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Leisetreter und rechte Protestwähler: Österreichs Jugend

Gründe für lauten Protest scheint Österreichs Jugend nicht mehr zu haben: Die Studiengebühren sind wieder abgeschafft, die Berufsaussichten im europäischen Vergleich relativ gut, die Berge sind hoch und die Täler grün. Wenn ein junger Mensch in Österreich dennoch unzufrieden ist, zum Beispiel mit der Politik in Wien, dann wählt er aus Protest offenbar gerne rechtspopulistische Vertreter.

Andrea Mühlberger berichtet aus Wien |
    Es muss schon einiges zusammen kommen, bis Österreichs Studentenschaft ordentlich aufmuckt. Fast zwei Jahre liegt die letzte größere Mobilmachung vor der Wiener Hofburg zurück. Der inzwischen wieder abgewählte Kanzler Gusenbauer hatte sein Wahlversprechen gebrochen. Die Studenten sollten weiter Studiengebühren zahlen und waren stinksauer - was in Österreich aber noch immer recht höflich klingt:

    "Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen zu weiteren Protestmaßnahmen greifen, und dem Herrn Dr. Gusenbauer den Beginn seiner Kanzlerschaft so unangenehm als möglich gestalten."

    Dass die Ära Doktor Gusenbauer tatsächlich nur anderthalb Jahre dauerte, lag aber vor allem am ständigen Störfeuer der eigenen Partei und des Koalitionspartners. Nicht an den beherzten Jugendprotesten. Österreichs Studenten kehrten recht bald wieder brav in ihre Hörsäle zurück. Eine in der Bewegung von 1968 verwurzelte Protest-Kultur wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht wirklich. Schon vor vierzig Jahren kam der Widerstand gegen das Establishment etwas verzagt daher. Lahm, angepasst, nicht sehr politisch. Diese Tradition hat sich dagegen gehalten. Auch wenn das "Junge Wilde" von heute, wie Sandra Breiteneder von der Sozialistischen Jugend Wien, nicht gerne hören:

    "Österreich ist doch ein katholisches Land. Und da gegen den Papst demonstrieren, ist schon etwas ein Skandal."

    Doch das bisschen Skandal ging im Medienhype um Benedikt den 16. völlig unter: Nur ein paar hundert Demonstranten fühlten sich durch den Papstbesuch im Herbst vor einem Jahr provoziert.

    "Die Kirche sollte nicht soviel Einfluss in einen Staat haben. Und das ist in Österreich der Fall - das finde ich nicht gut."

    "Wenn man in Österreich in die Schulen geht, dann hängen da immer noch die Kreuze herum, obwohl wir eine angebliche Trennung von Kirche und Staat haben. Und trotz allem werden kirchliche Schulen hoch subventioniert, also da passt schon vieles nicht."

    Aber das meiste scheint eigentlich ganz in Ordnung, zumindest auf den ersten Blick: Solide Ausbildung, gute Jobchancen, einigermaßen leistbare Lebenskosten - die Zukunftsaussichten in Österreich sind besser als in den meisten EU-Ländern. Trotzdem ist die in der Regel gut behütete Jugend unzufrieden mit der "herrschenden Klasse": Bei der Parlamentswahl Ende September wählte fast jeder Zweite unter 30 das ultra-rechte Lager. Die Angst vor Umweltzerstörung und Kriminalität waren in Umfragen vor der Wahl die Top-Themen bei der Jugend. Doch es zeigte sich: Arbeitslosigkeit und Überfremdung spielten eine viel größere Rolle - selbst bei Jungwählern aus guten Wiener Stadtteilen:

    "Also ich find da ist nichts Schlimmes dran. Das Thema Ausländer hat mich schon betroffen und ja - ich muss jetzt gehen."

    Politologen lasen aus dem Wahlergebnis aber keine generell rechte Gesinnung bei Österreichs Jugend heraus. Sondern eine Unzufriedenheit mit den bürgerlichen Parteien, ihren verkrusteten Ansichten, ihrer Fantasielosigkeit. Eine Denkzettel- und Protestwahl - analysiert der Jugendforscher Manfred Zentner:

    "Das ist eine Politikerinnen-Verdrossenheit. Dass man sagt, die Personen, die hier aktiv sind, lösen meine Probleme eigentlich nicht. Also man vertraut der Politik nicht, dass hier die richtigen Lösungen angeboten werden."
    Bei diesem Frustpotenzial hatten nationalistische Demagogen leichtes Spiel: Sie rappten, traten in Discos auf und redeten Klartext in Sachen Asylpolitik, wie der Chef der Freiheitlichen, HC Strache:

    "Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen...das ist offenbar das neue Motto."

    Jörg Haider, die andere Idol- und Integrationsfigur der Ultrarechten, bemerkte zum Wahlerfolg des rechten Lagers nicht ohne Stolz:

    "Es ist eine Änderung des Zeitgeistes auch bei den jungen Menschen feststellbar. Junge Leute haben wieder eine viel stärkere Identität mit ihrer Heimat. Ihr treibt die jungen Leute tatsächlich weg von euren Parteien."

    Und die vielen Jugendlichen, die kurz darauf in Scharen und im Trachtenjanker zur Trauerfeier ihres mit dem Auto verunglückten Kärntner Landeshauptmanns kamen, scheinen das zu bestätigen.

    "Unser Landeshauptmann war ein großes Vorbild für mich selber, und ich weiß noch nicht, wer jetzt das Vorbild sein kann."

    "Er hat da aufgeräumt, er hat geschaut, dass es den Kärntnern gut geht."

    "Also es ist schon schrecklich, die Zeit heilt alle Wunden. Aber nicht so schnell."

    Krawallmacher klingen anders. Und für Studentenunruhen fehlt in der Alpenrepublik das Potenzial. Tatsächlich hat die Denkzettelwahl gezeigt, dass Österreichs Jugend wenig Hemmungen hat, das ultrarechte Lager zu wählen. Ein Alarmsignal, das die bürgerlichen Parteien ernst nehmen sollten. Ansonsten wird der Graben zwischen ihnen und der Jugend in der Alpenrepublik immer tiefer.