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Leiden für die Forschung

Methodik.- In den vergangenen Jahren sind immer mehr Alternativen zu Tierversuchen entwickelt worden. Trotzdem steigt die Zahl der Versuchstiere an. Laut dem diesjährigen Tierschutzbericht der Bundesregierung waren es allein 2010 rund drei Millionen.

Von Marieke Degen | 01.12.2011
    Manchmal kann eine Schönheitsoperation Leben retten: Das Leben von Versuchskaninchen. Denn bei Schönheitsoperationen fallen oft Hautstückchen an, mit denen Forscher testen können, ob eine Chemikalie die Haut reizen oder verätzen kann. Kaninchen brauchen sie dafür nicht mehr. Es gibt heute eine Menge solcher Alternativen zum Tierversuch: Wer wissen möchte, wie eine Chemikalie wirkt, der lässt sich das vom Computer berechnen oder testet den Stoff an einzelnen Zellen in der Petrischale. Trotzdem: Die Zahl der Versuchstiere in Deutschland steigt immer weiter, von zwei auf drei Millionen Wirbeltiere innerhalb von zehn Jahren. Und das müsse Konsequenzen haben, sagt Barbara Grune vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Die Tierärztin arbeitet in der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, kurz ZEBET.

    "Wir müssen sehen, wo in welchen Bereichen erhöhen sich die Zahlen der Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden, warum passiert das dort und welche Konsequenzen hat das für die ZEBET zum Beispiel oder für die Wissenschaftswelt in Deutschland? Wo müssen wir jetzt aktiv werden?"

    Im aktuellen Tierschutzbericht der Bundesregierung sind alle Versuchstiere erfasst. Die gute Nachricht: Für Medikamententests und toxikologische Studien sind in den letzten Jahren immer weniger Tiere eingesetzt worden.

    "Wir können davon ausgehen, in diesen Bereichen ist schon im Sinne von Alternativmethoden, Anwendung von In-Vitro-Methoden viel passiert."

    Ganz anders sieht das in der Grundlagenforschung aus. Hier kommen die meisten Tiere zum Einsatz. Im Jahr 2010 waren es knapp eine Million, darunter 900.000 Mäuse. Die meisten davon waren genetisch manipuliert. Mithilfe solcher Mäuse können Forscher Krankheiten wie Alzheimer, Krebs oder Diabetes untersuchen.

    "Die Tiere sind so gezüchtet worden, dass sie dann den Diabetes des Menschen ausbilden können. Man hat also sozusagen die Chance, an einem sehr realitätsnahen Modell zu arbeiten."

    Genmanipulierte Mäuse sind ein Segen für die Grundlagenforschung. Manche Krankheiten lassen sich nur mithilfe dieser Mausmodelle ergründen.

    "Und da werden, vermute ich, auch sehr viele belastende Tierversuche stattfinden. Also ein ganz wichtiger Bereich, in dem ganz viel getan werden muss."

    Wissenschaftler arbeiten auch schon an Alternativmethoden. Anstelle von genetisch manipulierten Mäusen wollen sie in Zukunft vielleicht Fruchtfliegen oder Fadenwürmer einsetzen. Einzelne Krankheitsprozesse kann man auch in Zellkulturen untersuchen. Barabra Grune sagt: Die Suche nach Alternativmethoden müsse auf jeden Fall vorangetrieben werden.

    "Genauso wichtig ist es aber auch dann, wenn wir nun fast drei Millionen Versuchstiere haben in Deutschland, dann dürfen wir diese Tiere, die in den Versuch gehen, die müssen wir begleiten. Und dafür brauchen wir bestausgebildetes Personal. Dafür brauchen wir zum Beispiel Versuchstierkundler. Und auf diesem Gebiet sehe ich eine ganz große Lücke."

    Ein Versuchstierkundler kann zum Beispiel erkennen, ob eine Maus oder ein Meerschweinchen starke Schmerzen hat und eingeschläfert werden muss.

    "Wir haben wahrscheinlich in bester Absicht in Deutschland für den Tierschutz die Versuchstierkunde stigmatisiert als etwas schlechtes. Und das ist meiner Ansicht nach ein bisschen verlogen, weil ein guter Versuchstierkundler Tierschutz macht."

    An den tierärztlichen Hochschulen werden aber keine Versuchstierkundler mehr ausgebildet. Und das müsste sich dringend ändern, fordert Barbara Grune.

    "Wenn wir keine ausgebildeten Versuchstierkundler mehr haben, wer kontrolliert die Narkose bei den Tieren. Ein Mathematiker, ein Zellbiologe, dem spreche ich das ab zur gleichen Zeit auch zu wissen, mit welchen Präparaten kann ich ein Meerschweinchen oder eine Ratte narkotisieren, das sind nämlich zwei völlig verschiedene Spezies, da kann man sehr, sehr viel falsch machen."

    Eines ist für die Tierärztin klar: Wenn wir Wissenschaft haben wollen in unserer Gesellschaft, und akzeptieren, dass dafür Tierversuche gemacht werden, dann sollten wir die Tiere wenigstens so gut wie möglich behandeln.