend: Wenn er von Tagen erzählt, an denen ihm die Einsamkeit wie Bleifesseln an den Füßen hängt. Von der Sehnsucht nach seiner Frau Dilek und seinem Sohn Ege , die er seit einem Jahr bei Gesprächen nur auf dem Handy- oder Computerbildschirm sehen kann. Von dem Gefühl, im Alltag überwacht und bedroht zu sein. Denn Berlin mit seiner großen türkischen Gemeinde ist für Dündar alles andere als eine sichere Zuflucht.
    "Ich habe durchaus ein paar schlechte Erfahrungen gemacht, weil so viele Anhänger von Erdogan in Deutschland leben. Ich hatte zum Beispiel unangenehme Diskussionen mit türkischen Taxifahrern oder Situationen, in denen mir jemand aus einem fahrenden Taxi eine Beleidigung an den Kopf warf."
    Ganz bewusst ist Dündar deswegen nicht nach Berlin Kreuzberg gezogen, wo Zehntausende Türken wohnen. Sondern in den ehemaligen Ostteil der Stadt, in dem kaum einer seiner Landsleute lebt. Auch in ein normales Taxi steigt der Journalist, der bei öffentlichen Veranstaltungen von Personenschützern begleitet werden muss, nicht mehr ein.
    Dündars Buch ist nicht von tiefen Reflexionen etwa über die politische Situation in der Türkei oder den möglichen Umgang europäischer Länder mit Präsident Erdogan durchzogen. Die kurzen Kapitel spiegeln vielmehr das fragmentierte Leben wider, das der Journalist seit einem Jahr in der Fremde führt. Exemplarisch stehen sie für jene intellektuelle Elite, die in vielen Ländern mundtot gemacht und ins Exil getrieben wird. Zeigen jene Momente, in denen Can Dündar Arbeit, Familie und Heimat verliert und sich in der Ferne etwas Neues aufbauen muss. Sein Text ist das kämpferische, leidenschaftliche Buch eines Mannes, der gerade deswegen immer weiter macht.
    Can Dündar: "Verräter. Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil"
    Hoffmann und Campe Verlag. 192 Seiten, 20 Euro.