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'Lehrer müssen künftig zu Moderatoren werden'

Gerner: Diese Woche hat es Zeugnisse gegeben für die Bundesländer und ihre Bildungspolitik. Der innerdeutsche Vergleich der Schulstudie Pisa hat beträchtliche Unterschiede in deutschen Klassenzimmern ergeben. Alle haben sich zu Wort gemeldet: Politiker, Bildungsexperten, Lehrer und Elternverbände. Und was ist mit den Schülervertretern? Auch sie sollen zu Wort kommen. Bei uns am Telefon ist Stephanie Daniel, Vorstandsmitglied in der BundesschülerInnenvertretung, 18 Jahre und weiterhin in der Oberstufe eines Wirtschaftsfachgymnasiums in Buxtehude. Schönen guten Morgen Frau Daniel!

    Daniel: Guten Morgen.

    Gerner: Deutsche Schüler sind nur noch Mittelmaß beim Lesen, Schreiben und Rechnen heißt es. Sind deutsche Schüler dümmer als anderswo?

    Daniel: Um Gottes Willen! Deutsche Schüler sind sicherlich nicht dümmer, sondern leiden einfach nur unter dem schlechten Bildungssystem. Es muss halt die Möglichkeit gegeben werden, solche Schüler besser zu fördern.

    Gerner: Können Sie das, worunter Sie aus Ihrer Sicht leiden, näher beschreiben? Können Sie den Befund dieser Studie überhaupt nachvollziehen aufgrund Ihrer Schulzeit?

    Daniel: Ja, kann ich, denn es gibt verschiedene Fachbereiche, wo sich die Interessen schwer fördern lassen bzw. man muss einfach intensiver auf die Förderung eingehen.

    Gerner: Wo werden die Interessen vernachlässigt bzw. nicht genug gefördert?

    Daniel: Dadurch, dass das Lehrer-Schüler-Verhältnis so distanziert ist und immer noch aus der damaligen Preußenzeit stammt, der Lehrer dem Schüler gegenüber ja gar nicht mehr dieses Bild hat, was er eigentlich haben sollte, bleiben viele Dinge ungesagt. So ist der Kontakt und die Transparenz zum Lehrer auch einfach nicht da.

    Gerner: Verstehe ich Sie richtig, dass viele Lehrer, die Sie erlebt haben, pädagogisch überfordert sind, oder wie muss ich das interpretieren?

    Daniel: Nein. Sie haben es einfach nicht gelehrt bekommen. Das ist das Problem denke ich.

    Gerner: Was nicht gelehrt bekommen?

    Daniel: In ihren Studien. Die Motivation ist sicherlich da, aber das Studium bietet ihnen gar nicht die Möglichkeit bzw. das Studium ist einfach viel zu beschränkt auf andere Dinge, um dort das richtige Rollenbild bzw. den Kontakt zu Schülern und den Umgang damit herzustellen.

    Gerner: Wie müsste es denn aussehen? Wie müsste ein Lehrer sein, der Sie als Schüler stärker motiviert?

    Daniel: Er sollte nicht in der jetzigen Lehrerrolle oder Lehrerinnenrolle stecken. Wir sprechen ja auch von Lehrerinnen. Er sollte vielmehr ein Moderator und Filter für den Informationsfluss, den ich bekomme, für mich sein.

    Gerner: Nun haben die unionsgeführten Länder in der Pisa-Studie ja vergleichsweise gut abgeschnitten. Kann man sich da aus Ihrer Sicht etwas abschauen?

    Daniel: Nein, garantiert nicht. Vor allen Dingen in Bayern nicht. Wenn wir uns von anderen Ländern etwas abschauen sollen oder möchten, dann sollten wir in die skandinavischen Länder gucken. Bayern ist außerdem ein Land, das für mich aus Schülervertretungssicht nicht als Vorbild dienen sollte, denn Bayern hat beispielsweise auch keine anerkannte LandesschülerInnenvertretung.

    Gerner: Und ansonsten missfällt Ihnen die soziale Auslese in Bayern?

    Daniel: Ja, zusätzlich sicherlich auch noch.

    Gerner: Aber das führt ja auch zur Frage, braucht Deutschland keine Eliten?

    Daniel: Deutschland braucht garantiert nicht diese starke Selektion, die vor allen Dingen von Bayern sehr stark durchgeführt wird, sondern müsste seine Schüler besser integrieren, vor allen Dingen welche mit Integrationshintergrund.

    Gerner: Jetzt haben Sie eben das Stichwort Integration angesprochen. Sie haben die nordeuropäischen Länder als Muster genannt. Finnland etwa, das als Nummer eins in der Pisa-Studie abschneidet, hat aber einen vergleichsweise geringen Ausländeranteil in den Klassen. Wie haben Sie das in Ihrer Klasse erlebt? Wie hoch ist der Anteil ausländischer Mitschüler und welchen Einfluss hat das auf das Niveau?

    Daniel: In meiner Klasse selber waren es um den Daumen ungefähr 6 Prozent. Ich komme aus einem Randbezirk von Hamburg. Dort ist es nicht so extrem, dass man darüber redet, und es hat auch keine Konsequenz gehabt. Das wäre auch nicht schlimm gewesen. Wären es mehr gewesen, dann hätte man sie einfach intensiver eingebunden in Gesprächen in der Klasse, indem man sich damit auseinandergesetzt hätte.

    Gerner: Was halten Sie denn von Vorschlägen, die aus mehreren Richtungen seitens der Politiker gekommen sind, den Anteil ausländischer Mitschüler in den Klassen zu begrenzen? Es gab einen 25-Prozent-Vorschlag.

    Daniel: Den halte ich für nicht gut bzw. halte ich sogar für schrecklich, denn ich finde so etwas diskriminierend. Außerdem können wir von unseren ausländischen Mitbürgern oder Kindern mit Integrationshintergrund, die vielleicht zusätzlich auch noch mehrere Sprachen können, viel, viel lernen.

    Gerner: Jetzt haben wir viel über die Lehrer geredet, die Politiker. Was ist denn mit den Schülern? Sind die auch schwieriger für die Lehrer geworden?

    Daniel: Sie sind anders geworden, das sicherlich. Wie vorhin auch schon gesagt, dass sie nicht mehr in dieses Rollenbild, was der Lehrer in seiner Ausbildung erfährt, hineinpassen. Sie brauchen auch viel mehr Unterstützung, weil sich der Informationsfluss, der Zugang zu den Medien, die wir haben, einfach verstärkt hat. Da muss einfach Unterstützung stattfinden. Es muss nicht mehr der Lehrer als Lehrperson gesehen werden, sondern mehr als Hilfesteller.

    Gerner: Danke! - Stephanie Daniel war das, Vorstandsmitglied in der BundesschülerInnenvertretung. Sie ist in der 11. Klasse an einem Wirtschaftsfachgymnasium in Buxtehude.

    Link: Interview als RealAudio