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Leinenlos am Magnetkai

Technik. - Die zivile Schifffahrt ist ein hartes Geschäft. Der Konkurrenzdruck ist enorm, und um auf dem internationalen Markt bestehen zu können, müssen Reeder und Häfen knallhart kalkulieren. Um die Personalkosten zu drücken und den Hafenaufenthalt eines Schiffes so kurz wie möglich zu gestalten, lassen sich die Experten immer wieder andere Tricks einfallen Die neuste Idee – entwickelt von niederländischen Ingenieuren – ist eine Kaimauer, die das übliche Vertäuen überflüssig macht und das Schiff mit starken Magneten an sich bindet.

    Von Frank Grotelüschen

    Ein Containerriese läuft im Hafen ein und will am Kai festmachen. Boote rücken aus, jedes mit zwei bis drei Mann Besatzung, und befördern die Taue vom Schiff zum Kai. Dort nehmen Hafenarbeiter die Taue in Empfang und machen sie an dicken Pollern fest. So geht es in den Häfen der Welt seit Generationen. Doch hat das Festmachen per Hand auch seine Nachteile.

    Es dauert ziemlich lange, und Zeit ist heutzutage ja schließlich Geld, sagt Erik Fiktorie, Wasserbauingenieur aus dem niederländischen De Bilt. Außerdem ereignen sich jedes Jahr mehrere Unfälle, manche davon mit tödlichen Folgen.

    Also ließ sich Fiktorie etwas Neues einfallen. Statt mit Hilfe von Tauen und Tampen festgemacht zu werden, sollen die Riesenfrachter künftig auf Knopfdruck am Kai anlegen - und zwar so:

    Man baut eine Reihe von Elektromagneten in die Kaimauer ein, sagt Fiktorie. Um präzise zu sein sind es 52 Elektromagneten im Abstand von jeweils sieben Metern. Das Schiff wird möglichst dicht an die Kaimauer gesteuert. Und dann schaltet man die Magneten ein, sodass sie sich das Schiff förmlich schnappen.

    Damit die Magnetkralle tatsächlich zuschnappen kann, muss sich ein 400 Meter langer Containerriese der Kaimauer bis auf einige Zentimeter nähern. Kein Problem, meint Fiktorie. Ein modernes Schiff könne heute zentimetergenau gesteuert werden, und zwar mit Hilfe des Satellitennavigationssystems GPS. Doch es stellen sich noch weitere Fragen. So könnten die Magneten die Container an Bord aus ihrer Verankerung reißen und damit den Löschvorgang behindern. Oder sie könnten Teile der Ladung beschädigen, Fernsehgeräte etwa oder Computermonitore. Die nämlich vertragen kein starkes Magnetfeld, dann wird ihr Bild unscharf und die Farben verschwimmen. Dieses Problem hat auch Erik Viktorie erkannt – und ist auf folgende Lösung gestoßen:

    Wir haben einen Magneten konstruiert, dessen Feld nicht in den Schiffsbauch eindringt, sondern lediglich 4 bis 5 Zentimeter tief in die Schiffswand, sagt Fiktorie. Dieser Magnet setzt sich aus 13 meterlangen und dicht nebeneinander liegenden Stäben zusammen. Durch diese Anordnung biegen die Stäbe das Magnetfeld ihrer Nachbarn so ab, dass das Feld dicht bei den Magneten bleibt. Als Resultat verläuft das Feld nur durch den Magneten selber sowie durch die Schiffswand. Für die Ladung ist das also kein Problem.

    Dann wäre da noch die Sache mit den Gezeiten. Denn um den Tidenhub auszugleichen, muss das Magnetkai seinen Griff ein wenig lockern.

    Das Schiff muss sich um 7,5 Meter an der Kaimauer auf und ab bewegen können, so Fiktorie. Das wollen wir gewährleisten, indem wir die Magneten mit hoher Frequenz aus- und wieder einschalten.

    Das kurze Ausschalten soll so geregelt werden, dass der Frachter im Laufe der Stunden zwar ein bisschen hoch- und runterrücken kann, sich aber nicht von der Kaimauer losreißt. 660.000 Euro sollen die 52 Magneten kosten. Kein allzu hoher Preis, meint Fiktorie, schließlich könnte das Magnetkai pro Jahr satte 5 Millionen Euro an Personalkosten sparen und die Liegedauer eines Schiffes im Hafen um eine drei Viertel Stunde senken. Und auch der Energieverbrauch soll sich in Grenzen halten.

    Die Magneten werden mit einer Spannung von 384 Volt betrieben und bei einer Leistung von nur 800 Watt, sagt Fiktorie. Dadurch ist der Energieverbrauch ziemlich niedrig – gerade verglichen mit den anderen Anlagen im Hafen, etwa den Kränen am Containerterminal.

    Noch in diesem Jahr will der Hafen von Rotterdam ein Versuchskai in Betrieb nehmen. Und sollte sich die Erfindung bewähren, so könnte es schon in zwei Jahren heißen: Leinen los für das Magnetkai.