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Lebensspur Lech
Entlang des Flusses zwischen Tirol und Allgäu

Das Lechtal bietet Raum für seltene Pflanzen und Tiere und eine Natur, die wilder ist als auf den ersten Blick ersichtlich. In einem Nebental liegt Gramais, die kleinste, unabhängige Gemeinde Österreichs. Dort leben nur 41 Menschen – zusammen mit einigen Schlittenhunden.

Von Katrin Kühne | 26.07.2020
Die Lech im Lechtal
Die Lech ist für Wanderer wunderschön, brachte der Region aber auch immer wieder Überschwemmungen (imago-images)
Es regnet in Holzgau im oberen Lechtal, dicke Tropfen platschen auf das Mikrofon. Nebelschwaden umgeben uns im Tannenwald im Hinteren Gföll, als Simone Knitel und ich uns zu unserer Kräuterwanderung in rund 1.100 Metern Höhe aufmachen.
"Ich komme eigentlich aus dem Kreis Weißwasser, aus der Lausitz und habe damals 1990 die 100 Mark Begrüßungsgeld geholt in Berlin und bin dann mit den 100 Mark hierhergekommen."
Aus der Lausitzer Krankenschwester ist eine – fast – waschechte Lechtalerin und Kräuterpädagogin geworden. Damals habe es auch so geregnet, erzählt sie lachend, während wir mittels eines frisch geschreinerten Holzbrückchens über einen sprudelnden Bach stapfen. Dort haben sich "Blunken", wie es im Dialekt heißt, gebildet. Kleine Wasserbecken – für heiß gelaufene Wandererfüße bestens geeignet zum Naturkneippen. Liegen aus Fichte laden zum Ruhen ein. Kaum aus dem Wald heraus entschädigen uns leuchtend bunte, blühende Bergwiesen für den Dauerregen.
Sie stehen, wie weite Teile des Tiroler Lechtals, unter Naturschutz und dürfen nur zweimal im Sommer gemäht werden, damit die Samen ausreifen können. Biologisch besonders wertvoll ist eine gelbblühende, doch vom Aussterben bedrohte Pflanze.
"Das ist der Klappertopf, das ist eine Lippenblüte und an der Lippenblüte dran ist so ein tellerförmiges Gehäuse und in diesem Gehäuse wächst der Samen ran und wenn dieser ausgereift ist, dann fällt der in dieser Samenkapsel nach unten und wenn der Wind dann über die Pflanzen darüber geht, dann klappert das."
Die Blüte des Großen Klappertopfs (Rhinanthus angustifolius).
Die Blüte des Großen Klappertopfs (Rhinanthus angustifolius). (picture alliance/dpa/Heinz Baum/Stiftung Naturschutz Hamburg)
Wilder, intensiv lila blühender Salbei begleitet uns am Wiesenrand. Dost – der wilde Oregano – entfaltet trotz Nässe sein intensives Aroma, als wir die Blätter zerreiben auf dem Weg zurück ins Dorf. Die neugebaute kleine Brücke mit der "Blunken"-Kneippstelle im Hinteren Gföll ist im Rahmen des zur Zeit laufenden Interreg-Projektes "Lebensspur Lech" entstanden, erzählt mir Elmar Blaas. Der Heimatkundler hat sich sehr für das Projekt engagiert.
Hängebrücke im Nebel, Holzgau
Hängebrücke im Nebel, Holzgau (Deutschlandradio / Katrin Kühne)
Das EU-Regional-Programm fördert die Schaffung eines Grenzüberschreitenden Natur-Gesundheits-Erlebnisraums rund um das Element Wasser. Und zwar vom Tiroler Lechtal bis in die Lech-Stadt Füssen im Allgäu. Mit und ohne die Ideen des alten "Wasserdoktor" Kneipp. In Holzgau heißt das: "Kneippen für alle" in der Natur.
Der Fluss war oft mehr Fluch als Segen
Wassertreten, Bewegung, gesunde Kräuter. Die Familie des Jeans, nein nicht Lederhosen, tragenden Elmar lässt sich bis ins Jahr 1325 zurückverfolgen. Hatte sein Vater noch eine Landwirtschaft mit Ferienbetten, so betreiben er und seine Schwestern heute auf dem ehemaligen Hof-Gelände ein Hotel und zwei Gästehäuser.
"Die Familie ist jetzt bereits schon circa 250 Jahre im Lechtal. Mein Ururgroßvater war damals hierher gekommen als erster Mediziner aus dem Südtiroler Vinschgau und auch die Familie meiner Mutter kommt aus dem Lechtal, aus Holzgau."
Die Vorfahren waren reisende Flachs-Händler, die den wertvollen Leinen-Rohstoff ins nahe Allgäu lieferten. Als Zeichen des Wohlstands ließen sie ihre Häuser mit barocker Scheinarchitektur und farbigen Szenen aus der Bibel verschönern, mit der sogenannten Holzgauer Lüftl-Malerei. Die Tradition wird bis heute von der Familie und natürlich von anderen Einwohnern weitergeführt.
Und der Lech? Der meandernde Fluss war jahrhundertelang mehr Feind als Freund, mehr Fluch als Segen. Immer wieder brachte er Überschwemmungen und Not über die Lechtaler. Oft haben Großvater und Urgroßvater dem kleinen Elmar davon erzählt.
"Die haben damals in Winterarbeit große Steine her gekarrt und dann an bestimmten Stellen, an denen der Lech immer wieder über seine Ufer tritt, eingesetzt und so erste Hochwasserschutzbauten gemacht , nur mit Naturbaustoffen, nur mit Steinen."
Die im 19. und 20. Jahrhundert angelegten Verbauungen des Flusses, wie auch in den Bergbächen der vier Seitentäler, wurden und werden im Rahmen von EU-geförderten Renaturierungs-Maßnahmen zurückgebaut.
Auch im Otterbach, der oberhalb von Gramais entspringt.
Die mit 41 Einwohnern kleinste, unabhängige Gemeinde Österreichs liegt in steilem Gelände auf rund 1.300/1.400 Metern Höhe. Der ursprüngliche Ort gehört zu den strukturschwachen "Auszeitdörfern", die im Rahmen des Interreg-Projektes ebenfalls unterstützt werden.
"Himalaya" in den Lechtaler Alpen
Bereits vor acht Jahren sind Claudia und Hubertus Lindner hier angekommen. Claudia:
"Das ist Balou, unser Alpha-Rüde und Lily, unsere Alpha-Hündin. Sie ist die Chefin. Sie macht es mit sehr viel Würde!"
Die gebürtige Dresdnerin hat Berliner Wurzeln. Ihr Mann stammt aus Niederösterreich. Er betreibt die Bergschule in Gramais, in der auch die Schlittenhunde zum Einsatz kommen. Claudia:
"Normalerweise kennt man ja Huskies fürs Schlittenfahren. Bei uns in Gramais ist es ja nicht so flach und deswegen haben wir unsere Huskies von Anfang da drauf trainiert, dass sie Aufstiegshilfen sind. Also sprich, die kann man sich mit dem Bauchgurt vor den Bauch spannen und die ziehen schon so ihre 50-100 kg und das hilft halt bei inhomogenen Gruppen und es macht viel, viel mehr Spaß."
Für das Ehepaar Lindner war es eine Lebensentscheidung, aus dem Arbeits-Hamsterrad eines Krankenhaus-Managers und einer Grafik-Designerin auszusteigen. Vor drei Jahren ist Söhnchen Darius dazugekommen.
"Für mich ist meine Arbeit keine Arbeit, sondern Arbeit ist Leben. Aber wir nehmen uns auch jeden Tag die Stunde, um draußen zu sitzen, mit den Hunden zu gehen und haben quasi jeden Tag ein bisschen Urlaub."
Alles ist vereint unter selbsterbautem Dach: Bergschule, Wohnen mit Laptop-Business, Basecamp. Sie hat eine Werbeagentur im Lechtal. Gemeinsam führen sie eine Unternehmensberatung. Und als "Add-on", wie Claudia sagt, ihr "Basecamp" mit sieben Schlafplätzen und selbstverständlich "Bio-Frühstück" für ihre auf Nachhaltigkeit bedachte sportliche Klientel.
Unter steilem Terrassengarten mit Steinmännchen, der rauschende Wildbach mit "Blunken" zum Wasserkneippen - voilà "Himalaya" in den Lechtaler Alpen! Teile der Ufer des Otterbachs wie auch der anderen drei Seitentäler gehören zum Naturpark Tiroler Lech. Dem Gewässerlauf folgend, schlängelt er sich fast 62 km lang durch das ganze Tal bis zur deutschen Grenze. Ökophysiologin Ivonne Markl ist Vize-Geschäftsführerin des Naturparks.
"Wir sitzen genau über dem reißenden Wildfluss Lech im Naturparkhaus Klimmbrücke. Der Name kommt nicht von ungefähr. Das Haus ist auf eine Brücke gebaut. Es bietet Informationen für Besucher und es beherbergt eine Ausstellung, die Ausstellung "Abenteuer Wildfluss".
Seltenes Tier im Schotter
In dem prämierten Plusenergie-Haus ist die letzte weitgehend ungeregelte Flusslandschaft der Nordalpen in den Teppich gewebt und steht für das Interreg-Forschungsprojekt "Leben am Wildfluss". Eine der kleinsten Bewohner des Naturparks ist gleichzeitig auch eine der seltensten. Ivonne betreibt das wissenschaftliche Monitoring zur gut getarnten Schüchternen.
"Genau, oh Schreck, oh Schreck, das ist die Gefleckte Schnarrschrecke und sie ist ein Kiesbankbewohner. Das bedeutet, sie braucht wirklich den Lebensraum, den nur ein Wildfluss liefern kann. Nämlich diese Schotterbänke, die immer wieder umgewälzt werden und einer Dynamik unterliegen. Der Tiroler Lech ist einer von den letzten Lebensräumen in Europa, welcher der Schnarrschrecke zur Verfügung stehen."
Der Name des Insekts rührt daher, dass es beim Auffliegen ein schnarrendes Geräusch mit den Flügeln macht. Nur dann wird auch deren schöne rosarote Unterseite sichtbar. Ivonne verbringt gern auch ihre Freizeit am Arbeitsplatz – dem, an schönen Tagen, türkisblauen Fluss.
Eine Gefleckte Schnarrschrecke im Flug
Eine Gefleckte Schnarrschrecke im Flug (imago stock&people)
"Mich fasziniert der Lech schon von Kindheit an und ich bin damals schon als 6-jährige, 7-jährige in die Region gekommen und habe die Schotterbänke genossen und eben auch Steinmännchen gebaut, ja!"
Am Quellgebiet in der Nähe des Vorarlberger Formarinsee beginnt der Lechweg, der das Gewässer 125 km lang begleitet. Er endet am Lechfall in Füssen im Allgäu. Dort treffe ich Stefan Fredlmeier. Unter uns brodelt der "letzte Wilde" der nördlichen Alpen noch einmal wild über künstliche Staustufen durch eine Klamm, bevor er "gezähmt" in den Forggen-Stausee fließt.
"Also ich habe den Lech entdeckt durch Wanderungen auf dem Lechweg. Und wenn man den Lechweg geht, man braucht da gar kein Programm, man braucht gar keine große Infrastruktur, man braucht gar nichts als wirklich diesem Lech zu folgen, und er hat eine magische Ausstrahlung, und so ein bisschen ist er auch ein Weg zu sich selbst."
Der gestandene Touristiker ist einer der Mitinitiatoren des Interreg-Projektes "Lebensspur Lech". Im Rahmen dessen werden, wie auch in Holzgau, an vielen Stellen des schmucken Kneipp-Kurortes Füssen die Gesundheitslehren des "Wasserdoktors" in natürlicher Umgebung wieder für jeden erlebbar gemacht. Gerade entsteht ein sogenannter Besinnungsweg, Kneipp-Stichwort "Innere Ordnung", im ehemaligen Benediktiner-Klostergarten am Lech. Der Füssenerin Renate Carré gefällt die Idee.
"Also einer meiner Lieblingsplätze, ganz klar, ist hier der Baumgarten. Das ist einfach Erholung, man hört die Vögel, man hört das Wasser, es fließt so vor sich hin. Man kann entspannen. Man fühlt sich einfach wohl hier. Ich bin gern hier an diesem Platz."
Leben entlang des Flusses. Lebensspur Lech. Nicht nur ein EU-Projekt.

Der Beitrag wurde von www.lechtal.at und www.fuessen.de unterstützt.