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Lehrreiche Anomalie

Klimatologie. - Plötzliches Umschlagen des Klimas innerhalb weniger Jahrzehnte ist derzeit Thema einer Fachkonferenz im britischen Birmingham. Es gibt Beispiele in der Erdgeschichte für solche drastischen Veränderungen. Besondere Aufmerksamkeit genießt derzeit eine abrupte Abkühlung vor rund 8200 Jahren. Obwohl heute vor allem von Klimaerwärmung die Rede ist, gibt es mögliche Parallelen zu diesem Ereignis.

Von Volker Mrasek |
    Die letzte Eiszeit war bereits gut 2000 Jahre her. Das warme Klima des Holozän, in dem der moderne Mensch bis heute lebt, hatte sich schon entfaltet. Da geschahen plötzlich Dinge auf dem Globus, die alles wieder durcheinander brachten - zumindest auf der Nordhalbkugel:

    " Im ganzen Nordatlantik gab es eine starke Abkühlung, und das innerhalb weniger Jahrzehnte. In Grönland ging die Temperatur um sechs bis sieben Grad Celsius zurück, in Nordeuropa um zwei bis drei Grad. Das Ganze dauerte hundert Jahre. Dann stiegen die Temperaturen wieder. Es ist das Klimaereignis der letzten 10.000 Jahre, das am stärksten aus dem natürlichen Rahmen fällt. "

    Diese kurze Episode des frühen Holozäns ist derzeit eines der am stärksten diskutierten Themen in der Klimaforschung. So auch jetzt in Birmingham. Dort hielt Eric Wolff den Hauptvortrag über das Ereignis vor etwa 8200 Jahren. Der Chemiker ist Spezialist für die Analyse von Eisbohrkernen und arbeitet beim Britischen Antarktis-Dienst:

    " Das war ein Ereignis, das man wirklich als rapiden Klimawandel bezeichnen kann. Auch der moderne Mensch hätte große Probleme gehabt, sich darauf einzustellen. Alles geschah innerhalb einer einzigen Generation - schneller als jeder natürliche Wandel, wie wir ihn kennen, zum Beispiel durch Schwankungen der Sonneneinstrahlung. "

    Anders als heute lag der nordamerikanische Kontinent damals noch unter einem mächtigen Eispanzer, der sich nur allmählich zurückzog. Und auf dem Eisschild lastete ein riesiger Schmelzwasser-See. Seine Fluten sollen den Klimasturz im frühen Holozän ausgelöst haben, sagt Wolff:

    " Für uns ist das die schlüssigste Erklärung. Als der Eisschild am Ende auseinanderbrach, ergoss sich der Schmelzwasser-See praktisch in einem Schwall ins Meer. Riesige Mengen Süßwasser gelangten in den Nordatlantik, und das in kaum einem Jahr. "

    Der Süßwasser-Zufluss verdünnte das Salzwasser des Nordatlantik so sehr, dass die großräumige Meereszirkulation einbrach - und mit ihr auch der warme Golfstrom. Das System funktioniert nämlich nur, wenn salzreiches Oberflächenwasser vor Grönland absinken kann. Das aber war nach dem Auslaufen des Süßwasser-Sees nicht mehr möglich. Also stockte der Golfstrom, und Grönland erkaltete vorübergehend, weil die Insel keinen Wärme-Nachschub mehr aus dem Süden erhielt.

    Könnte sich ein solcher Klimasturz bald wiederholen? Das ist nun die Frage. Könnte es sein, dass das Klima so abrupt kippt wie vor 8200 Jahren, wenn die Erderwärmung weiter fortschreitet? Immerhin muss man feststellen: Auch heute fließt wieder verstärkt Süßwasser in den Nordatlantik ...

    " Wir erwarten eine weitere Erwärmung. Und verschiedene Klimamodelle zeigen, dass auch dadurch mehr Süßwasser in den Atlantik strömt. Zum einen, weil der grönländische Eisschild anfängt abzuschmelzen. Zum anderen, weil mehr Regen über dem Ozean fällt. "

    Doch so extrem wie vor 8200 Jahren wird es wohl nicht noch einmal kommen. Der Abfluss des riesigen Eis-Sees ließ den Meeresspiegel damals rasch um schätzungsweise 50 Zentimeter ansteigen. Grönlands Gletscherwasser fließt im Vergleich dazu wie in Zeitlupe: Es lässt den Pegel heute nur um wenige Millimeter pro Jahr klettern. Deshalb mag auch Gavin Schmidt nicht an den erneuten Fall X glauben. Der Klimamodellierer forscht bei der US-Weltraumbehörde Nasa:

    " Unsere Modelläufe für die Zukunft zeigen, dass sich das Golfstrom-System in diesem Jahrhundert nur um etwa 30 Prozent abschwächen wird. Das ist zu wenig für eine Abkühlung im Nordatlantik. Aber dadurch wird die Erwärmung in der Region nicht so stark durchschlagen. "

    Rapide Klimaschwankungen hält Eric Wolff in Zukunft dennoch nicht für ausgeschlossen. Man wisse jetzt, dass die Meereszirkulation durchaus instabil werden könne:

    " Seit 8000 Jahren ist nichts Gravierendes mehr passiert. Man sollte das Klima also möglichst so lassen, wie es ist. Das sei noch der sicherste Weg, um böse Überraschungen zu verhindern. "