
Wohnraum in Deutschland ist knapp. Die Mieten steigen. Vor allem in den Metropolen. Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht. Ein Grund für die Knappheit sind Wohnungen und Häuser, die absichtlich leer stehen gelassen werden. Dahinter steckt oft die Wette auf höhere Profite in der Zukunft. Weil dadurch Wohnraum entzogen wird, drohen theoretisch hohe Bußgelder. Doch es gibt auch andere Möglichkeit, um gegen das Problem vorzugehen.
Wie viel Wohnraum steht leer?
Eine genaue Aussage dazu ist schwer möglich. Die Zensus-Zahlen von 2022 zeigen, dass hierzulande rund 1,9 Millionen Wohnungen leer standen - 4,3 Prozent. Knapp die Hälfte dieser Wohnungen stand weniger als ein Jahr leer. Es gibt viele Gründe dafür, zum Beispiel, wenn Mieter ausziehen und neue einziehen oder wenn Wohnungen renoviert werden.
Leerstand ist nicht per se schlecht. Zwischen zwei und fünf Prozent Leerstand sind für den Wohnungsmarkt nötig, damit Menschen umziehen oder Wohnraum renoviert werden kann. Problematisch wird es, wenn es zu wenig leere Wohnungen gibt. In Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln oder München sind nur zwei bis drei Prozent der Wohnungen verfügbar.
Strukturschwach und leere Wohnungen
Nicht immer ist Spekulation der Grund, warum Wohnungen länger als ein Jahr leer stehen. Darauf weist der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm hin. Das betreffe unter anderem ländliche Gebiete wie die deindustrialisierten Regionen in Ostdeutschland. Dort könne die Leerstandsquote sogar zweistellig sein, so der Wissenschaftler der Humboldt-Universität. „Da ist die häufigste Erklärung: Es fehlen einfach die Menschen, die dort einziehen wollen.“
So ist Leerstand regional unterschiedlich verteilt. Die Quote liegt in Ostdeutschland (ohne Berlin) bei durchschnittlich 7,7 Prozent. Höher sind die Zahlen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen - zwischen zwölf und fünfzehn Prozent. In Westdeutschland stehen etwa vier Prozent der Wohnungen leer. Je schwächer eine Region wirtschaftlich ist, desto höher ist meistens die Leerstandsquote.
Was ist spekulativer Leerstand?
Während Wohnungen keine Mieterinnen finden, gibt es auch das Gegenteil. Menschen wollten Wohnungen mieten, doch Eigentümer entziehen dem Markt Wohnungen. Diesen spekulativen Wohnungsleerstand definiert Stadtsoziologie Andrej Holm als „einen Leerstand, der bewusst aufrechterhalten wird, obwohl es eine Nutzungsmöglichkeit gäbe“.
Die Spekulation sei „ein wirtschaftliches Handeln, was auf höhere Erträge in der Zukunft setzt“, so Holm. „Oder weil es Pläne gibt, das Gebäude abzureißen, um mit einem Neubau einen größeren Gewinn zu erzielen.“ Dabei sei unklar, ob die Erwartung auch erfüllt wird. Auch lasse sich spekulativer Wohnungsleerstand oft nicht einfach erkennen. „So richtig festmachen wird man es wahrscheinlich erst in der Retrospektive.“
Warum lohnt sich Leerstand?
Hintergrund des spekulativen Leerstands sind steigende Preise für Immobilien bzw. höhere Mieten. Damit verbunden ist die Spekulation, dass dieser Trend anhält. Das unterstreicht auch der in Berlin forschende Andrej Holm.
„Wenn ich weiß, dass in einem Jahr der Preis für dieses Grundstück oder für die Wohnung noch einmal um 15 Prozent steigt, dann ist es eine Geschäftsperspektive zu sagen: Diese 15 Prozent will ich mitnehmen, auch wenn ich da in der Zwischenzeit auf Erträge verzichte und länger warten muss.“
Ein weiterer wichtiger Grund für Leerstand ist der Umstand, dass Immobilien für höhere Preise verkauft werden können, wenn sie nicht vermietet sind.
Ist spekulativer Leerstand verboten?
Langfristiger Leerstand muss genehmigt werden, sonst gilt er vielerorts als Zweckentfremdung. Entsprechende Gesetze gibt es in Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Verboten ist es, vermietbaren Wohnraum über einen längeren Zeitraum leer stehen zu lassen. Wie das im Detail geregelt ist, hängt von den Städten und Gemeinden ab.
Beispiel München: In der teuersten Stadt Deutschland mit einer Leerstandsquote von 2,7 Prozent ist die Frist besonders kurz. Maximal drei Monate darf eine bezugsfertige Wohnung leer stehen, anschließend drohen Bußgelder von bis zu 500.000 Euro.
Einigung mit Eigentümern
Hohe Strafen werden indes selten von den Ämtern verhängt. Dafür müsste nachgewiesen werden, dass Wohnungen wirklich leer stehen. Außerdem schreckten selbst hohe Strafen Vermieter nicht ab, vor allem solche mit größeren Beständen.
Neben Fondsgesellschaften sind es auch ausländische Investoren, bei denen die Eigentümerschaft schwer nachzuvollziehen sind, berichtet der Neuköllner Baustadtrat Jochen Biedermann aus seinem Berliner Bezirk. Wer hinter den verschachtelten Geschäftskonstruktionen stecke, sei schwer herauszubekommen. Eine Kontaktaufnahme sei schwierig, weil sie auf Schreiben nicht antworteten oder Rechtsanwälte vorschickten.
Große Immobilienkonzerne wehren sich zudem häufig juristisch gegen drohende Sanktionen. Hinzu komme, dass die zuständigen Behörden und Bezirke kaum Mitarbeitende für die Kontrolle haben. So gibt es in Hamburg fünf Vollzeitstellen für den Bereich Wohnraumschutz. Im Vergleich: In der Hansestadt gibt es rund eine Million Wohnungen.
Der Weg zum Gericht würde deswegen gescheut, meint Soziologe Holm. In der Praxis werde dann darauf gesetzt, „irgendeine Einigung mit den Eigentümern zu finden“.
Was tun gegen spekulativen Leerstand?
Gegen spekulativen Leerstand kann auf verschiedenen Ebenen vorgegangen werden. Einzelpersonen und Mieterinnengruppen sammeln Beispiele für Leerstand. Auf dem Onlineportal „Leerstandsmelder“ werden deutschlandweit Fälle aufgeführt. Diese können dann den Behörden angezeigt werden, die dann wiederum Ordnungsstrafen verhängen können.
In einigen deutschen Städten haben die Behörden zudem ein weitergehendes Mittel. Sie können Treuhänder einsetzen. Damit können Eigentümer dazu gezwungen werden, ihre Immobilien zu sanieren und zu vermieten. Doch dafür muss ein langer Weg gegangen werden, der für die Behörden viel Arbeit bedeutet.
Deswegen gab es bisher bundesweit nur einen bekannten Fall für ein solches Vorgehen. 2017 ist in Hamburg ein Treuhänder für ein Mehrfamilienhaus eingesetzt worden. Dieses stand 15 Jahre lang leer. Der vom Bezirk bestellte Treuhänder sorgte dafür, dass sechs der acht Wohnungen saniert wurden.
Wohnen anders organisieren
In der historischen Perspektive gab es auch politische Bewegungen, die erfolgreich gegen Leerstand vorgingen. Darunter war Anfang der 1980er-Jahre in der alten Bundesrepublik und Westberlin die Hausbesetzerbewegung. In Berlin verhinderte sie den Abriss von Wohnhäusern, sodass der damals regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen der Szene rückblickend bescheinigt, sie habe dazu geführt, eine „befriedende Lösungen zu finden“.
Stadtsoziologe Holm verweist auf einen weiteren Aspekt. „Wenn es eine Seite gibt, die sagt: Mein Hauptinteresse ist ein möglichst hoher Ertrag, dann wird es nicht gleichzeitig eine möglichst günstige, leistbare Wohnung geben können.“ Deswegen sei ein Ausweg, „wenn Wohnen eher wie eine soziale Infrastruktur zu organisiert ist und nicht wie eine Ware“. Konkret: mehr Wohnungen in der Hand von gemeinnützigen und gemeinwirtschaftlichen Unternehmen wie Genossenschaften oder der öffentlichen Hand.
rzr