Gerd Breker: Die Gewerkschaft der Lokführer ist aus der bisherigen Tarifgemeinschaft ausgebrochen. Sie will einen eigenständigen Vertrag mit der Bahn. Nach den Ärzten, den Piloten also eine weitere Berufsgruppe, die etwas Besonderes für sich beansprucht. Der Trend hat sich umgekehrt. Hieß es vormals "je größer um so wirkungsvoller", so heißt es nun offenbar "die an den Schalthebeln machen es uns ja gerade vor". Nun heißt es offenbar "jeder für sich". Die Gewerkschaft ver.di und der Beamtenbund hatten die Presse in Berlin geladen, um über Effizienz im öffentlichen Dienst zu berichten, doch die aktuelle Tarifauseinandersetzung vor Gericht und auch neben den Gerichten wirft ihre eigenen Schatten.
Am Telefon begrüße ich nun den Tarifexperten des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft hier in Köln, Hagen Lesch. Guten Tag Herr Lesch!
Hagen Lesch: Guten Tag!
Breker: Herr Lesch, Ihre Sicht der Dinge. Das Arbeitsgericht in Nürnberg, das hat schon das Streikrecht ausgehöhlt?
Lesch: Ja. Ich kann vor allen Dingen aus ökonomischer Sicht nicht sehen, warum ein Streik bei der Bahn jetzt einen größeren wirtschaftlichen Schaden verursacht als ein Streik der IG Metall in der Metallindustrie. Das ist ja die Industrie, die eigentlich sonst am häufigsten bestreikt wird. Es ist noch nie ein Gericht auf die Idee gekommen, der IG Metall einen Streik zu untersagen. Die Gerichte sollten meines Erachtens nicht darüber befinden, wie stark ein Streik ist oder welche Auswirkungen ein Streik hat. So wie die GDL das angekündigt hatte wäre der von uns auch geschätzte potenzielle mögliche Schaden sicherlich nicht eingetreten, weil ja nur stundenweise gestreikt worden wäre. Also eine Entscheidung, die ich wirklich nicht so ganz aus ökonomischer Sicht nachvollziehen kann.
Breker: Es ist auch Ihre Sicht, dass Tarifverhandlungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer da sind und nicht für Gerichte?
Lesch: Das ist richtig, wobei da muss man natürlich auch die Bahn mit ins Gebet nehmen. Ich bin auch der Meinung, die Bahn sollte diese gerichtlichen Verfügungen nicht unbedingt als strategisches Instrument der Tarifverhandlungen einsetzen. Es muss wirklich überlegt werden, wie man die GDL wieder einfängt und letztlich mit ihr einen Tarifabschluss erzielt. Der Streit schwelt seit vier Jahren und im Prinzip ist in den vier Jahren vieles versäumt worden.
Breker: Der Arbeitgeberseite müsste doch eigentlich eine Diversifizierung der Gewerkschaften recht sein. Also wenn die GDL nun aus der Tarifgemeinschaft ausgebrochen ist, dann ist das doch eigentlich im Sinne der Arbeitgeber?
Lesch: Nein! Hier muss ich die Bahn schon in Schutz nehmen, denn das Problem ist ja, dass sich bestimmte Funktionseliten hier das Recht herausnehmen, Tarifforderungen zu stellen, die jenseits von gut und böse liegen. Die Bahn muss befürchten, dass mit dem Ausbruch der GDL eine Art Hochschaukeln stattfindet, dass möglicherweise entweder die anderen beiden Bahngewerkschaften einfach auch aggressiver in die Tarifverhandlungen reingehen müssen oder sich sogar in der Bahn noch weitere Berufsgruppen möglicherweise organisieren. Das ist natürlich nicht von heute auf morgen möglich. Aber gleichwohl der Wettbewerb durch diese Berufsgewerkschaften zwingt die anderen Gewerkschaften dazu, einfach aggressiver in die Tarifverhandlungen reinzugehen, um keine Mitglieder zu verlieren. Das kann nicht im Sinne der Lohnpolitik sein und auch nicht im Sinne eines Unternehmens.
Breker: Das heißt der Flächentarifvertrag, wie wir ihn kennen, entschwindet mehr und mehr in seiner Bedeutung?
Lesch: Die große Gefahr ist, wenn jetzt die Gewerkschaften sich zersplittern, dann habe ich keine branchenweite einheitliche Friedenspflicht mehr. Das ist ja gerade das Gute am Flächentarifvertrag, dass die Unternehmen wissen, ich habe jetzt branchenweit Planungssicherheit für einen bestimmten Zeitraum. Wenn ich jetzt viele Tarifverträge nebeneinander habe und die sind nicht mehr synchronisiert, dann habe ich diese Planungssicherheit eben nicht mehr und damit schwindet natürlich auch die Attraktivität des Flächentarifvertrages und gleichzeitig nimmt das auch wieder die Bedeutung der Branchengewerkschaften, stellt die wieder ein Stück weit in Frage. Insofern ist diese Entwicklung im Hinblick auf die Stabilität und die Attraktivität des Flächentarifvertrages höchst bedenklich.
Breker: Im Sinne der Arbeitgeber?
Lesch: Nicht nur im Sinne der Arbeitgeber; auch im Sinne der Branchengewerkschaften, weil die Branchengewerkschaften leben ja gerade vom Flächentarifvertrag. Wenn immer mehr Arbeitgeber als Antwort auf die Zersplitterung sagen, warum sollen wir den Flächentarifvertrag überhaupt noch mitmachen, wenn wir sowieso keine Friedenspflicht mehr haben, dann treten die aus und der Geltungsbereich der Tarifverträge schwindet. Dann muss die Gewerkschaft dann wieder hergehen, sowohl die Branchen- wie auch die Berufsgewerkschaft, und im Einzelfall bei ausgetretenen Unternehmen einen Haustarifvertrag erstreiken. Das kann auch nicht im Interesse der Gewerkschaften sein, dass man dann ständig zum Kampfmittel greifen muss.
Breker: Die Eilmeldungen, Herr Lesch, sagen, dass die Lokführergewerkschaft Heiner Geißler als Vermittler vorschlägt. Wäre das jemand, der auch aus Ihrer Sicht wirklich vermitteln könnte zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen, die nicht nur unterschiedliche Interessen, sondern auch unterschiedliche Persönlichkeiten darstellen?
Lesch: Wenn ich mich richtig erinnere, ist Heiner Geißler schon auch im Baugewerbe als Schlichter aufgetreten. Er hat also eine gewisse Erfahrung, was zu begrüßen ist. Das Problem nur bei diesem Tarifkonflikt liegt natürlich anders. Wir haben einen Tarifkonflikt, wie letztes Jahr beim Marburger Bund oder vor sechs Jahren bei den Piloten, wo es der Gewerkschaft nicht nur um höhere Löhne geht, sondern darum, endlich als eigenständige Tarifpartei anerkannt zu werden. Man will den eigenen Tarifvertrag bei der GDL. Das macht die Schlichtung viel, viel schwerer, weil die Bahn dies kategorisch ablehnt, und ich sehe jetzt nicht die Kompromisslinie. Bei 4 Prozent und 8 Prozent Lohnangebot und Lohnforderung kann man sich irgendwo treffen, aber bei der Frage es gibt einen Tarifvertrag oder nicht für die GDL gibt es in dem Sinne keine Kompromisslinie. Eine Seite muss sich dann letztlich durchsetzen. Möglicherweise besteht der Ausweg darin, dass die GDL und auch der Schlichter das Bahn-Angebot annimmt, mit allen Gewerkschaften die Tarifstrukturen eben zu überdenken und der Bahn eine moderne Tarifstruktur zu geben, so wie das in der Privatwirtschaft etwa in der Metallindustrie auch schon gemacht worden ist. Möglicherweise kann man die GDL dadurch, durch dieses Angebot dann einfangen.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft hier in Köln Hagen Lesch. Herr Lesch, danke für dieses Gespräch!
Lesch: Gerne.
Am Telefon begrüße ich nun den Tarifexperten des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft hier in Köln, Hagen Lesch. Guten Tag Herr Lesch!
Hagen Lesch: Guten Tag!
Breker: Herr Lesch, Ihre Sicht der Dinge. Das Arbeitsgericht in Nürnberg, das hat schon das Streikrecht ausgehöhlt?
Lesch: Ja. Ich kann vor allen Dingen aus ökonomischer Sicht nicht sehen, warum ein Streik bei der Bahn jetzt einen größeren wirtschaftlichen Schaden verursacht als ein Streik der IG Metall in der Metallindustrie. Das ist ja die Industrie, die eigentlich sonst am häufigsten bestreikt wird. Es ist noch nie ein Gericht auf die Idee gekommen, der IG Metall einen Streik zu untersagen. Die Gerichte sollten meines Erachtens nicht darüber befinden, wie stark ein Streik ist oder welche Auswirkungen ein Streik hat. So wie die GDL das angekündigt hatte wäre der von uns auch geschätzte potenzielle mögliche Schaden sicherlich nicht eingetreten, weil ja nur stundenweise gestreikt worden wäre. Also eine Entscheidung, die ich wirklich nicht so ganz aus ökonomischer Sicht nachvollziehen kann.
Breker: Es ist auch Ihre Sicht, dass Tarifverhandlungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer da sind und nicht für Gerichte?
Lesch: Das ist richtig, wobei da muss man natürlich auch die Bahn mit ins Gebet nehmen. Ich bin auch der Meinung, die Bahn sollte diese gerichtlichen Verfügungen nicht unbedingt als strategisches Instrument der Tarifverhandlungen einsetzen. Es muss wirklich überlegt werden, wie man die GDL wieder einfängt und letztlich mit ihr einen Tarifabschluss erzielt. Der Streit schwelt seit vier Jahren und im Prinzip ist in den vier Jahren vieles versäumt worden.
Breker: Der Arbeitgeberseite müsste doch eigentlich eine Diversifizierung der Gewerkschaften recht sein. Also wenn die GDL nun aus der Tarifgemeinschaft ausgebrochen ist, dann ist das doch eigentlich im Sinne der Arbeitgeber?
Lesch: Nein! Hier muss ich die Bahn schon in Schutz nehmen, denn das Problem ist ja, dass sich bestimmte Funktionseliten hier das Recht herausnehmen, Tarifforderungen zu stellen, die jenseits von gut und böse liegen. Die Bahn muss befürchten, dass mit dem Ausbruch der GDL eine Art Hochschaukeln stattfindet, dass möglicherweise entweder die anderen beiden Bahngewerkschaften einfach auch aggressiver in die Tarifverhandlungen reingehen müssen oder sich sogar in der Bahn noch weitere Berufsgruppen möglicherweise organisieren. Das ist natürlich nicht von heute auf morgen möglich. Aber gleichwohl der Wettbewerb durch diese Berufsgewerkschaften zwingt die anderen Gewerkschaften dazu, einfach aggressiver in die Tarifverhandlungen reinzugehen, um keine Mitglieder zu verlieren. Das kann nicht im Sinne der Lohnpolitik sein und auch nicht im Sinne eines Unternehmens.
Breker: Das heißt der Flächentarifvertrag, wie wir ihn kennen, entschwindet mehr und mehr in seiner Bedeutung?
Lesch: Die große Gefahr ist, wenn jetzt die Gewerkschaften sich zersplittern, dann habe ich keine branchenweite einheitliche Friedenspflicht mehr. Das ist ja gerade das Gute am Flächentarifvertrag, dass die Unternehmen wissen, ich habe jetzt branchenweit Planungssicherheit für einen bestimmten Zeitraum. Wenn ich jetzt viele Tarifverträge nebeneinander habe und die sind nicht mehr synchronisiert, dann habe ich diese Planungssicherheit eben nicht mehr und damit schwindet natürlich auch die Attraktivität des Flächentarifvertrages und gleichzeitig nimmt das auch wieder die Bedeutung der Branchengewerkschaften, stellt die wieder ein Stück weit in Frage. Insofern ist diese Entwicklung im Hinblick auf die Stabilität und die Attraktivität des Flächentarifvertrages höchst bedenklich.
Breker: Im Sinne der Arbeitgeber?
Lesch: Nicht nur im Sinne der Arbeitgeber; auch im Sinne der Branchengewerkschaften, weil die Branchengewerkschaften leben ja gerade vom Flächentarifvertrag. Wenn immer mehr Arbeitgeber als Antwort auf die Zersplitterung sagen, warum sollen wir den Flächentarifvertrag überhaupt noch mitmachen, wenn wir sowieso keine Friedenspflicht mehr haben, dann treten die aus und der Geltungsbereich der Tarifverträge schwindet. Dann muss die Gewerkschaft dann wieder hergehen, sowohl die Branchen- wie auch die Berufsgewerkschaft, und im Einzelfall bei ausgetretenen Unternehmen einen Haustarifvertrag erstreiken. Das kann auch nicht im Interesse der Gewerkschaften sein, dass man dann ständig zum Kampfmittel greifen muss.
Breker: Die Eilmeldungen, Herr Lesch, sagen, dass die Lokführergewerkschaft Heiner Geißler als Vermittler vorschlägt. Wäre das jemand, der auch aus Ihrer Sicht wirklich vermitteln könnte zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen, die nicht nur unterschiedliche Interessen, sondern auch unterschiedliche Persönlichkeiten darstellen?
Lesch: Wenn ich mich richtig erinnere, ist Heiner Geißler schon auch im Baugewerbe als Schlichter aufgetreten. Er hat also eine gewisse Erfahrung, was zu begrüßen ist. Das Problem nur bei diesem Tarifkonflikt liegt natürlich anders. Wir haben einen Tarifkonflikt, wie letztes Jahr beim Marburger Bund oder vor sechs Jahren bei den Piloten, wo es der Gewerkschaft nicht nur um höhere Löhne geht, sondern darum, endlich als eigenständige Tarifpartei anerkannt zu werden. Man will den eigenen Tarifvertrag bei der GDL. Das macht die Schlichtung viel, viel schwerer, weil die Bahn dies kategorisch ablehnt, und ich sehe jetzt nicht die Kompromisslinie. Bei 4 Prozent und 8 Prozent Lohnangebot und Lohnforderung kann man sich irgendwo treffen, aber bei der Frage es gibt einen Tarifvertrag oder nicht für die GDL gibt es in dem Sinne keine Kompromisslinie. Eine Seite muss sich dann letztlich durchsetzen. Möglicherweise besteht der Ausweg darin, dass die GDL und auch der Schlichter das Bahn-Angebot annimmt, mit allen Gewerkschaften die Tarifstrukturen eben zu überdenken und der Bahn eine moderne Tarifstruktur zu geben, so wie das in der Privatwirtschaft etwa in der Metallindustrie auch schon gemacht worden ist. Möglicherweise kann man die GDL dadurch, durch dieses Angebot dann einfangen.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft hier in Köln Hagen Lesch. Herr Lesch, danke für dieses Gespräch!
Lesch: Gerne.