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Lebensmittel für die Tonne
Wenn Tafeln zu viel oder das Falsche bekommen

Tafeln sammeln aussortierte Lebensmittel von Supermärkten ein, die sie an Bedürftige weitergeben. Allerdings sind das nicht immer die Lebensmittel, die tatsächlich nachgefragt werden. Die Aschaffenburger Tafel "Grenzenlos" versucht, das Angebot passender zu machen, damit sie auch selbst nicht so viel Lebensmittel wegwerfen muss.

Von Ludger Fittkau | 29.05.2019
Ehrenamtliche Mitarbeiter der Nürnberger Tafel verteilen an Nutzer der Einrichtung am 20.10.2016 in Nürnberg Lebensmittel.
In Lebensmittel-Tafeln werden oft nicht nur Salat und Brot nachgefragt, sondern auch Nudeln und Kaffee. (dpa / picture-alliance / Daniel Karmann)
"Guten Morgen zusammen", Harry Kimmich begrüßt im "Kaufhaus Grenzenlos" die Bedürftigen, die sich täglich mit gespendeten Lebensmitteln versorgen. Kimmich ist seit nunmehr 20 Jahren der Vorsitzende des Vereins, der in der Nähe des Aschaffenburger Hauptbahnhofs die örtliche Lebensmitteltafel betreibt. Der ehemalige Gastronom schüttelt auch nach der langen Zeit der ehrenamtlichen Arbeit heute noch den Kopf darüber, was weggeworfen wird: "Also, hier zum Beispiel: Das sind jetzt alles Produkte von letzter Woche, die würde ich alle essen. Das ist der Wahnsinn, was wir wegwerfen in unserem Land! Wo sehen Sie hier irgendwas, wo Sie sagen würden, das ist nicht in Ordnung?"
Die Tafel als billige Entsorgung für Supermärkte
Die Ware stammt von Supermärkten. Einige von ihnen, vor allem Lebensmittelketten, nutzten das Engagement der Ehrenamtlichen bei den Lebensmitteltafeln aus, sagt Harry Kimmich. In den Lieferwagen der gemeinnützigen Vereine sähen sie die Möglichkeit, ihre nicht verkauften Lebensmittel billig loszuwerden. Etwa ein Viertel der Waren, die für die Tafel abgeholt werden, müssen am Ende doch noch aussortiert und der Müllentsorgung zugeführt werden, sagt Harry Kimmich. "Von den vier Tonnen, die wir täglich bekommen, geht eine Tonne am gleichen Tag schon zur Deponie. Also für viele Märkte sind wir eigentlich eine billige Entsorgung. Und wenn wir merken, dass wir nur Entsorger sind, fahren wir die Märkte nicht mehr an." Immerhin hätten neue elektronische Waren-Steuerungssysteme in vielen Supermärkten in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Lebensmittelverschwendung deutlich reduziert werde, sagt Harry Kimmich.
"Food Sharing" rettet auch Lebensmittel der Tafeln
Insbesondere Brot und Gebäck bleiben jedoch oft auch in den Regalen des Sozialkaufhauses liegen, erklärt die "Grenzenlos"-Sozialpädagogin Marion Forche: "Also, wir haben regelmäßig ein Überangebot an Gebäck, Brot und Brötchen und haben da zum einen eine Kooperation mit einem Nebenerwerbslandwirt, der uns da einen Teil abnimmt." Der Landwirt verfüttert das Brot etwa an die Schweine auf seinem Hof. "Aber das meiste, das bei uns übrig ist, holt eine Gruppe, die in Aschaffenburg aktiv ist. Die nennt sich "Food Sharing". Die holen zweimal in der Woche das übriggebliebene Gebäck bei uns ab."
Der Verein "Food Sharing" ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv, in dem Ehrenamtliche Lebensmittelreste von privaten Haushalten und kleinen Betrieben retten, und auch übriggebliebene Lebensmittel der Tafeln weiterverteilen. In Aschaffenburg geschieht das an bekannten zentralen Orten, erzählt Marion Forche: "Die haben Treffpunkte in der Aschaffenburger Gastronomie organisiert." Die geretteten Lebensmittel aus den Supermärkten werden ein zweites Mal weitergereicht. Die Aschaffenburger Tafel braucht nicht noch mehr Brot und Backwaren. Dafür fehlt es an anderen Lebensmitteln. Harry Kimmich hat dafür die Aktion "Eins für Grenzenlos" gestartet. In bestimmten Edeka-Märkten Aschaffenburgs können Kunden an der Kasse einfach bestimmte Waren mehr einbuchen lassen, die sie dann an die Tafel spenden.
18 Produkte kann die Tafel auch gezielt bestellen
Es geht um insgesamt 18 Produkte, die sonst im Grenzenlos-Sozialkaufhaus kaum angeboten werden könnten: zum Beispiel Nudeln, Bratheringe oder Kaffee - Produkte, die von Supermärkten eher selten weggeworfen werden. Die Aschaffenburger Tafel bekommt auf diese Weise wöchentlich rund 3.500 Artikel. "Es ist eigentlich eine Win-Win-Situation für Märkte und für die Bedürftigen. Der Markt hat ein ganz anderes Sozial-Image in der Region, und die Bedürftigen profitieren einfach von den tollen Lebensmitteln." Die eben auch gezielt von den Tafeln in den Supermärkten quasi "bestellt" werden könnten, sagt Kimmich, damit es statt zu viel Brot und Gebäck im Sozialkaufhaus öfter mal Kaffee oder Nudeln gibt: "Mein großer Traum ist halt, "Eins für die Tafel" bundesweit von irgendeiner großen Kette, Edeka, Rewe, Tegut, um die freiwillige Umverteilungsmöglichkeit der Bürger zu manifestieren, und eine andere Angebotsmöglichkeit zu haben als bisher."