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Lehrerverband fordert schnelle Entscheidung zur Rechtschreibreform

Der Deutsche Lehrerverband hat eine rasche Entscheidung über die Rechtschreibreform verlangt. Der Präsident der Organisation, Kraus, sagte, die Ministerpräsidenten müssten im Oktober für Klarheit sorgen, welche orthografischen Normen künftig gelten. Unabhängig davon, wie diese Entscheidung ausfalle, solle die ursprünglich bis Ende Juli 2005 laufende Übergangsfrist um mindestens fünf Jahre verlängert werden.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Die Rechtschreibreform, das ist ein Thema, wie es deutscher nicht sein könnte. Immerhin ist die Sprache, wie Humboldt schon sagte der Geistleib des Menschen oder wie Schopenhauer meinte, das geistige Antlitz des Menschen und da können Wortungetüme mit drei Konsonanten hintereinander schon wie kleine Pockenarben auf der Stirn erscheinen. Es geht nicht nur darum, wie wir schreiben, sondern auch wie wir reden, wie wir denken, mithin auch um eine Frage der Identität des Wesens und das mag den prophetischen Eifer erklären mit dem Politik und Medien sich seit Freitag um die Rücknahme der Reform streiten. Die Frontlinie der Debatte läuft quer durch alle Lager, in der Politik sind einige Ministerpräsidenten dafür, andere aus derselben Partei dagegen, in den Medien allerdings ist eine deutlich Mehrheit für die Rücknahme der Reform in ihrer jetzigen Gestalt auszumachen. Was sagen aber diejenigen, die diese Reform zu lehren und den jüngeren Generationen zu vermitteln haben. Wir sind nun verbunden mit Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, er ist selbst Direktor eines Gymnasiums, Deutschlehrer und Autor des Buches, Spaßpädagogik-Sackgassen deutscher Schulpolitik. Guten Morgen, Herr Kraus.

    Josef Kraus: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Kraus, ist die Reform in einer Sackgasse, ist das das Ende der Spaßrechtschreibung?

    Kraus: Ja nun, mit dem Spaß ist das so eine Sache, alleine was die Schreibung schon betrifft. Spaß schreibt man nach der alten und der neuen Schreibung mit Esszett also mit scharfen S, obwohl viele Schüler jetzt meinen man würde es mit Doppel-S schreiben. Nein, also spaßhaft ist es nicht, was wir erlebt haben sei '96 beziehungsweise '98. Wir sind mehr und mehr in der Schule in ein orthografisches Abseits geraten, wir sind in eine Glaubwürdigkeitskrise in den Schulen geraten. Wir sollen in den Schulen und mussten in den Schulen den Kindern eine Schreibung beibringen, von der die Kinder natürlich wussten, ab einem bestimmten Alter, die Eltern akzeptieren sie nicht, die Großeltern akzeptieren sie nicht, 80 Prozent der Buchbestände zu Hause und in den Schulbibliotheken sind anders geschrieben, fast alle maßgeblichen deutschen Autoren schreiben anders. Also das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem und das hat alles andere als mit Spaß was zu tun.

    Liminski: Wie kann, wie soll es denn nun weiter gehen? Die Sache muss ja auch irgendwie politisch entschieden werden.

    Kraus: Ja nun, entweder politisch oder durch schlaue Kommissionen oder eben durch das Volk oder durch die Medienlandschaft. Die Rechschreibreformkommission, die zwischenstaatliche Kommission hat ja nun 17 Jahre gearbeitet. Sie hat den Auftrag 1987 bekommen und in den 17 Jahren eigentlich nicht unbedingt was breit Akzeptiertes zustande gebracht und die Kultusministerkonferenz auch nicht. Ich erwarte mir tatsächlich von der Initiative einiger Ministerpräsidenten, Wulff war der erste, Müller kam, Böhmer kam, Stoiber kam, dass sie im Oktober das Thema auf die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz setzen und dann hoffentlich eine rasche Entscheidung finden, wie immer sie auch aussehen mag. In den Schulen ist es so, dass wir eigentlich uns nichts mehr herbeisehnen als ein Ende der Debatte und wieder Klarheit was die Normen in der Orthografie betrifft.

    Liminski: Stoiber hat ja auch am Wochenende angekündigt, dass das auf die Agenda kommt, wie kann es denn nun praktisch weitergehen? In drei, vier Wochen kommen die Schüler aus den Ferien zurück und müssen doch irgendwelche Regeln anwenden bei Diktaten, Aufsätzen und Referaten.

    Kraus: Ja nun, aktuell ist die Rechtslage die, dass wir nach wie vor eine Übergansphase haben, die begann 1998 und die endet nach dem jetzigen Status am ersten August 2005. Übergansphase heißt, dass in dieser Zeit, alte und neue Rechtschreibung gilt. Also egal wie einer schreibt, Hauptsache es ist nach der Alten oder Neuen richtig, es wird nicht als Fehler angestrichen. Ich meine, die Ministerpräsidenten müssen sofort ihre Kultusminister verpflichten, die Übergansphase zu verlängern um mindesten fünf Jahre, egal was dann rauskommt. Und dann müssen wir sehen, wie es kommt. Im Moment erkenne ich noch keine Einstimmigkeit, die notwendig wäre in der MPK, also in der Ministerpräsidentenkonferenz und auch nicht in der KMK. Da profiliert sich natürlich jetzt jeder auch sehr unterschiedlich. Aber ich bin mir sicher, dass mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sprache, der Bedeutung des Sprachunterrichts, die Politik sich dann doch bei der Verantwortung packen lässt.

    Liminski: Haben Sie denn schon Reaktionen zur neuen Lage aus der Lehrerschaft und aus den Schulen vielleicht auch trotz der Ferien?

    Kraus: Ja natürlich bekommt man Reaktionen. Und die Reaktionen spiegeln im wesentlichen das wieder, was ja auch das Meinungsbild, das äußerst heterogene Meinungsbild in der Lehrerschaft, vor allem der Deutschlehrerschaft oder aller 750.000 deutscher Lehrer in den letzten Jahren betraf. Wir hatten eine Gruppe und haben nach wie vor eine Gruppe, die die Rechtschreibreform nicht haben wollte und die sicherlich sich jetzt sehr freut, wie sich das entwickelt und darauf hofft, dass das der Todesstoß für die Rechschreibreform ist. Und dann gibt es eine zweite Gruppe, die sagt, egal was jetzt rauskommt hoffentlich beschleunigt sich jetzt die endgültige Entscheidung was kommt. Denn diese Hängepartie, die uns immer mehr Beliebigkeit in der Schreibung gebracht hat, das ist ungut für die Pädagogik. Und da gibt es natürlich diejenigen, die jetzt wütend sind oder ärgerlich sind oder traurig sind, weil es so kam, weil es offenbar der Markt entscheidet. Also entsprechend sind die Reaktionen von Freude von Jubel bis hin zu Verärgerung und Enttäuschung.

    Liminski: Lassen sich denn da irgendwie Mehrheitsverhältnisse ausmachen?

    Kraus: Ja nun, da ist jede Einschätzung subjektiv. Es hat ja nie eine seriöse Studie gegeben, was die Akzeptanz betrifft beziehungsweise schon gar nicht, was also die Veränderung der Fehlerhäufigkeit betrifft. Nach meinem subjektivem Empfinden und ich habe viel mit Lehrerkollegien und mit Lehrern auch außerhalb des eigenen Hauses zu tun, ich würde mal sagen, die beiden ersten Gruppen, die sich freuen, dass nun etwas passiert ist oder die zumindest darauf hoffen, dass jetzt die Entscheidung beschleunigt wird, sind wahrscheinlich die größeren. Die Reformeuphoriker, glaube ich, sind eher das kleinere Drittel, wenn man es mal so mathematisch unsauber ausdrücken möchte.

    Liminski: Wie steht es denn mit der Finanzfrage Herr Kraus, die Reform hat Geld gekostet, die Rücknahme würde auch Geld kosten, das ist immerhin ein Argument.

    Kraus: Wenn es einer Kulturnation um die Sprache geht, dann darf das Geld nicht unbedingt oder erst an zweiter Stelle eine Rolle spielen. Im übrigen halte ich Schätzungen, die in die Welt gesetzt wurden, dass die Rücknahme der Reform 250 Millionen Euro kosten würde, für maßlos übertrieben. Und selbst der größte Schulbuchverleger, den wir in Deutschland haben, der Klett-Verlag, hält diese Zahlen für maßlos übertrieben. Man muss die Kirche im Dorf lassen und einfach mal davon ausgehen, dass Schulbücher in den Kernfächern, ich nenne jetzt mal an erster Stelle Deutschbücher, Lesebücher, Lesefibeln, Sprachbücher ohnehin aufgrund des täglichen Gebrauchs oder fast täglichen Gebrauchs höchstens eine Lebensdauer von fünf sechs Jahren haben. Das heißt, wenn wir eine erneute Übergansfrist von fünf, sechs Jahren bekommen werden und die brauchen wir natürlich auch, dann müssen diese Bücher sowieso im Zuge der Ersatzbeschaffung erneuert werden und dann kostet es nur begrenzt zusätzlich Geld.

    Liminski: Sprache entzieht sich politischer Verordnung sagen die Gegner der Reform wie der saarländischer Ministerpräsident Peter Müller oder auch sein niedersächsischer Kollege Christian Wulf, aber wer entscheidet denn letztlich? Es kann ja auch sein, dass die Politik sich nicht entscheiden kann und endlos weiter diskutieren will, das wäre ja auch nicht das erste mal.

    Kraus: Ja nun, die Politik ist ja im Grunde genommen gewählt als die Repräsentation des Volkes. Aber die Sprache gehört natürlich weder Politik noch irgendwelchen Sprachkommissionen oder Kultusministerkonferenzen, die Sprache gehört dem Volk. Und wenn man Sprache normieren will und das muss man, wenn man keine Zwei- und Drei-Klassengesellschaft haben will hinsichtlich Sprachanwendung, wenn man also Sprache normieren will, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man normiert sie a priori durch bürokratische Setzungen, das halte ich für undemokratisch oder aber man normiert sie, indem man die Sprachentwicklung, die Evolution der Sprache nachzeichnet wie es ja eigentlich bis 1996, '98 der Fall war. Also Sprache gehört dem Volk und das Volk nimmt natürlich Einfluss auf die Medien und wenn die Medien das dann entscheiden, dann hat es letztendlich auch das Volk entschieden.

    Liminski: Der Markt, beziehungsweise das Volk entscheidet, sagen Sie, ist diese Debatte nicht auch ein Symbol für die Entfremdung der Politik und ihrer Bürokratie vom Volk oder für die Reformunfähigkeit der Politik sogar?

    Kraus: Da ist natürlich sicherlich etwas dran und wenn ich noch mal daran erinnern darf, dass man 17 Jahren gebraucht hat bis zum heutigen Tag, um dieses Durcheinander zu haben. Dann hat die Politik dem Volk nicht mehr auf das Maul geschaut und die Kommissionen dem Volk nicht mehr auf das Maul geschaut. Man sollte allerdings auch jetzt nicht den Fehler machen, den nun einige SPD-Ministerpräsidenten geäußert haben, die Rücknahme der Reform als populistischen Streich abtun. Nein, populistisch, das ist eine Vokabel die aus dem Lateinischen kommt, heißt populus und populus heißt das Volk. Dieses Volk ist im übrigen nicht reformunfähig, es kommt darauf an, ob man seitens der Politik und seitens der Fachkommissionen die richtigen Reformen inszeniert und ob die zwischenstaatliche Reformkommission die richtige Reform inszeniert hat, das wage ich sehr zu bezweifeln. Also noch mal, das Volk ist reformfähig aber die Kommissionen, die die Reformen vorschlagen, sind nicht immer in der Lage, vernünftige Reformen zu inszenieren.

    Liminski: Nochmal ein Wort zum Markt oder zum Volk, es sind doch auch nur einzelne, die den Markt beherrschen, kann man da von Volk sprechen?

    Kraus: Das Volk hat als Konsument darüber entschieden, wer die tonangebenden in der deutschen Medienlandschaft sind und wenn man so sehr unterschiedliche und jahrelang sich zum Teil ja auch befehdende Verlage sich anschaut wie hier Springerbereich und dort Spiegel und wenn die plötzlich an einem Strang ziehen, dann muss man schon hellhörig werden und im übrigen, ich rechne mit einem Dominoeffekt. Wir haben ja gesehen, dass sich der Süddeutsche-Verlag anschließt, dass sich der Bauerverlag anschließen will, dass großen Literaturverlage sich mit dem Gedanken tragen, auch die renommiertesten, umzukippen. Ich rechne damit, dass hier noch einiges dazu kommt. Also das ist dann keine Monopolentscheidung, sondern das erfasst schon die ganze Breite des Medienmarkts.

    Liminski: Dominoeffekt, wieder zurück auf Los, die Debatte um die Rechtschreibreform, das war Josef Kraus der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Besten Dank für das Gespräch Herr Kraus.

    Kraus: Danke auch.