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Lebenserinnerungen von Else Sohn-Rethel
Ein lebendiges und charmantes Epochenbild

Durch einen glücklichen Zufall entdeckte der Schriftsteller Hans Pleschinski die Lebenserinnerungen der künstlerlisch begabten Malertochter und Malergattin Else Sohn-Rethel. Als Herausgeber von "Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht" erinnert er durch Else Sohn-Rethels Stimme an eine nur vermeintlich ferne Epoche zwischen Cholera-Epidemien und elektrischem Licht.

Von Katrin Hillgruber | 06.06.2016
    Verträumt und freundlich blickt der Zulukönig Cetshwayo drein, das stolze Haupt von gelb-grünen Wolken sowie einer Kette aus Löwenzähnen umrahmt. Der Düsseldorfer Maler Carl Rudolph Sohn porträtierte ihn im Jahre 1882, als der letzte autonome Herrscher der Zulu die britische Königin Victoria in London besuchte. Angeregt berichtete Carl Sohn seiner daheimgebliebenen Frau Else von den Porträtsitzungen. Als das berühmt gewordene Gemälde später auch in Düsseldorf gezeigt wurde, lobte ein Kunstkritiker, Carl Sohn habe die Züge des Zulukönigs der Nachwelt in – wie es hieß – "liebenswürdiger Durchgeistigung" überliefert. Noch lange Zeit sei ihr Mann im Düsseldorfer Künstlerverein Malkasten mit dem Zulu-Schlachtruf empfangen worden, notierte Else Sohn-Rethel in ihren Memoiren.
    Durch einen glücklichen Zufall sind die Lebenserinnerungen der selbst vielfach künstlerisch begabten Malertochter und Malergattin Else Sohn-Rethel nun unter dem Titel "Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht" dem Vergessen entrissen worden. Hans Pleschinski, der historisch so versierte Romancier, entdeckte sie im Zuge der Recherchen zu seinem Roman "Königsallee". Denn Else Sohn-Rethel war die Großmutter von Klaus Heuser, in den sich Thomas Mann 1927 verliebt hatte, wie er Jahrzehnte später seinem berühmten Tagebuch anvertraute.
    "Als ich zum Roman "Königsallee" in Düsseldorf recherchierte bei der Familie von Klaus Heuser, fiel immer wieder der Name einer "Wilden Else". Das prägte sich dann im Laufe der Zeit etwas ein und dann frage ich auch mal nach, wer ist denn die Wilde Else? Und es ist die Großmutter von Klaus Heuser gewesen aus Düsseldorf, und die Damen, die mir sehr halfen bei der Recherche, sagten dann, ja es gibt ja auch die Memoiren von der Wilden Else noch, wollen Sie die mal lesen? […] Else Sohn-Rethel, die von 1853 bis 1933 lebte, hat zu ihrem Lebensende hin ihre Erinnerungen verfasst etwa bis 1900, und die waren handschriftlich. Ihr Schwiegersohn Werner Heuser, ein Maler […], der auch in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München gezeigt wurde, […] hat das Gott sei Dank abgetippt. Denn die Handschriften verbrannten 1943 bei einem Bombenangriff auf Düsseldorf, und so ist die Abschrift von Schwiegersohnes Hand überliefert."
    Charmantes Epochenbild
    Als "absolutes Frühlingsbuch" bezeichnet Hans Pleschinski seine rheinische Trouvaille. Das liegt am heiteren, ausgeglichenen Temperament der Else Sohn-Rethel. Als Tochter des Historienmalers Alfred Rethel, Enkelin des Miniaturmalers August Grahl und Urenkelin der Bankiers Oppenheim entstammte sie dem liberalen deutsch-jüdischen Großbürgertum und verbrachte in Dresden eine unbeschwerte, freie Jugend. Dabei lernte sie alsbald zu dirigieren und Rechnungen zu bezahlen, wie sie schreibt, denn ihre verträumte Mutter war mehr der Lektüre als den praktischen Dingen zugetan.
    Früh schon fiel die dunkelhaarige Else durch ihr apartes, italienisch anmutendes Äußeres auf, das Carl Rudolf Sohn in diversen Porträts verewigte. Ab 1865 – da war sie gerade einmal zwölf – wurde sie zum umschwärmten Mittelpunkt ausgelassener Künstlerfeste, zu denen unter anderem die offenbar ungemein attraktiven Münchner Maler Ferdinand von Miller und Claudius Schraudolph anreisten. Es ist dieser lebendige Stil, der Hans Pleschinski von Anfang an in seinen Bann zog. Wie bereits etwa die Briefe der Madame de Pompadour oder die Aufzeichnungen des Herzogs Emmanuel von Croÿ am Hof von Versailles gestaltet er Else Sohn-Rethels Erinnerungen durch behutsame Zwischentexte zu einem ungemein lebendigen und charmanten Epochenbild.
    "Welche Leichtigkeit, als würde da ein Schmetterling durch die Zeit fliegen oder Lerchengesang erklingen, aber selbstverständlich ist das der Reiz neben dem Faktum, dass wir wenige Frauenerinnerungen aus jener Zeit haben. Sie vermittelt uns eine versunkene, große Zeit, die Gründerzeit, die Belle Epoque, da haben wir in Deutschland nicht viele Zeugnisse und schon gar nicht mit so leichter Hand verfasst. Das ist eine gewisse Magie Elses, die ja auch eine bezaubernde Frau in der Wirklichkeit war, wenn sie dann vom Flirten erzählt oder wie viele Männer ihr hinterherstiegen oder um sie warben. Sie galt als eine neue Mignon, eine Goethe-Gestalt quasi, aber mit bezaubernder Naivität."
    Else Sohn-Rethel war eine emanzipierte Frau avant la lettre, die ganz selbstverständlich für das liberale jüdische Großbürgertum stand. Antijudaismus oder gar Antisemitismus thematisiert sie an keiner Stelle. Vielleicht war sie auch durch das Künstlermilieu, in dem sie sich in Dresden und später durch ihre Heirat mit Carl Sohn in Düsseldorf bewegte, vor solchen Ressentiments und Anfeindungen geschützt. 1877 wurde der alte Kaiser Wilhelm I. zu einem Künstlerfest im Malkasten erwartet. Die vierfache Mutter und Monarchie-Skeptikerin Else gestaltete ganz praktisch mit Wattetafeln und Eimern voller Kleister eine prächtige Saaldekoration, die vierzig Jahre lang gehalten haben soll. Hans Pleschinski gab dieser Episode den hinreißenden Titel "Mit Kleister für Kaiser und Reich". Dennoch versteht er es, dieses so unbeschwerte Leben einer glücklichen Natur durch Kommentare zu ergänzen, die den zwiespältigen Zeitgeist offenbaren.
    "Sie schildert eine Reise nach Borkum, eine sehr lustige Reise, ja teils lustig, die Mutter ertrinkt fast bei Ebbe und Flut, und ein Pastor rettet sie. Durch meine Recherchen stieß ich dann darauf, dass einige Inseln sich viel darauf zugutehielten, Juden nicht zu empfangen und sie auch durch Gehässigkeiten, teils durch angekündigte Brutalitäten, vertreiben wollten. Norderney war […] eine liberalere Insel, in Borkum wurde sehr früh, lange vor dem Ersten Weltkrieg, mittags immer ein antijüdisches Lied von der Kurkapelle gespielt, und das ist ekelerregend. Eine Zeit, in der sogar Otto von Bismarck, der Erzdeutsche, der Judenfreundlichkeit bezichtigt wurde. Das waren die ganzen dunklen, düsteren Ecken der deutschen Gesellschaft, die dann nach dem Ersten Weltkrieg leider übermächtig wurden."
    Liebevoller und ironischer Gesellschaftsblick
    Else Sohn-Rethels anekdotenreiche Aufzeichnungen enden mit dem Sommer 1891, als die 38-Jährige mit ihrer Familie an der holländischen Küste weilte. Mit ihrem liebevollen, aber auch ironischen Blick musterte sie die anderen Badegäste, so wie sie sich schon bei ihrer Hochzeitsreise in die Schweiz über Damen amüsiert hatte, die als vornehm gelten wollten und mittags lange Handschuhe trugen – ein Fauxpas sondergleichen.
    Wo man das reich und sorgsam illustrierte Buch "Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht" auch aufschlägt: Durch die Stimme Else Sohn-Rethels erinnert der Herausgeber Hans Pleschinski an eine nur vermeintlich ferne Epoche zwischen Cholera-Epidemien und elektrischem Licht.
    "Die ganze deutsche Liberalität ist untergegangen, die Else Sohn dokumentiert, der Charme Deutschlands vernichtet worden, das müssen wir alles wieder aufbauen und retten, und eine solche Erinnerung kann uns eine schöne Phase deutscher Vergangenheit zeigen. Ich bin froh, dass in diesen Schatz von Damen-, Frauenerinnerungen einer Künstler- und Lebewelt nicht mehr Verdun hereinbricht."
    Hans Pleschinski (Hrsg.): Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht. Lebenserinnerungen von Else Sohn-Rethel
    Verlag C.H. Beck, München 2016. 256 Seiten, 22,95 Euro.