Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Lehramt in Mecklenburg-Vorpommern
Kritik an Verkürzung des Referendariats

In Mecklenburg-Vorpommern soll das Referendariat für Grundschullehrerinnen und -lehrer verkürzt werden - das Studium wird dafür verlängert.  Sowohl die Gewerkschaft als auch Ausbilder und Wissenschaftler halten das für keine gute Idee.

Von Katharina Mild | 10.06.2020
Ein leeres Klassenzimmeer mit blau gestrichener Wand und viel Dekoration.
Viele Experten sprechen sich gegen weniger Praxiserfahrung im Grundschul-Referendariat aus (dpa / Patrick Pleul)
Im Bericht des Bildungsausschusses des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern ist es deutlich nachzulesen: Die Verkürzung des Referendariats sei keine gute Idee, bescheinigen Gewerkschaften, Verbände und Wissenschaftler einhellig. Das Hauptargument: Die Qualität der Ausbildung würde unter der Verkürzung leiden. Eine Sorge, die auch Maik Walm, Landesvorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, teilt:
"Aus meiner Sicht passiert diese Verkürzung auf Kosten der Ausbildungsqualität. Schon jetzt hören wir als GEW vielfältig von Referendarinnen und Referendaren, dass diese 18 Monate eine Zeit mit viel Leistungsdruck sind und unklaren Bedingungen."
GEW plädiert für ausreichende Praxiserfahrung
Dass die im Studium erworbenen Praxiskenntnisse die Erfahrungen im Referendariat ersetzen könnten – daran glaubt Walm nicht. Denn an der Universität sei die Lernperspektive eine ganz andere:
"Da wird mit Blick auf theoretische und empirische Perspektiven Praxis reflektiert. Studierende kommen also mit ihrer gemachten Praxiserfahrungen zurück in die Universitäten und haben dort Gelegenheit, mit anderen zusammen in Ruhe darüber nachzudenken, was ihnen da wie unter welchen Bedingungen passiert ist, was man besser machen könnte."
Auch Nina Dunker, Professorin für Grundschulpädagogik an der Universität Rostock befürchtet, dass die Verkürzung angehenden Lehrkräften wichtige Praxiserfahrungen nehmen könnte und dass es für einige Studierende sogar unattraktiver werden könnte, ihr Referendariat in Mecklenburg-Vorpommern zu absolvieren. Zum Beispiel dann, wenn man sich einen späteren Wechsel in ein anderes Bundesland offenhalten möchte.
"Jeder, der so ein bisschen mittelfristig denkt, dem wird dann auffallen, ok, wenn ich danach nochmal in ein anderes Bundesland gehen möchte, dann kann so ein verkürztes Referendariat sehr hinderlich sein. Wir haben das jetzt auch schon, zwei Jahre, anderthalb Jahre, je nachdem, und wenn man dann in ein Bundesland wie zum Beispiel Bayern gehen möchte, dann ist das relativ schwierig, dort unterzukommen. Dann bedeutet das eben Zusatzprüfungen und ich finde, das ist ein ganz großer Standortnachteil, den wir damit in Kauf nehmen."
Ist eine kürze Ausbildung ein Standortvorteil?
Denn vor allem geht es darum: Standortvorteile und Attraktivität. Doch bekommt man die durch eine kürzere Ausbildung, die an vielen Stellen zu mehr Druck führen wird? Maik Walm meint, entscheidend sei, die gute Begleitung der Studierenden während der Praxisphasen. Ein Aspekt, der aktuell aufgrund des Lehrermangels an vielen Stellen zu kurz komme. Denn Referendare werden als Arbeitskräfte gebraucht und eingesetzt, wo es nur ginge. Stattdessen bräuchten angehende Lehrkräfte einen Rahmen, in dem sie sich sicher fühlen und auch mal Fehler machen könnten.
"Es gibt in den meisten Bundesländern keine bewertungsfreien Räume oder Phasen. All das, was Referendare tun, geht direkt oder indirekt in die Bewertung durch Mentoren, Studienleiter und so weiter ein. Das bedeutet, Momente, wo man sich ausprobieren kann, Fehler machen kann, die sind rar gesät. Die sind aber für Bildungsprozesse wichtig."
Langfristige Planung statt Kurzschlussreaktion
Auch Doris Wittek, Juniorprofessorin für Lehrerprofessionalität und Lehrerbildungsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ist sich sicher, dass es nicht nur darum gehen kann, möglichst schnell möglichst viele Lehrkräfte in die Schulen zu holen. Langfristige Planungen seien indiziert - anstelle von Kurzschlussreaktionen:
"Die Qualität des Unterrichts wird leiden, die Qualität des Lernens der Schüler*innen wird leiden. Jetzt gerade haben wir uns in einer Phase befunden, in der in einigen Bundesländern sehr viele Neueinstellungen stattgefunden haben, aber das Zeitfenster wird bald sich wieder schließen und dann wird es wieder eine Phase geben, in der lange Jahre niemand eingestellt werden kann und wird. Und in dieser Phase sollten die Bundesländer Lehren aus der jetzigen Situation ziehen und zu einer langfristigen Planung übergehen und den Lehrerberuf langfristig attraktiv machen."
Plädoyer für ein Mentorenprogramm in der Lehrerausbildung
Doch wie macht man den Lehrerberuf attraktiver? OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher meint, mehr Teamarbeit in den Schulen sei der Schlüssel zum Erfolg, gepaart mit einem System lebenslangen Lernens. Er plädiert deshalb für ein Mentorensystem, das über das Referendariat hinausgeht und in anderen erfolgreicheren Pisa-Staaten bereits gelebt wird. Hier ist jede Lehrkraft Mentor und jede Lehrkraft hat einen Mentor. Es gibt gegenseitige Hospitationen, Arbeitsgruppen, ein unterstützendes System.
"Das ist das Entscheidende – die unterstützende Arbeitsumgebung in den Schulen. Und da gibt es in Deutschland einfach zu wenig Ressourcen für. Die Unterrichtsstundendeputate sind relativ hoch, dadurch bleibt Lehrkräften dann weniger Zeit für andere Dinge im Schulalltag, die aber ebenso wichtig sind."
Doch das erfordert wiederum Einsparungen an anderen Stellen – womöglich sogar im Unterricht. Maik Walm von der GEW sagt, es kann und muss hier eine Investition nach vorne geben:
"Wir müssen überlegen, wie wir den Seiteneinstieg qualitativ hochwertig ausbauen, wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Arbeitsbedingungen zeitnah so sehr verbessern, dass nicht mehr wie zum Beispiel in MV mehr als die Hälfte der Kollegen mit 60, 63 in den Ruhestand gehen, sondern bis zum Ende ihrer Arbeitszeit auch arbeiten."
Und das - geht wohl nur mit Geld.