"Also wir starten jetzt in die Geometriesequenz der Abschlussklasse und starten heute noch mal mit Flächen, welche Flächenformen kennen wir, welche Formeln kennen wir da schon. Wir haben immer wieder Schüler, die sich schwertun sich das zu merken, welche Formel zu welcher Fläche passt und was ist noch mal der Unterschied zwischen Rechteck und Quadrat, wo wir als Lehrer sagen, das hab ich doch jetzt schon tausendmal erklärt, und wo einfach die blanke Formel nicht hilft das Verstehen und das Merken besser zu erreichen."
Die Ballade vom Zauberlehrling rappen
Mathematikunterricht in der 9. Klasse der Konrad-Querfurt Mittelschule in Karlstadt. 16 Jungen und Mädchen folgen den Bewegungen des Tänzers Dominik Blank. Auch die Klassenlehrerin Kathrin Sterr tanzt mit.
"Das witzige war, als ich den Schülern gesagt habe, der Dominik kommt noch mal und wir machen Mathe, war so eine Mischung zwischen: Wie soll denn das gehen, tanzen in Mathe und die haben dann gleich ausprobiert, wie man verschiedene Formen, Dreiecke haben sie in die Luft gemalt, wie man das ausprobieren kann. Also ich glaube, die Schüler freuen sich."
Den Stromkreis tanzen, die Ballade vom Zauberlehrling rappen, Brüche plastisch gestalten: Der Unterricht mit und durch die Künste ist eine didaktische Methode aus Kanada. Nach Deutschland importiert hat sie Dr. Petra Weingart, Lehrerin und Kunstpädagogin in Würzburg. Die Methode nennt sich kurz LTTA - Learning through the Arts.
"LTTA ist ein Bildungsprogramm in dem Lehrer und Künstler in enger Partnerschaft zusammen arbeiten, um mit den Schülern gemeinsam die Lehrplanziele zu erreichen, um über die didaktisch-methodischen Möglichkeiten, die über die Künstler angeboten werden, die Kinder und Jugendlichen dazu zu bringen, die Lerninhalte besser zu verstehen, gerade in Fächern, wo sie ansonsten Probleme haben, wie Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften."
Ziel: Lerninhalte besser verstehen
Tänzer, Bildhauer, Musiker, Maler, Schauspieler machen gemeinsam Unterricht mit den Fachlehrern. Vor 14 Jahren begann diese neue Lernmethode am Royal Conservatory of Music in Toronto und hat seither weltweit Anhänger gefunden. In Deutschland gibt es das Programm bislang ausschließlich in Unterfranken. 17 Schulen aller Schulformen von der Grundschule bis zum Gymnasium nehmen zurzeit in 45 Klassen mit rund 1200 Schülern daran teil. Ein Curriculum für die Lehrerausbildung hat Maria Weingart in Zusammenarbeit mit LTTA in Kanada erarbeitet. Künstler und Lehrer bzw. Lehramtsanwärter machen zwei Jahre eine entsprechende Ausbildung, die dann vom Royal Conservartory zertifiziert wird. Kathrin Sterr, die ihre Klasse in fast allen Fächern unterrichtet, war erst skeptisch.
"Ich hab mit Kunst eigentlich nichts am Hut, aber mittlerweile bin ich froh, dass wir das haben. / Die Schüler würden wahrscheinlich sagen, das ist kein Unterricht mehr. Und das ist genau der Effekt. Dadurch, dass man in Teamteaching den Unterricht macht und komplett andere Methoden und einen anderen Zugang wählt zu verschiedenen Themen, ist es einfach ein sehr bewegter Unterricht, ein sehr motivierender Unterricht. Also innerhalb der zwei Jahre merkt man, dass die Kinder sich an die Unterrichtseinheiten mit LTTA wesentlich besser erinnern. Es ist schon so ein Nachhaltigkeits-Effekt."
Studie: Kinder lernen besser und nachhaltiger
Sicher ist es etwas Besonderes, wenn ein echter Künstler in die Klasse kommt und mit den Kindern arbeitet. Das sorgt auf jeden Fall für Neugier und Aufmerksamkeit. Tanzen und Malen in Englisch klingt auch interessanter als Vokabeln durch Bücher lernen. Aber es ist nicht nur der kurzfristige Spaß. Die Kinder lernen tatsächlich besser und nachhaltiger. Das hat bereits eine groß angelegte staatlich finanzierte Studie in Kanada belegt. Ihre positiven Ergebnisse wurden jetzt durch eine erste Evaluation in Deutschland bestätigt und sogar noch gesteigert. Der Lernpsychologe Hans-Peter Trolldenier vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie in Würzburg hat ein Jahr lang sieben dritte Klassen mit LTTA verglichen mit Drittklässern ohne LTTA.
"Wir haben uns dann entschlossen fünf Unterrichtssequenzen zu nehmen. Dann muss man solche Themen nehmen, die man gut prüfen kann. Das heißt, das Fach Deutsch, das ja bekanntermaßen große Probleme bereitet bei der Notengebung, auch bei Prüfverfahren, das fiel weg. Aber dann hatten wir in der dritten Klasse sehr schöne Themen aus dem Fach Mathematik und aus dem Sachkundeunterricht."
Stromkreis, Auge oder Ohr, rechter Winkel, geometrische Körper und Wahrscheinlichkeiten waren die Themen. Der Psychologe hat dazu entsprechende Schulleistungstests erarbeitet, mit jeweils einem Vor- und einem Nachtest. Die Ergebnisse haben ihn selbst überrascht.
"Es gibt da einen sehr, sehr großen Unterschied im Vortest und Nachtest mit einer unglaublichen Differenz."
Eine Messlatte ist die Signifikanz. Sie besagt, inwieweit das Ergebnis unabhängig ist vom Zufall. Die niedrigste Stufe ist 0,01 bis 0,05.
"Aber ich hab hier sogar Ergebnisse, die auf dem 1 Promille-Niveau signifikant sind und das will eine ganze Menge heißen. Wir haben in allen fünf einzelnen Themen Unterschiede auf dem 1 Promille-Niveau. Also die Kinder, die LTTA unterrichtet sind im Wissenszuwachs den anderen Kindern sehr stark überlegen. Das ist der Effekt unmittelbar nach dem Unterricht."
Doch das genügt nicht. Lernen sollte nachhaltig sein. Auch das hat der Würzburger Lernpsychologe überprüft mit einem Leistungstest am Ende des Schuljahres.
Langzeiteffekt ist positiv ausgefallen
Dieser Langzeiteffekt ist eigentlich noch größer. Es gibt dann noch eine sogenannte Effektstärke, die ist hier ganz besonders groß. Effektstärken sind dann immer groß, wenn sie bei 0,6 oder 0,8 liegen und diese liegt sogar über 1 - liegt bei 1.13. Also gerade dieser Langzeiteffekt, der natürlich sehr für die Methode spricht, ist ganz besonders groß ausgefallen.
"Wie man Formen und Figuren darstellen soll mit Bewegungen, ich hab erst nicht gedacht, wie es gehen soll. Aber jetzt weiß ich´s - schön. / Ich hab gedacht am Anfang es wird langweilig. / Ich konnte es mir auch nicht vorstellen am Anfang, aber jetzt bin ich überrascht, dass wir es doch konnten. Mit dem Dominik, wie wir getanzt haben, das hat mir sehr gefallen."
Der Tänzer Dominik Blank ist künstlerischer Ausbildungsleiter für LTTA. Er hat mit Grundschülern den Stromkreis getanzt und in der Oberstufe Zwölftklässlern die Todesfuge von Paul Celan näher gebracht. Er baut mit den Körpern recht Winkel und lehrt Kinder tänzerisch das Gerundium im Englischen. Ähnliches machen seine Künstlerkollegen mit Musik, Malen, Gestalten oder Bauen. Dominik Blank erlebt LTTA als eine Bereicherung seiner rein tänzerischen Arbeit. Hier geht es um Kunst im Dienste der Lehrplanziele. Die Wege dahin erarbeiten sich Künstler und Lehrer gemeinsam.
"Grammatik- Themen sind für mich immer die größte Herausforderung, also englische oder französische Grammatik. Da muss ich mich selber wieder in den Stoff einarbeiten und dann als zweiten Schritt, wie kann ich jetzt die tänzerische Verbindung herstellen."
Kein modernes Hexenwerk
In der Regel wird die erste und manchmal auch die zweite Einheit eines neuen Themas mit LTTA vorrangig durch den Künstler gestaltet, anschließend arbeitet die Lehrerin allein weiter. Aber LTTA ist mehr als ein Impuls, sagt Hans-Peter Trolldenier. Dabei spielt die Motivation eine wichtige Rolle. In seiner Studie, die neben dem Lerneffekt auch die Lernmotivation überprüft hat, ist LTTA allerdings nur in drei der fünf Themenbereiche motivierender als herkömmlicher Unterricht. Das liege auch daran, so der Wissenschaftler, dass Themen wie die Geometrie von Grundschullehrern sowieso schon anschaulich dargestellt würden. Da sei der Unterschied einfach gering. Überhaupt sei LTTA zwar sehr erfolgreich, aber kein modernes Hexenwerk.
"Man darf sowieso nicht sagen, dass LTTA jetzt irgendwas macht, was es sonst nirgendwo gibt. Das typische an LTTA ist die Organisation, die Konzentration und die Durchführung vieler Themen und die Einbeziehung von Künstlern, das haben wir ja sonst nicht. Eine hohe Anschaulichkeit haben wir im Grundschulunterricht sowieso, nur bei LTTA ist das konzentrierter und gesteigerter. Ich glaube, dass das ein wesentlicher Grund für den Effekt ist."
Die Koordinatorin Petra Weingart betont vor allem das Lernen mit vielen Sinnen gleichzeitig:
"Es gibt nur wenige Schüler, die präferenzmäßig über Sprache lernen, alle anderen lernen mehr oder weniger über einen oder mehrere ihrer Sinne. Die Optik, die Akustik oder olfaktorisch, also lernen mit dem ganzen Körper über den Tanz oder mit bildender Kunst. Das ist ein ganz gravierender Punkt. Ich erreich mehr Schüler auf diese Art und Weise, sie fühlen sich angesprochen im eigenen Handeln entweder mit dem eigenen Körper oder mit Materialien, können sich die Lehraufgaben besser selbst erarbeiten und sie werden dabei auch selbstständig im Lernen."
Lernen durch Bewegung
Ein Erklärungsmodell liefert beispielsweise die duale Kodierungstheorie des amerikanischen Psychologen Allan Paivio, der die Einteilung des Lernens nach einem visuellen und einem auditiven Kanal geprägt hat.
Man hat ja in der neueren Medienpsychologie da durchaus auch Studien dazu. Und man weiß von diesen grundlegenden Studien, dass das Aufnehmen über beide Sinneskanäle das Lernen verbessert. Und das geschieht bei LTTA, da wird so breit gearbeitet, dass immer ein auditiver und ein visueller Kanal da ist. Aber es ist noch mehr. Es ist auch Lernen durch Bewegung und Lernen mit dem eigenen Körper.
Auch die Gedächtsnispsychologie liefert Anhaltspunkte dafür, warum LTTA eine so erfolgreiche Lernmethode ist. Das episodische Gedächtnis wird durch aktives Erleben aktiviert, erklärt der Würzburger Lernpsychologe Trolldenier.
"Die Kinder erleben bei den Stunden mit LTTA eine Menge Dinge. Das zeigen auch die Antworten, die sie auf die Fragen geben. Und dieses Erleben mit dem Körper ist ein zweiter großer Aspekt."
Auch das Ortslernen, also die Verbindung von Lernstoff mit konkreten Orten, wird angesprochen und über allem schwebt die hohe Anschaulichkeit als ein erfolgreiches didaktisches Prinzip. Die Schüler der Abschlussklasse an der Konrad-von Querfurt-Mittelschule hatten Spaß und sie konnten alle die Flächenformeln wieder aus ihrem Gedächtnis hervorkramen.
"Ich fand es war eine andere Art, Mathe zu erleben und aufregend den Unterricht anders zu gestalten, auch mit anderen Ideen als nur jetzt mit Tafelunterricht, sag ich jetzt mal. Also für mich war es leichter die Sachen zu verstehen und auch zu merken, weil man dann auch noch so die Bewegungen im Kopf hatte. Die Formel für ein Quadrat, da hat man das noch im Kopf, wie das aussah."
Eine gute Investition
Die 17 Schulen in Unterfranken haben inzwischen mit LTTA ein ganz eigenes Schulprofil erworben. Ihre Projekte finanzieren sie über Sponsoren. Denn immerhin belaufen sich die Kosten auf 1500 Euro pro Klasse. Eine gute Investition, meint der Lernpsychologe Hans-Dieter Trolldenier:
"Aufgrund der von uns erhobenen Daten kann man LTTA vom Lerneffekt und von der Lernmotivation her gut empfehlen für diejenigen, die es von sich aus aufgreifen möchten. Mann muss auch dahinter stehen. Es ist eine so besondere Methode, die auch so viel Einsatz und Gewöhnung und Umstellung erfordert, dass man dazu ein hohes Maß an Bereitschaft braucht."