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Lehrermangel
Aus dem Alltag einer Schulleitung in Not

Zu wenig Lehrer, kaum Sonderpädagogen und auch das Geld ist knapp. Trotzdem muss der Unterricht, und was sonst noch zur Grundschule gehört, laufen. Ein Drahtseilakt, der den Lehrkräften viel an unbezahltem Engagement und Improvisationstalent abverlangt.

Von Kai Rüsberg | 30.11.2018
    Dresdner Grundschüler starten mit der Schrift "Schule" am 04.09.2014 in Dresden (Sachsen) vor der Semperoper die jährliche Kampagne "Die Schule hat begonnen".
    Bis 2030 wird die Zahl der Schüler deutlich zunehmen - schon jetzt ist die Organisation des Schulalltags eine Herausforderung (dpa / Matthias Hiekel)
    Morgens um halb acht ist in dem Altbau der Schule noch kein Kinderspiel oder Lärm zu hören, doch in der ersten Etage herrscht schon Hochbetrieb. Mehr als eine Stunde vor dem Unterrichtsbeginn sind die meisten der 30 Mitarbeiter schon mit Unterrichtsvorbereitungen beschäftigt. Schulleiterin Tanja Knopp kommt mit Bastelmaterialien aus dem Keller:
    ″Schule ist ja nicht nur klassische Unterricht, sondern Schule ist ganz viel Leben und natürlich geht's auch um die Auseinandersetzung mit den verschieden Kulturen und Weihnachten ist natürlich auch ein wichtiger Bestandteil und wir haben gerade Sankt Martin hinter uns. Dann spielt sicherlich auch Halloween eine immer größere Rolle. Na ja, jetzt geht's dann ab in die Adventszeit″
    Das vergangene Wochenende war zwar schulfrei, aber die meisten Lehrkräfte waren trotzdem an Bord.

    ″Wir haben am Wochenende Plätzchen gebacken, wo jetzt die Weihnachtszeit und Adventszeit ansteht, nutzen wir das immer, um uns bei den vielen Ehrenamtlichen zu bedanken, ohne die der Schulbetrieb gar nicht so funktionieren würde.″
    Es fehlt an ausgebildeten Pädagogen
    Gegen acht Uhr ist das Lehrerzimmer voll in Betrieb. Rektorin Tanja Knopp ist froh, dass ihr kaum Pädagogen fehlen. Anders sieht es oft in den Nachbarschulen aus. Laut Statistik des Ministeriums können oft nur 80 bis 90 Prozent der vorgesehenen Stellen mit ausgebildeten Pädagogen besetzt werden.
    ″Wir können an der Schule froh sein, dass alle regulären Grundschullehrerstellen mit Lehrkräften besetzt sind, von denen aber einige krank sind oder andere in Elternzeit. Wo wir Vertretungslehrkräfte haben die Studenten sind, die im Lehramt studieren oder auf einen Referendariatsplatz warten.″
    Der Lehrermangel ist besonders in der sonderpädagogischen Förderung spürbar. In Bochum können 70 Stellen in diesem Bereich derzeit nicht besetzt werden. Auch hier an der Gertrudisschule ist eine Stelle offen, für die kein geeigneter Bewerber gefunden wurde. Gerade läuft eine Ausschreibung zum zweiten Mal. Und auf dem Konrektorenplatz sitzt Lehrer Chris Schütt, der zusätzliche Arbeit macht, für die er nicht bezahlt wird.
    Konrektor - nur ehrenamtlich
    ″Hier organisiere ich jetzt gerade erst mal den Tag. Den Vertretungsplan habe ich schon gemacht, informier die Kollegen über die Unterrichtsinhalte, die von denen krankgemeldeten Kollegen eintrudeln und organisier halt, dass alle Klassen besetzt sind und die Eltern informiert werden über eventuelle Ausfälle und so weiter.″
    Beamtenrechtlich kann er sich noch nicht auf die vakante Stelle bewerben, für die es auch keine anderen Bewerber gibt. So macht er die Zusatzarbeit ohne Lohn-Zulagen zu erhalten und ärgert sich. Auch darüber, dass er an der Grundschule weniger Geld erhält, als ein Lehrer an weiterführenden Schulen.

    ″Die Arbeit ist eine andere, aber nicht schlechter bezahlenswert. Ich sag auch nicht, dass Gymnasiallehrer weniger Arbeit haben, es ist eine andere Arbeit.″
    Dass an Grundschulen besonders häufig die Rektorenstellen nicht besetzt werden kann, daran ist aus Sicht von Tanja Knopp nicht nur das Geld schuld. Die Arbeitsbedingungen erscheinen vielen Lehrern nicht ausreichend attraktiv.
    ″Insgesamt ist die Bewerberlage was Schulleiter- und Konrektorenstellen angeht nicht so, dass es mehr Bewerber unbedingt gibt, als es zur Zeit offene Stellen sind.″
    ″Sich darüber zu freuen, was möglich ist.″
    Außer dem Unterricht gibt es noch viele Sonderaufgaben, die von ihr organisiert werden müssen. Eine Gruppe Eltern schnibbelt in der Küche das Obst für die gesunde Pause und im Multifunktionsraum treffen sich heute morgen Mütter von Schulkindern und üben Lesen und Schreiben im Elternsprachcafé.

    ″Und man kommt halt ins Gespräch über Schule und das ist einfach ganz wichtig um die Nähe zu Familien zu haben. Wir haben 70 Prozent mit Migrationsgeschichte an der Schule und das ist schon eine ganze Menge - aus 50 verschiedene Nationalitäten.″
    Eine der insgesamt 13 Schulklassen ist auf dem Schulhof in einem Container untergebracht. Eigentlich fehlt in Wattenscheid eine komplette zusätzliche Grundschule. Und schon um den alltäglichen Beitrieb mit den vielen Aufgaben aufrecht zu erhalten, ist viel Organisationsgeschick von Schulleitung Knopp gefordert.
    ″Man ist immer wie so ein Hamster oder Eichhörnchen unterwegs und hält Ausschau, wo man Gelder entdecken kann. Ich glaube die Kunst liegt darin, nicht enttäuscht zu sein, was man nicht bekommt, sondern sich darüber zu freuen, wo was möglich ist.″