Während in den Verhandlungen zwischen den Spitzenpolitikern die Drähte heiß laufen, haben die Bürger von Bratislava ihren ganz eigenen Blick auf die Dinge.
"Soll ich Ihnen ganz offen was sagen? Mir kann das alles gestohlen bleiben!"
Ein junger Mann meint:
"Die Politiker sollten sich einigen, einer muss ja regieren. Irgendwie schaffen die das noch, und selbst wenn nicht: Der Staat wird schon weiter funktionieren."
Und eine Frau ergänzt:
"Ich habe die Abstimmung zum Rettungsschirm in der letzten Woche bis in die Nacht verfolgt. Ich fürchte, das Tauziehen, das wir jetzt sehen, ist nicht gut für die Menschen hier."
Die Resignation ist greifbar in den Straßen von Bratislava. An innenpolitische Grabenkämpfe und harte Bandagen in der parlamentarischen Auseinandersetzung sind die Slowaken zwar gewöhnt – aber dass ihnen jetzt mitten in der Euro-Krise die politische Führung fehlt, ist ihnen dann doch nicht so ganz geheuer. Erst für März nächsten Jahres sind die Neuwahlen geplant; was bis dahin passiert, weiß derzeit noch niemand. Der Politologe Michal Horsky bringt die Lage auf den Punkt:
"Die Wahrheit ist: Wir sind im Wahlkampf. Er fing an nach dem Sturz der Regierung. Und alle sechs Parlamentsparteien verhalten sich jetzt nicht so, wie es im Sinne des Allgemeinwohls wäre. Alle wollen nur die beste Startposition für die Wahlen."
Die Gleichung ist einfach: Es steht unter anderem die Haushaltsplanung für das kommende Jahr an – eine Aufgabe, bei der sich die regierenden Parteien nur unbeliebt machen können. Nach dem Sturz der Mitte-rechts-Regierung in der vergangenen Woche war ursprünglich eine große Koalition im Gespräch oder zumindest eine Duldung durch die linkspopulistische Oppositionspartei Smer. Deren Chef Robert Fico hat es sich inzwischen allerdings anders überlegt.
"Bis zum Wahltermin am 10. März werden wir uns in keine koalitionsinterne Debatte einmischen, die Regierung soll regieren und wir werden opponieren, wo wir nur können. Bei den Wahlen soll dann das Volk entscheiden, ob es weiterhin so ein Konglomerat von konservativen Parteien will oder eine normale, stabile Regierung, auf die viele Herausforderungen warten."
Das Problem: Eine der vier bisherigen Regierungsparteien - die neoliberale SaS, die mit ihrem Nein zum Rettungsschirm die Koalition gesprengt hat – will sich nicht an einer Übergangsregierung beteiligen. Damit ist klar, dass die Machtbasis einer wie auch immer gearteten Interims-Koalition denkbar dünn wäre. Oppositionschef Robert Fico:
"Ihre einzige Aufgabe wäre es, das Licht weiter anzulassen und zu heizen, zu mehr sollte die Übergangsregierung kein Recht haben."
Die Situation ist verfahren: Die Regierung ist gestürzt, weil die Linkspopulisten sie beim Euro-Rettungsschirm trotz inhaltlicher Zustimmung nicht unterstützt haben – und die gleichen Linkspopulisten verweigern sich jetzt einer gemeinsamen Übergangslösung. Politologe Michal Horsky:
"Was kann für den Oppositionschef Robert Fico vorteilhafter sein, als vier Mitte-rechts-Parteien zu haben, die sich im Streit selbst zerfleischen? Er kann sich zurücklehnen, braucht überhaupt nichts zu tun und hat seine Wahlkampagne gratis."
Für die Lösung der Probleme ist jetzt laut slowakischer Verfassung der Staatspräsident Ivan Gasparovic verantwortlich. Der 70-Jährige hat sich bislang kaum in die Tagespolitik eingemischt; jetzt muss er eigentlich einen Parteichef mit der Regierungsbildung beauftragen. Nach ersten Sondierungsgesprächen allerdings wirkte er ratlos.
"Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, dieses kleine Problem zu lösen, das wir gerade haben. Bislang haben wir eine solche Lösung nicht gefunden. Wir haben uns aber auf ein neues Treffen geeinigt."
Das soll am heutigen Donnerstag stattfinden. Ob es diesmal ein Ergebnis gibt, ist fraglich. Einzig die gestürzte Premierministerin Iveta Radicova hat angedeutet, dass sie bereit wäre, bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Amt zu bleiben.
"Mein Interesse und das Interesse meiner Partner ist klar. Die Schlagzeilen in Europa waren nach der Entscheidung über den Rettungsschirm so negativ, dass es jetzt für jeden verantwortungsvollen Politiker die Priorität sein muss, unser Land vor Europa und der Welt als vertrauenswürdig zu beweisen."
Auf welche Mehrheit sie sich dabei stützen könnte, ist allerdings völlig offen.
Mehr zum Thema:
Slowakei: Neue Abstimmung über Rettungsschirm - Sozialdemokraten machen Votum von vorgezogenen Parlamentswahlen abhängig (dradio.de - Aktuell, 12.10.2011)
"Die Regierung in Bratislava ist gestürzt, der Euro nicht" - Sozialdemokrat Schulz zur Ablehnung des Rettungsschirms durch das slowakische Parlament (Deutschlandradio Kultur Interview, 12.10.2011)
Lammert kritisiert EFSF-Abstimmungverfahren in Slowakei - Bundestagspräsident über Euro-Rettungsschirm und die Mitbestimmung nationaler Parlamente (DLF Interview, 14.10.2011)
"Soll ich Ihnen ganz offen was sagen? Mir kann das alles gestohlen bleiben!"
Ein junger Mann meint:
"Die Politiker sollten sich einigen, einer muss ja regieren. Irgendwie schaffen die das noch, und selbst wenn nicht: Der Staat wird schon weiter funktionieren."
Und eine Frau ergänzt:
"Ich habe die Abstimmung zum Rettungsschirm in der letzten Woche bis in die Nacht verfolgt. Ich fürchte, das Tauziehen, das wir jetzt sehen, ist nicht gut für die Menschen hier."
Die Resignation ist greifbar in den Straßen von Bratislava. An innenpolitische Grabenkämpfe und harte Bandagen in der parlamentarischen Auseinandersetzung sind die Slowaken zwar gewöhnt – aber dass ihnen jetzt mitten in der Euro-Krise die politische Führung fehlt, ist ihnen dann doch nicht so ganz geheuer. Erst für März nächsten Jahres sind die Neuwahlen geplant; was bis dahin passiert, weiß derzeit noch niemand. Der Politologe Michal Horsky bringt die Lage auf den Punkt:
"Die Wahrheit ist: Wir sind im Wahlkampf. Er fing an nach dem Sturz der Regierung. Und alle sechs Parlamentsparteien verhalten sich jetzt nicht so, wie es im Sinne des Allgemeinwohls wäre. Alle wollen nur die beste Startposition für die Wahlen."
Die Gleichung ist einfach: Es steht unter anderem die Haushaltsplanung für das kommende Jahr an – eine Aufgabe, bei der sich die regierenden Parteien nur unbeliebt machen können. Nach dem Sturz der Mitte-rechts-Regierung in der vergangenen Woche war ursprünglich eine große Koalition im Gespräch oder zumindest eine Duldung durch die linkspopulistische Oppositionspartei Smer. Deren Chef Robert Fico hat es sich inzwischen allerdings anders überlegt.
"Bis zum Wahltermin am 10. März werden wir uns in keine koalitionsinterne Debatte einmischen, die Regierung soll regieren und wir werden opponieren, wo wir nur können. Bei den Wahlen soll dann das Volk entscheiden, ob es weiterhin so ein Konglomerat von konservativen Parteien will oder eine normale, stabile Regierung, auf die viele Herausforderungen warten."
Das Problem: Eine der vier bisherigen Regierungsparteien - die neoliberale SaS, die mit ihrem Nein zum Rettungsschirm die Koalition gesprengt hat – will sich nicht an einer Übergangsregierung beteiligen. Damit ist klar, dass die Machtbasis einer wie auch immer gearteten Interims-Koalition denkbar dünn wäre. Oppositionschef Robert Fico:
"Ihre einzige Aufgabe wäre es, das Licht weiter anzulassen und zu heizen, zu mehr sollte die Übergangsregierung kein Recht haben."
Die Situation ist verfahren: Die Regierung ist gestürzt, weil die Linkspopulisten sie beim Euro-Rettungsschirm trotz inhaltlicher Zustimmung nicht unterstützt haben – und die gleichen Linkspopulisten verweigern sich jetzt einer gemeinsamen Übergangslösung. Politologe Michal Horsky:
"Was kann für den Oppositionschef Robert Fico vorteilhafter sein, als vier Mitte-rechts-Parteien zu haben, die sich im Streit selbst zerfleischen? Er kann sich zurücklehnen, braucht überhaupt nichts zu tun und hat seine Wahlkampagne gratis."
Für die Lösung der Probleme ist jetzt laut slowakischer Verfassung der Staatspräsident Ivan Gasparovic verantwortlich. Der 70-Jährige hat sich bislang kaum in die Tagespolitik eingemischt; jetzt muss er eigentlich einen Parteichef mit der Regierungsbildung beauftragen. Nach ersten Sondierungsgesprächen allerdings wirkte er ratlos.
"Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, dieses kleine Problem zu lösen, das wir gerade haben. Bislang haben wir eine solche Lösung nicht gefunden. Wir haben uns aber auf ein neues Treffen geeinigt."
Das soll am heutigen Donnerstag stattfinden. Ob es diesmal ein Ergebnis gibt, ist fraglich. Einzig die gestürzte Premierministerin Iveta Radicova hat angedeutet, dass sie bereit wäre, bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Amt zu bleiben.
"Mein Interesse und das Interesse meiner Partner ist klar. Die Schlagzeilen in Europa waren nach der Entscheidung über den Rettungsschirm so negativ, dass es jetzt für jeden verantwortungsvollen Politiker die Priorität sein muss, unser Land vor Europa und der Welt als vertrauenswürdig zu beweisen."
Auf welche Mehrheit sie sich dabei stützen könnte, ist allerdings völlig offen.
Slowakei: Neue Abstimmung über Rettungsschirm - Sozialdemokraten machen Votum von vorgezogenen Parlamentswahlen abhängig (dradio.de - Aktuell, 12.10.2011)
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