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Leiter des Goethe-Instituts in Ramallah wirft Israelis Plünderungen palästinensischer Häuser vor

Remme: Massenproteste in den arabischen Staaten und eine unmissverständliche Sprache im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen; die internationalen Reaktionen auf das Vorgehen Israels in den Palästinensergebieten sind eindeutig, und doch: Ministerpräsident Ariel Scharon und sein Kabinett sind offenbar entschlossen, ihre Offensive fortzusetzen, ja auszuweiten. 50 Tote, das ist die schreckliche Bilanz der Osterfeiertage. Menschen, die durch Selbstmordattentate von Palästinensern oder durch Kämpfe ums Leben gekommen sind. Palästinenserpräsident Arafat ist in Ramallah nach wie vor in seinem Hauptquartier von der Außenwelt abgeschnitten. Er harrt in seinem Büro aus, und selbst ausländischen Diplomaten gelingt es nicht, ihn zu treffen. Heute morgen ist offenbar das Hauptquartier des palästinensischen Sicherheitsdienstes dort bombardiert worden. Ramallah ist fest in der Hand der israelischen Armee. Ausländische Journalisten wurden aufgefordert, die Stadt zu verlassen. In Ramallah bin ich jetzt mit Manfried Wüst verbunden, Leiter des dortigen Goethe-Instituts. Herr Wüst, Sie sind in Ramallah, welches Bild bietet sich Ihnen, wenn Sie aus dem Fenster sehen?

    Wüst: Zunächst ausgestorbene Straßen. Niemand bewegt sich draußen auf den Straßen, kein Auto, kein Mensch. Die Menschen sind alle in den Häusern. Das Einzige, was zu sehen ist, sind Panzer und gepanzerte Mannschaftswagen der israelischen Armee, die hier rauf und runter fahren und die Stadt unsicher machen. Wir wissen nicht genau, was sie im Einzelnen treiben. Was ich von meinem Fenster aus beobachten kann ist, dass sie Hausdurchsuchungen durchführen, d.h. mit ihren Mannschaftswagen vorfahren, dann steigen etwa zehn Soldaten aus, und sie gehen dann in die nächsten Häuser rein, die sie sich zum Ziel genommen haben, und kommen dann nach etwa einer halben Stunde bis einer Stunde wieder heraus. Was man dann über Telefon erfährt ist, dass diese Häuser gründlich durchsucht worden sind, meistens in Gegenwart der Einwohner, und dass man dort auch ziemlich viel aus den Schränken herausgeräumt hat, Möbel zerstört hat, und auch Beweisstücke, die man meint, gesucht zu haben, mitnimmt, und auch Personen festnimmt.

    Remme: Sie sagten, es geht niemand aus dem Haus. Traut sich niemand aus dem Haus oder darf schlicht niemand die Häuser verlassen?

    Wüst: Es gibt keine erklärte Ausgangssperre, nur in Teilen der Stadt, aber es ist völlig unmöglich, unter den Bedingungen, die ich eben beschrieben habe, das Haus zu verlassen. Es wird, wenn man rausgeht, scharf geschossen, und niemand wagt es, sich dem auszusetzen. Die Läden sind ohnehin unter den Bedingungen geschlossen. Man kann auch im Augenblick nichts einkaufen.

    Remme: Sie haben eben gesagt, was man so am Telefon erfährt, mit wem sind Sie in der Stadt in Kontakt?

    Wüst: Nun, ich habe hier viele Bekannte, man telefoniert umeinander herum, über die verschiedenen Stadtteile hinweg, um zu erfahren, was läuft, denn wir können nicht aus dem Haus, um uns selbst zu informieren. So läuft es eben über das Telefon.

    Remme: Haben auch schon Hausdurchsuchungen bei Ihnen stattgefunden?

    Wüst: Zum Glück noch nicht. Ich warte noch drauf, aber ich hoffe, dass das an mir vorbeigeht, denn man hat dabei einiges zu befürchten nach dem, was man hört.

    Remme: Kann es sein, dass das Goethe-Institut oder Sie als Leiter sozusagen einen besonderen Schutz genießen?

    Wüst: Das glaube ich nicht. Ich meine, ich werde natürlich versuchen, das dann geltend zu machen, wenn es so weit kommen sollte, aber ob ich mich damit durchsetzen kann, ist eine andere Frage. Ich meine, man hat es mit den Soldaten hier mit Leuten zu tun, die doch offensichtlich von einem geballten Hass auf die hiesige Bevölkerung erfüllt sind, und das trifft sicher die Ausländer, die hier leben, genauso. Es ist inzwischen mehrfach belegt, dass sie bei diesen Hausdurchsuchungen nicht nur Befunde suchen, sondern eben auch Wertsachen mitgehen lassen, den Leuten einfach das Geld abnehmen, usw. Das sind einfach Plünderungen, das muss man einfach mal so nennen.

    Remme: Herr Wüst, aus Ihren Worten spricht schon eine gewisse Parteinahme. Sie leben dort seit einiger Zeit, Sie sind auch Zeuge der Selbstmordattentate geworden, die letztendlich, wie die Israelis sagen, Auslöser dieser Aktionen sind. Haben Sie Verständnis für das Vorgehen der Israelis?

    Wüst: Sie reden von Parteinahme. Ich versuche keineswegs, Partei zu nehmen, sondern durchaus zu beschreiben, was hier läuft, und ich bin etwas fassungslos über das, was läuft. Das hat mit Parteinahme nichts zu tun, sondern einfach mit einer Einschätzung der Maßstäbe, die hier gelten bzw. eben nicht mehr gelten. Denn Sie müssen ja sehen, wenn hier ein riesiger Militärapparat gegen eine reine Zivilbevölkerung in Gang gesetzt wird, dann muss man sich natürlich fragen, nach welchen Gesetzen so etwas abläuft.

    Remme: Welche Alternativen hat die israelische Politik?

    Wüst: Die Alternativen zu dem, was sie hier betreiben, sind sehr einfach, nämlich völkerrechtliche Normen einzuhalten, die auch durch UNO-Resolutionen längst in Schriftform geraten sind. Das bedeutet ganz klar die Aufgabe der eroberten Gebiete von 1967. Darum geht es. Die Intifada ist ja letztendlich gestartet aufgrund der gescheiterten Verhandlung in Oslo, überhaupt aufgrund des Scheiterns des Oslo-Prozesses, und sie wird auch nach palästinensischer Sicht logischerweise nur enden können, wenn sie ihr Ziel erreicht, nämlich die Befreiung der besetzten Gebiete, und das ist die Alternative, die Israel hat. Alle anderen Möglichkeiten, die Israel im Augenblick ergreift, können nicht zum Frieden führen.

    Remme: Sie leiten das Goethe-Institut. Ich vermute, ausgehend von dem, was Sie beschreiben, dass die Arbeit des Instituts zur Zeit ruht, richtig?

    Wüst: Selbstverständlich. Wir können ja nicht aus dem Haus. Das Institut ist geschlossen. Wir müssen einfach abwarten, bis die Israelis hier diesen Ausnahmezustand - sie haben ja Ramallah zur gesperrten militärischen Zone erklärt - aufheben. Wenn wir wieder aus den Häusern können, können wir wieder unserer normalen Arbeit nachgehen.

    Remme: Bis wann war das denn der Fall?

    Wüst: Bis Donnerstag letzter Woche konnten wir uns in der Stadt normal bewegen. Seit Freitag dauert die Besetzung an. Wir befinden uns jetzt im fünften Tag. Die Vorräte gehen langsam zu Ende. Man muss überlegen, wie man das, was man im Haus hat, streckt, sich vielleicht auch Brot selber backt, usw.

    Remme: Haben Sie den Kontakt zum Auswärtigen Amt? Wurden Sie inzwischen aufgefordert, möglicherweise aus Sicherheitsgründen, sich für eine Abreise aus Ramallah bereit zu machen?

    Wüst: Wir haben sehr engen Kontakt zur diplomatischen Vertretung. Die diplomatische Vertretung konnte in den letzten Tagen überhaupt nichts machen, weil ihre Angehörigen in Jerusalem leben und von den Israelis daran gehindert werden, hier zu ihren Schreibtischen zu kommen, und überhaupt sich um die Deutschen in Ramallah und Umgebung zu kümmern. Inzwischen haben wir aber Verhandlungen mit den Israelis aufgenommen, und sie haben erklärt, dass sie heute versuchen wollen, eine Möglichkeit einzurichten für diejenigen, die die Stadt verlassen wollen, d.h. die israelischen Militärs müssen dann die einzelnen ausreisewilligen Deutschen zu Hause abholen und zu einem bestimmten Punkt am Rande der Sperrzone bringen, wo sie dann von den Diplomaten übernommen werden können. Das gilt übrigens nicht nur für die deutsche Seite, sondern da haben die europäischen Länder zusammengearbeitet.

    Remme: Herr Wüst, werden Sie bleiben?

    Wüst: Ich werde bleiben.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio