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Legal Techs
Algorithmen statt Juristen

Sie erstreiten Entschädigungen für unpünktliche Flüge, erfassen Rückzahlungsansprüche für zu viel gezahlte Miete: sogenannte Legal Techs, also Rechtsdienstleistungen aus dem Internet. Viele Rechtsanwälte halten sie für verbotene Rechtsdienstleistungen. Nun soll der Bundesgerichtshof entscheiden.

Von Bernd Wolf | 16.10.2019
Legal tech Online-Portale werden vor allem in Bereichen eingesetzt, in denen sich Abläufe besonders gut standardisieren lassen
Legal Techs werden vor allem in Bereichen eingesetzt, in denen sich Abläufe besonders gut standardisieren lassen (imago / blickwinkel / Klaus Steinkamp )
Legal Tech, also Legaltechnologie, Rechtsdienstleistung aus dem Internet mit Algorithmen – die Legal Tech-Portale bieten Hilfe für den kleinen Ärger an: Die Miete in der neuen Wohnung erscheint einem zu hoch, der Urlaubs-Flieger ist verspätet gestartet, der Käufer pocht auf Gewährleistung bei der neuen Kaffeemaschine. Ein Anwalt wäre zu teuer, zu aufwendig, und dann das Prozessrisiko! Selbst der Verbraucherzentrale Bundesverband schätzt die Vorteile von Legal Techs. Jutta Gurkmann:
"Legal Tech-Dienstleistungsangebote sind für Verbraucher eine Bereicherung primär, weil sie einen sehr schnellen Weg darstellen und einen sehr bequemen Weg zum Beispiel zu Schadensersatzleistungen zu kommen – gerade im Flugbereich."
Eine Hauptakte wird während einer Pressekonferenz nach der Einführung der elektronischen Akte an allen Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg in der Software aufgerufen. Am Landgericht Mannheim und am Arbeitsgericht Stuttgart wurde die elektronische Akte bereits 2016 eingeführt. Nach und nach soll die Papierakte abgeschafft werden. 
Wie Algorithmen Juristen ersetzen
Miete zu hoch oder Flug verpasst: Für Verbraucher wird es zunehmend leichter, ihre Rechte durchzusetzen. Sogenannte Legal techs versprechen bequem und ohne Kostenrisiko die Ansprüche ihrer Kunden durchzusetzen. Ob diese aber zulässig sind, diese Frage beschäftigt derzeit Justiz und Politik.
"Juristisches Pingpong effizient gestalten"
Und es funktioniert ganz einfach. Die Kunden gehen auf die Internetseite des Legal Tech-Portals, füllen den Fragebogen aus: Was genau ist passiert? Wie viel Geld beanspruchen Sie? Von wem? Dann erstellt das Portal für viele, ganz ähnliche Streitfälle das Schreiben, an die Fluglinie, an den Vermieter oder an den Hersteller.
Daniel Halmer hat vor zweieinhalb Jahren das Start-Up Wenigermiete.de gegründet.
"Eine der Kernaufgaben von Legal Tech ist es eben, dieses juristische Pingpong so effizient wie möglich zu gestalten und so wenig wie möglich manuelle menschliche Arbeit einzusetzen und möglichst viel über Software abzubilden."
Der besondere Charme im Vergleich zu Rechtsanwälten: der Kunde zahlt nur bei Erfolg. Das heißt, das Prozessrisiko trägt nicht er, sondern das Legal Tech-Unternehmen. Folge: für immer mehr Rechtsgebiete gibt es automatisierte Anwälte. Myright zum Beispiel ist durch den Dieselbetrug von VW bekannt und groß geworden. Flightright erkämpft Entschädigungen für verspätete Flüge. Heute verhandelt der Bundesgerichtshof über das Mieterportal Wenigermiete.de, ein Internetangebot des Unternehmens Lexfox, früher hieß es Mietright.
Konkret geht es darum, ob das Portal Wenigermiete.de unerlaubte Rechtsberatung betreibt. Denn nach dem Gesetz dürfen eigentlich nur Anwälte Rechtsdienstleistungen anbieten. Recht-Suchende sollen so vor unqualifiziertem Rechtsrat geschützt werden. Nur ein kleines Schlupfloch bietet das Gesetz: Die Legal Techs lassen sich die Ansprüche von ihren Kunden abtreten, also zum Beispiel gegen den Vermieter oder die Fluglinie. Der juristische Begriff dafür: Inkasso. Die Anwälte und ihre Berufsverbände aber verteidigen ihr Rechtsberatungsmonopol mit Zähnen und Klauen.
Marcus Mollnau, Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin: "Nach unserer Auffassung ist es im vorliegenden Falle so, dass ein Inkassounternehmen, das nicht als Rechtsanwalt tätig ist und auch nicht zugelassen ist, hier Dienstleistungen erbringt, die ausschließlich ein Rechtsanwalt durchführen darf."
Kommen bald die Rechtsroboter?
Die Legal Tech-Firmen bestreiten, dass sie Rechtsdienste leisten. Ohne ihr Angebot gingen die Leute wegen der recht geringen Streitwerte gar nicht erst zu Gericht. Die unterinstanzlichen Urteile zu Legal Techs sind unterschiedlich, Justiz-Politiker haben sich bisher noch nicht eindeutig pro oder contra Online-Advokaten geäußert. Mit Spannung warten alle auf das Urteil des BGH. Ob es schon heute ergeht, ist offen. Gleich wie es ausfällt, dass es bald Rechtsroboter gibt, schließt Stephan Breidenbach, Jura-Professor an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder, aus:
"Bis ein Anwalt durch eine Maschine ersetzt wird, oder ein Richter durch eine Subsumtionsmaschine ersetzt wird, das hat noch ein bisschen Zeit."