Donnerstag, 18. April 2024

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Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
"Eine gewisse Bewegung" im Irankonflikt

Es sei erstaunlich, dass der iranische Präsident Bereitschaft zeige über Änderungen des Iran-Abkommens zu verhandeln, sagte der Diplomat Wolfgang Ischinger im Dlf. Auch die USA hätten eingesehen, dass Krieg nur über multilaterale Diplomatie vermieden werden kann.

Wolfgang Ischinger im Gespräch Silvia Engels | 25.09.2019
Wolfgang Ischinger im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin. Er geht an einer Stuhlreihe vorbei. Ernster Gesichtsausdruck, Nadelstreifenanzug, hellblaues Hemd und orangene Krawatte.
Die gute Nachricht sei, dass Trump gesagt habe, er wolle Partner, er suche nach Frieden, er wolle keine neuen Konflikte, betonte Wolfgang Ischinger im Dlf (imago / photothek)
Silvia Engels: Der Schritt kam dann doch etwas überraschend. Die führende US-Demokratin Nancy Pelosi hat angekündigt, die Vorstufe für ein Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Trump einzuleiten. Er soll in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj versucht haben, an belastendes Material über den möglichen demokratischen US-Präsidentschaftsbewerber Biden zu kommen.
Am Telefon mitgehört hat der ehemalige deutsche Botschafter in Washington und heutige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Guten Morgen, Herr Ischinger!
Wolfgang Ischinger: Ja! Guten Morgen, Frau Engels.
Ischinger: Wir sollten uns mit Vorschlägen zur US-Innenpolitik zurückhalten
Engels: Die US-Tagesaktualität zwingt uns, kurz in die US-Innenpolitik zu schauen. Inwieweit kann denn für US-Präsident Trump die Außenpolitik demnächst überhaupt noch eine Rolle spielen, wo er sich nun der Vorstufe zu einem Amtsenthebungsverfahren gegenüber sieht?
Ischinger: Na ja, ich würde das jetzt nicht überdramatisieren. Der amerikanische Präsident befindet sich ja fast schon seit dem ersten Tag seiner Amtszeit in einem Dauerkonflikt mit seinen innenpolitischen Gegnern. Denken Sie mal an den berühmten Mueller-Report, der die amerikanischen Medien und die amerikanische Politik über viele Monate mit Bluthochdruck versorgte. Ich sehe jetzt nicht, dass dieser Prozess, der jetzt angekündigt wurde, eine solche neue Qualität erreichen würde, in der jetzt absehbaren Zeit, dass der Präsident sich nicht so wie bisher auch um Außenpolitik kümmern könnte. – Erste Bemerkung.
Zweite Bemerkung: Ich glaube, wir sind alle relativ gut beraten, wenn wir uns mit Vorschlägen zur amerikanischen Innenpolitik zurückhalten. Wir reagieren ja auch sensibel oder empfindlich, wenn wir von amerikanischer, russischer oder anderer Seite Vorschläge zur deutschen Innenpolitik bekommen. Ich rate zu Gelassenheit.
"Für Washingtoner Verhältnissen eine eher versöhnlichere Rede"
Engels: Dann schauen wir auf das, was Trump vorher getan hatte. Er hatte vor den Vereinten Nationen gesprochen. Absage an den Multilateralismus, Vorwürfe gegen China und Iran, aber auch mögliche Gesprächsbereitschaft – so lassen sich Kernelemente der Rede von ihm zusammenfassen. Gestern hat Präsident Trump allerdings auch noch einmal Iran als Hauptbedrohung des Friedens dargestellt - wir haben es gerade noch mal gehört – und vor "iranischer Blutlust" gewarnt. Wo stehen wir hier? Ist das noch Rhetorik, oder wächst die reale Gefahr eines US-Militärschlags in Richtung Iran?
Ischinger: Frau Engels, lassen Sie es mich mal so definieren: Fangen wir mal mit den guten Nachrichten an. Die guten Nachrichten sind, dass der Präsident, trotz aller eher nationalistisch klingenden Rhetorik, gesagt hat, er wolle Partner, er suche nach Frieden, er wolle keine neuen Konflikte. Dies war aus meiner Sicht, verglichen mit so manchen Tönen, die wir in den letzten zweieinhalb Jahren aus Washington gehört haben, nach Washingtoner Verhältnissen eine eher versöhnlichere Rede. Ich sehe nicht, dass hier jetzt draufgelegt wird und dass wir durch diese Rede und die Äußerungen des Präsidenten militärischen Auseinandersetzungen näherkommen. Ganz im Gegenteil! Es stand ja, wenn ich das richtig beurteile, gestern Abend Spitz auf Knopf, ob es vielleicht doch noch zu einem Termin zwischen dem Präsidenten und der iranischen Führung kommt. Dazu scheint es jetzt wohl nicht zu kommen oder gekommen zu sein. Aber das zeigt doch, einschließlich auch des Zusammenschlusses der EU-Drei, der Bundesregierung mit Frankreich und Großbritannien zusammen, dass hier Bewegung im Sinne der Diplomatie, im Sinne ja des Multilateralismus entstanden ist. Ich sehe das eigentlich auch eher positiv als negativ.
"Nicht mehr zulassen, dass wir auseinanderdividiert werden"
Engels: Sie haben es angesprochen. Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben sich ja auch in einer anderen Frage schon positioniert. Sie hatten schon vor der Rede von Präsident Trump auch den Iran nun für die Angriffe auf die saudischen Ölraffinerien vor eineinhalb Wochen verantwortlich gemacht. Folgt daraus nun zwangsläufig auch eine engere Gefolgschaft dieser europäischen Staaten bei einem möglichen US-Vorgehen gegen Teheran, sei es mit Sanktionen, aber sei es auch militärisch?
Ischinger: Gehen wir mal einen kurzen Schritt zurück. Diese sogenannten EU-Drei - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - haben sich vor 16 Jahren, 2003 zusammengetan und haben sich geschworen, wir dürfen es nicht mehr zulassen, dass wir in wichtigen transatlantischen Fragestellungen auseinanderdividiert werden. Wir sind damals auseinanderdividiert worden in der Irak-Krise, als Frankreich und Deutschland auf der einen Seite und Großbritannien auf der anderen Seite stand, gemeinsam mit einigen anderen EU-Partnern. Dies ist jetzt eine wichtige Entscheidung gestern in New York, dass die EU-Drei beieinander bleiben, dass sie sich auch nicht aus der iranischen Sicht auseinanderdividieren lassen mit dem transatlantischen Partner, sondern dass man versucht, Elemente zu entdecken, bei denen man aufeinander zugehen könnte.
Es ist doch ganz erstaunlich, dass der iranische Präsident Rohani gesagt hat – ich weiß nicht, ob das das allererste Mal war, dass er das gesagt hat, aber er hat es zumindest zum allerersten Mal in New York bei den Vereinten Nationen gesagt -, dass er bereit wäre, an dem berühmten JCPOA-, dem Iran-Abkommen über Änderungen zu verhandeln. Das ist doch ein Wort! Man sollte ihn beim Wort nehmen. Ich sehe hier eine gewisse Bewegung, kein tieferer transatlantischer Graben; ich sehe aber auch nicht, dass wir, so wie Sie das gerade formuliert haben, jetzt Gefolgschaft verkünden gegenüber der amerikanischen Seite.
Nein! Ich sehe eher, dass die amerikanische Seite einsieht, dass der Weg nach vorne, wenn man keinen Krieg will – und den will Trump nicht -, über multilaterale Diplomatie führt und nur über multilaterale Diplomatie. Also: Der Multilateralismus lebt.
"Ich würde mir wünschen, wir könnten einfach die Uhr zurückdrehen"
Engels: Änderungen des Atomabkommens – Sie haben es gerade schon angedeutet, ob sich in diesem Bereich etwas bewegen könnte. Es gibt ja Medienberichte, wonach die Europäer möglicherweise US-Präsident Trump angeboten haben - Europäer meint wieder die genannten drei Staaten -, in neue Verhandlungen mit dem Iran möglicherweise die aggressive Expansion des Landes in der Region und das generelle Raketenprogramm einzubeziehen. Ist dieser Weg erfolgversprechend?
Ischinger: Es ist so: An dem Tag, als der amerikanische Präsident den amerikanischen Austritt aus dem Iran-Abkommen verkündete, waren wir, nämlich die Vertragspartner des JCPOA, schon relativ weit vorangeschritten mit exploratorischen Gesprächen mit der iranischen Seite über Ergänzungen zu dem Atomabkommen, das sich ja in der Tat nur mit der nuklearen Rüstung des Iran beschäftigte. Man hatte begonnen, mit dem Iran über die Frage zu sprechen, können wir über regionale Sicherheit verhandeln, können wir über das iranische Raketenbauprogramm verhandeln, das einer ganzen Reihe von UNO-Resolutionen vehement widerspricht, sie verletzt. Diese Gespräche gab es. Die sind dann natürlich von iranischer Seite nicht fortgeführt worden, abgebrochen worden, als die USA ausgestiegen sind. Ich würde mir wünschen, wir könnten einfach die Uhr jetzt anderthalb, fast zwei Jahre zurückdrehen und sagen, fangen wir doch wieder da an, am Tag, bevor die USA ausgetreten sind, und führen die damals begonnenen Gespräche fort. Darum geht es eigentlich.
Der amerikanisch-chinesische Konflikt über Wirtschaftsfragen
Engels: Dann schauen wir noch auf ein anderes großes Thema, das Trump in seiner Rede gestern vor den Vereinten Nationen angesprochen hat. China hat er scharf angegriffen. Er verteidigte die verhängten US-Zölle im Handelskrieg, ließ kein Einlenken erkennen. Besteht in dieser Rivalität zwischen Washington und Peking der große universale Konflikt der nächsten Jahre und dann dementsprechend auch die neue Herausforderung für den Multilateralismus?
Ischinger: Ich sehe hier zwei wichtige Punkte. Das eine ist in der Tat der amerikanisch-chinesische Konflikt über Wirtschaftsfragen, über Handelsfragen insbesondere. Hier, denke ich, verfolgt der amerikanische Präsident seine bewährte Taktik, gewaltig aufzutrumpfen und zu drohen, in der Hoffnung, einen besseren Deal abschließen zu können. Ob das gelingt? – Wir werden es sehen.
Dahinter – und das wäre mein zweiter Punkt – verbirgt sich aber eine in der Tat sehr viel größere Fragestellung: Wie gehen wir mit dem unaufhaltsam erscheinenden weiteren machtpolitischen, weltpolitischen Aufstieg Chinas um? Das ist aus meiner Sicht in der Tat, Frau Engels, eine der ganz großen Herausforderungen für die transatlantische Zusammenarbeit. Viele meiner Gesprächspartner in den USA – ich war gerade letzte Woche wieder in Amerika – sehen die Frage so: Entweder China gewinnt, oder wir gewinnen. Einer von beiden verliert. Während wir in Europa ja, wie ich finde, zurecht an der Vorstellung festhalten, es muss eine Lösung gefunden werden können, die dem Bild des Win-Win-Szenarios entspricht, es können beide Seiten profitieren, wir müssen einen Weg finden der kritischen Zusammenarbeit mit China und diesen chinesischen Aufstieg durch guten Zusammenhalt des Westens und innerhalb des Westens begleiten und kommentieren und wo nötig uns auch Auswüchsen beispielsweise in Menschenrechtsfragen und so weiter entgegenstellen.
Hier ist eine unterschiedliche Philosophie nach meiner Überzeugung im Augenblick existent zwischen dem europäischen Mainstream und den USA. Darüber müssen wir Europäer mit den USA reden in den kommenden Monaten und Jahren, denn ganz schlimm wäre es, wenn wir dann entscheiden müssten, wollen wir es jetzt weiter mit den USA halten und uns ihrer Meinung anschließen und setzen wir uns damit einer Großkonfrontation mit China aus, bricht die transatlantische Allianz eines Tages auseinander wegen China, nicht wegen Russland, sondern wegen China. Das gilt es zu vermeiden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.