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Leitfaden Museumsbund
"Kolonialismus war lange ein blinder Fleck"

Was tun mit den Sammlungen kolonialer Herkunft? Der Deutsche Museumsbund hat dazu im Mai einen Leitfaden vorgestellt. Internationale Expertinnen und Experten haben den Leitfaden jetzt bei einem Workshop diskutiert - kein Abschluss, sondern Beginn einer Diskussion.

Von Rainer Berthold Schossig | 31.10.2018
    Objekte aus dem Ethnologischen Museum Berlin werden während einer Veranstaltung präsentiert. Die früheren unrechtmäßig entnommenen Grabbeigaben stammen aus Chenega Island an der Südküste Alaskas und werden nach einem Beschluss des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an die Chugach Alaska Corporation zurückgegeben.
    Rückgabe von Objekten aus dem Ethnologischen Museum (dpa-Bildfunk / Ralf Hirschberger)
    Das düster aufragende, regennasse Denkmal des Eisernen Kanzlers hoch über St. Pauli wendet dem Museum für Hamburgische Geschichte den Rücken zu, aber genau dort diskutierte ein international besetzter Workshop jetzt intensiv über ein Stück Erbe der Ära Bismarcks. Was tun mit den Sammlungen kolonialer Herkunft in den deutschen Museen, und wie mit den Kollegen aus den einst kolonial ausgeplünderten Ländern und Nationen umgehen?
    Aus Samoa ist die Kunsthistorikerin Safua Akeli Amaama angereist. Sie lobt den Leitfaden des Deutschen Museumsbundes: "Wir wissen, dass in der Kolonialzeit samoanische Objekte den Weg in viele Länder gefunden haben, nicht nur nach Deutschland, sondern auch in die USA und Großbritannien. Das heißt, samoanische Würdenträger haben Wertobjekte verschenkt, um wichtige Beziehungen zu bestätigen. Das ist der Ausgangspunkt, wo jetzt in einen Dialog eingetreten wird, wo auch die nicht-samoanischen Museumsprofis lernen, was es mit diesen Objekten auf sich hat."
    Museumsbund betritt mit Leitfaden Neuland
    Dialog, Respekt und Toleranz – das sind längst gängige Formulierungen bis hin zu den internationalen Fußballplätzen. In Deutschland betritt der Museumsbund mit dem Leitfaden Neuland. Es geht darum, Museumsstücke aus der Kolonialzeit überhaupt erst einmal zu erfassen, zu digitalisieren und eventuelle ungesicherte Provenienzen zu klären. Die Direktorin des Überseemuseums Bremen, Wiebke Ahrndt, erklärt, was mit dem Begriff "Kollaborative Projekte" gemeint ist:
    "Die Distanzen sind enorm, d. h. ich kann eine ganze Menge über Email machen, aber irgendwann muss man doch mal gemeinsam am Tisch sitzen und Dinge gemeinsam entwickeln können. Und da reicht die Finanzkraft der deutschen Museen nicht, da sind wir auf Finanzmittel von dritter Seite angewiesen. Und die sind derzeit noch in Deutschland sehr, sehr schwer bis gar nicht zu bekommen."
    "Stimmen der Kollegen aus den anderen Ländern dazu bekommen"
    So beginnt gerade erst ein transnationaler Dialog über die Problematik. Dafür müssen vor allem mehr neue Fachleute in die Museen geholt werden. Das erinnert an den vor 20 Jahren mit der "Washingtoner Erklärung" eingeläuteten Prozess der Intensivierung der Provenienz-Forschung, um NS-Raubkunst aufzuspüren. Für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz war in Hamburg Carola Thielecke dabei: "In Deutschland war das Thema Kolonialismus lange ein blinder Fleck, verstellt durch den Blick auf das große Unrecht des Holocaust. Deshalb gab es zunächst in Deutschland selber unter den Museumsmitarbeitern ein großes Bedürfnis, eine Position zu bilden. Und jetzt haben wir die Stimmen der Kollegen aus den anderen Ländern mit dazu bekommen, und das ist für uns natürlich ein sehr großer Lernprozess."
    Dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – nicht zuletzt in Vorbereitung des Berliner Humboldt-Forums – noch mehr Sensibilität entwickeln muss, hat sich gezeigt. Der deutsche Kulturföderalismus wirft dabei besondere Probleme auf. David Vuillaume, Geschäftsführer des Deutschen Museumsbunds, kommt aus der französischen Schweiz und erläutert das: "Die Haltung der Museumsfachleute in Frankreich und Deutschland unterscheidet sich nicht unbedingt. Der große Unterschied ist einfach die politische Struktur. Der Besitz der meisten Objekte ist in den Händen vom Zentralstaat in Frankreich, was in Deutschland nicht der Fall ist."
    "Nicht schon mit Lösungen parat stehen"
    Im Frühjahr 2019 soll der überarbeite Leitfaden in deutscher, englischer und französischer Sprache veröffentlicht werden. In den Medien werden immer wieder Befürchtungen laut, dass man Rückgabe-Aktionen großen Stils in die Herkunftsländer vorbereite. Dem widerspricht Wiebke Ahrndt. Rückgabe habe keine Priorität: "Es sind Wünsche danach, mit uns zusammenzuarbeiten, zur Geschichte der Sammlungen gemeinsame Ausstellungen zu entwickeln, das würden wir gern machen. Die Rückgabe des Kulturguts ist nicht das, was bei uns prioritär ganz oben steht. Wir sollten auch anfangen, intensiver zuzuhören, was denn die Herkunftsgesellschaften möchten und nicht schon mit Lösungen parat stehen. Nichtsdestotrotz gibt es ja Rückgaben, hat es – auch aus dem Überseemuseum – schon gegeben, und die wird es auch in Zukunft geben."
    Der Hamburger Workshop war unaufgeregt, professionell und von gegenseitigem Verständnis getragen. Der alte Reichskanzler wäre erstaunt gewesen.