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Lemke: Absage der WM in Katar, wenn Berichte über Baustellenskandal stimmen

Nach Medienberichten über katastrophale Arbeitsbedingungen auf katarischen Baustellen für die Fußball-WM 2022 verlangt UNO-Sportbeauftragter Willi Lemke eine rasche Überprüfung. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, müsse Katar die WM entzogen werden.

Willi Lemke im Gespräch mit Christine Heuer | 04.10.2013
    Christine Heuer: Leiharbeiter aus Nepal, Indien, Pakistan, Sri Lanka und Bangladesch bauen in Katar Stadien und Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Unter unzumutbaren Bedingungen, wie der britische "Guardian" diese Woche berichtet hat. Seit gestern beschäftigt sich der Weltfußballverband auch mit dem Thema. Am Telefon ist der UNO-Sonderbeauftragte für Sport, der ehemalige Manager auch bei Werder Bremen, Willi Lemke. Guten Morgen.

    Willi Lemke: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Herr Lemke, Sie waren selbst mehrfach und auch vor wenigen Monaten noch in Doha und haben dort Stadien angeschaut. Überraschen Sie die Berichte über Sklavenarbeit in Katar jetzt?

    Lemke: Ich denke, die Arbeitssituation der Leiharbeiter oder der Gastarbeiter, wie immer Sie das bezeichnen mögen – bei Sklaven wäre ich ein bisschen vorsichtig; aber diese Menschen stehen stundenlang Schlange in den Botschaften ihrer Heimatländer, um dort den Job zu bekommen, da sie in ihrer Heimat in der größten Not leben, sie kriegen keinen Job dort, und wenn sie einen Job kriegen, wird der nur halb so gut bezahlt wie in Katar. Das muss man nur wissen, wenn man sich der Problematik bewusst wird -, die Arbeitsbedingungen sind ganz, ganz schrecklich. Das sieht man eigentlich schon, wenn man in seinem Dienstwagen an den Bauarbeiter-Kolonnen vorbeifährt, die im Straßenbau zum Beispiel oder auf den Baustellen tätig sind, zum Teil mit Atemschutz, weil es eben so staubig und so sandig ist, und natürlich die Sonne. Wenn die Ihnen bei 30 oder 40, nein bei 40 oder 50 Grad auf den Schädel knallt, dann sind Sie sehr, sehr geschützt mit entsprechenden Tüchern. Aber schon alleine der Eindruck, wenn sie daran vorbeifahren, das ist schon schlimm genug. Ich habe selber nie die Möglichkeit gehabt, die Quartiere anzuschauen. Sie sind aber, soweit ich weiß, in Containern untergebracht. Dass es aber diese Tragödien gegeben hat, dass es innerhalb von so kurzer Zeit so viele Tote gegeben hat, das war mir jedenfalls bei meinen vielen Besuchen in Katar bisher nicht bekannt.

    Heuer: Der "Guardian" – wir haben das ja gerade gehört – berichtet über unmenschliche Arbeitsbedingungen, auch was Dinge angeht, die über die Hitze hinausgehen, über zu lange Schichten, über zu viel Anstrengung, über zu schlechte hygienische Bedingungen. Bezweifeln Sie all das?

    Lemke: Na ja, ich bezweifele das nicht, aber es steht mir nicht zu, von hier aus Bremen jetzt Dinge in Katar zu beurteilen, sondern das gehört an und für sich auch nicht zu meinem Mandat. Ich habe ja ein Sportmandat, ich bin Sonderberater des Generalsekretärs für Sport und nicht für faire Arbeit. Aber da das natürlich jetzt alles im Fokus der Fußball-Weltmeisterschaft steht, ist es für mich selbstverständlich, da ich mich bei den entsprechenden Stellen erkundige. Ich habe das schon vor einer Woche, als die Berichte bekannt wurden, getan, indem ich mit den mir bekannten Scheichs gesprochen habe, und es kann durchaus sein, dass ich im Rahmen einer anderen Reise, die ich nach Katar unternehmen werde vielleicht, dass ich dann sage, so Leute, und jetzt kümmern wir uns mal um das andere Thema und da möchte ich gerne von euch wissen, wie ihr darauf reagiert, wie ist euere Antwort, sind die tatsächlich dadurch zu Tode gekommen, dass sie dehydriert sind, dass sie einfach zu wenig Wasser und Elektrolyte zu sich genommen haben, wie ist eure Antwort darauf. Und wie ist es zum Beispiel mit dem Gerücht, dass die Pässe eingezogen werden, weil diejenigen, die dort ankommen, erst einmal die Vermittler bezahlen müssen in ihrer Heimat und den Flug "abarbeiten" müssen. Stimmt das? Wer veranlasst das? Was könnt ihr dagegen tun? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Auch wenn sie nicht unmittelbar in mein Gebiet fallen, werde ich doch auf jeden Fall den Generalsekretär auch aus meiner Perspektive darüber informieren.

    Heuer: Also Sie tun etwas, Herr Lemke. Was muss denn die FIFA jetzt tun?

    Lemke: Soweit ich weiß, tagen sie heute und haben sie gestern getagt zu diesem Thema. Sie nehmen das sehr ernst, das weiß ich aus Zürich, da ist die FIFA ja ansässig. Sie nehmen das sehr, sehr ernst. Die Kataris übrigens haben auch einen furchtbaren Schreck gekriegt, dass diese Dinge tatsächlich so schlimm sind, wie sie hier vom "Guardian" offensichtlich gemeldet worden sind. Das wird aber noch bestätigt werden müssen. Wenn das aber stimmt, muss sofort und dringend gegengesteuert werden. Damit kann eine Fußball-Weltmeisterschaft nicht leben, dass dann ein paar hundert oder womöglich ein paar Tausend Arbeiter sterben, während da die Bauten fertiggestellt werden. Das geht überhaupt nicht und ist für niemanden akzeptabel, weder für die Gastgeber aus Katar, denn das schadet ja ihrem Image enorm. Die haben doch die Weltmeisterschaft deshalb nach Katar geholt, um ihr Image aufzupolieren und nicht so unerträglich im schlechten Licht zu stehen. Das muss man ja ganz klar so sehen. Das wissen die Kataris, das weiß die FIFA und das wissen wir mittlerweile von der UN auch. Es gibt eine Arbeiterorganisation bei den Vereinten Nationen, die heißt ILO, International Labour Organisation, und die müsste an vorderster Front eigentlich tätig werden, ich kann das nur en passant machen, weil eben es um die FIFA-Weltmeisterschaft 2022 geht.

    Heuer: Herr Lemke, jetzt waren wir im Gespräch aber gerade schon mal weiter. Wenn die Vorwürfe stimmen, muss man dann Katar die Fußball-WM wieder entziehen? Ist es das, was Sie fordern?

    Lemke: Ich muss zuerst fragen, stimmt das, was der "Guardian" gemeldet hat. Zweitens: Wenn das stimmt, muss sofort das verändert werden. Und als allerletztes Druckmittel würde ich, wenn ich Sepp Blatter hieße, sagen, Leute, das wird sofort verändert, und wenn das nicht verändert werden sollte, könnte oder wie auch immer, dann muss man das als FIFA auch aus meiner Sicht durchaus als Druckmittel benutzen.

    Heuer: Man hat aber nicht den Eindruck, dass die FIFA es jetzt sehr eilig hätte. Das Thema wird zwar bei der Tagung des Exekutivkomitees in Zürich behandelt, aber doch eher ein bisschen unter ferner liefen.

    Lemke: Nein, das glaube ich nicht. Meine Informationen sind andere. Nun müssen Sie ja wissen, dass die Exekutivkommission jetzt nicht mal eben innerhalb von 24 Stunden zusammentreffen kann. Die kommen von allen Kontinenten dann zusammen. Und ich finde, wenn die innerhalb von zehn Tagen, nachdem der Skandal entdeckt worden ist oder aufgedeckt worden ist, sofort reagieren und das auf die Tagesordnung heute setzen, darüber kann ich dann nicht auch schimpfen. Die arbeiten unter diesen Umständen in Katar mit Sicherheit schon länger und wenn diese Tragödien, die sich da abgespielt haben in den letzten Monaten – man hat ja gehört, dass es Juli/August passiert sein soll -, wenn das dann zum Ziel hat, dass in Zukunft derartige schrecklichen Dinge dort nicht mehr passieren, dann bin ich, man kann in dem Zusammenhang nicht sagen, zufrieden, aber dann ist das gut, wenn sich eben schlagartig jetzt etwas ändert. Ich werde das auf jeden Fall vor Ort überprüfen und ich bin auch ganz sicher, dass ich da die Unterstützung der Kataris bekomme. Diese Katastrophen, die da passiert sind, die veranlassen mich jetzt, vielleicht sogar die FIFA, unterstützend dort tätig zu werden, und meine Berichte nicht nur, wie ich das zu tun habe, beim Generalsekretär der Vereinten Nationen abliefere, sondern auch Sepp Blatter, den ich ja lange, lange Jahre kenne, eben auch zuschicke und sage, das ist mein Eindruck. Und ich finde, es geht so, vermute ich jedenfalls, dass ich sagen werde, so geht’s nicht weiter, Du musst da was machen.

    Heuer: Sollte die FIFA diesem Aufruf dann nicht folgen und nichts oder zu wenig unternehmen, wären Sie dann für einen Boykott der Fußball-WM in Katar?

    Lemke: Wenn das alles so stimmt, wie es gewesen ist, und da sollte sich nichts ändern, dann ist es aus meiner Sicht völlig unmöglich, dort die Fußball-Weltmeisterschaft auszutragen. Aber bitte: wenn und aber und wenn und noch mal wenn. Das muss alles wirklich so eintreten, wie wir das eben gesagt haben. Nur einfach da hinfahren und sagen, wir nehmen euch die WM weg, das geht nicht, sondern erst mal prüfen, ob das tatsächlich so passiert ist. Wenn es sich herausstellt, dann muss Abhilfe geschaffen werden, und zwar sofort. Und wenn das alles nicht passiert, dann würde ich, wenn ich Sepp Blatter wäre, sagen, Leute, so geht’s nicht, dann nehmen wir euch die WM wieder weg.

    Heuer: Und wenn das jetzt alles noch mal untersucht werden muss, wie viel Zeit geben Sie denn dann Katar und der FIFA zum Handeln?

    Lemke: Es muss deutlich sein, dass das rasch aufgeklärt wird. Rasch heißt, innerhalb von drei, vier Wochen müssen die Ergebnisse auf dem Tisch des Hauses liegen. Das ist relativ einfach. Da braucht man nur bei den entsprechenden Botschaften anzurufen und die Todesfälle zusammenzusammeln und prüfen, woran sind die gestorben. Wenn die an Herzinfarkten gestorben sind, und zwar in der Anzahl, dann ist es ziemlich sicher, dass sie durch Mangel von Elektrolyten und Wasser vermutlich gestorben sind. Es mag vielleicht eine kleine Zahl auch normale Tote dabei gegeben haben, aber ich vermute, dass die ganz große Anzahl, wenn das dann stimmt, durch mangelnde Wasserzufuhr verstorben sind.

    Heuer: Willi Lemke, der UNO-Sonderbeauftragte für Sport. Herr Lemke, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

    Lemke: Da nich für!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Willi Lemke, UNO-Sonderbeauftragter für Sport
    Willi Lemke, UNO-Sonderbeauftragter für Sport (AP)