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Lessingtage in Hamburg
Afrikas männliche Machtstrukturen

Afrika steht mit seinem Kulturerbe im Zentrum des Interesses. In den Museen wird über Rückgabe diskutiert, in Filmen wie "Black Panther" ein selbstbewusstes Afrika gezeigt. Bei den Lessingtagen in Hamburg steht ein anderer Aspekt im Vordergrund: Wie ist es um die Gleichstellung von Mann und Frau bestellt?

Von Michael Laages | 23.01.2019
    Eine Szene aus "Les Bonnes / Die Zofen" bei den Lessingtagen 2019: Zwei Schauspielerinnen auf der Bühne: die eine tanzt, die andere schaut zu.
    "Les Bonnes / Die Zofen" bei den Lessingtagen 2019 in Hamburg (Thalia Theater / Compagnie Dumanlé )
    Ein kurzes Vorwort sei erlaubt: Vor 40 Jahren, im November 1978, lernte deutsches Publikum bei den Jazztagen in Berlin den Musiker Fela Anikulapo Kuti kennen, ein Idol in Nigeria und für die damalige Bewegung schwarzen Selbstbewusstseins in der Welt. Vielen gilt der 1997 gestorbene Fela Kuti noch heute als Ikone. Nach Berlin kam er damals mit zwei Dutzend Sängerinnen und Tänzerinnen, "seinen Frauen", wie er sagte. In Pressekonferenzen hatten sie zu schweigen. Kuti schimpfte über blanken Rassismus, wenn ein früh-feministisch bewegtes Berliner Publikum dieses vorzivilisatorische Macho-Gehabe scharf kritisierte: Das sei seine Kultur, da habe ihm kein Weißer und keine Weiße reinzureden.
    Frauen zwischen Tradition und Selbstbestimmung
    Warum diese Erinnerung? Weil das Gastspiel von "Hear Word!" mit Frauengeschichten aus dem Nigeria von heute den Eindruck erweckt, als habe sich in den vergangenen vier Jahrzehnten überhaupt gar nichts getan.
    Ifeoma Fafunwa, die Regisseurin, bringt zehn eminent präsente Frauen auf die Bühne und lässt sie Alltagsgeschichten erzählen. Von jungen Nigerianerinnen, die zunächst vernünftigerweise angehalten werden, nicht bloß mit weiblichen Reizen um sich zu schmeißen, sondern auf gute Ausbildung und fundierten sozialen Status zu achten. Die von den selben familiären Ratgeberinnen aber prompt für mangelndes Engagement kritisiert werden, wenn sie den Absprung verpassen und mit 38 immer noch nicht verheiratet und ohne Kinder sind. Wenn sie aber beides haben, womöglich gar trotzdem erfolgreiche Geschäftsfrauen geworden sind, werden sie missachtet und misshandelt von Männern, deren Weltbild sich seit der Steinzeit um keinen Deut verändert hat - und eben auch in den 40 Jahren seit Fela Kulti nicht.
    Solidarisches Einverständnis des Publikums
    Die "Traditionen", denen die Frauen offenbar nach wie vor gehorchen müssen, sind voll von Widerspruch und Ungerechtigkeit. Und dass das "Naija Woman Talk True"-Ensemble aus Lagos in den kämpferischen Sequenzen zwischen den traurigen Zustandsbeschreibungen dagegen an agitiert und für Selbstbestimmung, auch beim Sex, auf die Bühnen-Barrikade geht, bejubelt deutsch-weißes Publikum sicher auch darum so laut, weil es meinen mag, diese Schlacht schon zu Ende gekämpft zu haben. Als erinnerte es sich an eigene Agitprop-Shows von gestern. Das demonstrativ solidarische Einverständnis jedenfalls zwischen Bühne und Kundschaft klingt in Hamburg sehr laut - und ziemlich selbstzufrieden. Das wird in Boston und New York, wo die munter musikalische Show schon gastierte, kaum anders gewesen sein.
    Dies war das andere Gastspiel beim Hamburger Schwerpunkt Afrika: Die "Compagnie Dumanié" hat sich "Die Zofen" angeeignet, den Theatertext des weißen Franzosen Jean Genet, der stets von sozialen Grenzgängen und ziemlich zwanghaften Mustern der Macht erzählte. Noch interessanter wäre diese Begegnung übrigens gewesen, wenn Künstlerinnen und Künstler vom afrikanischen Kontinent sich mit Genets Stück "Les Nègres" eingelassen hätten, zu deutsch: "Die Neger".
    In der Inszenierung zu zurückhaltend
    Die "Zofen"-Inszenierung von Souleymane Sow jetzt in Hamburg ist derart zurückhaltend, dass sie sogar auf den Auftritt von "Madame" verzichtet, die die beiden Bediensteten Claire und Solange ja so hingebungsvoll hassen. Immerhin könnte Madame eine weiße Madame sein, und der ewige Konflikt wäre mit einem Schlag präsent.
    So aber bleiben Eve Sandrine Guehi und Rebecca Tindwindé Kompaore, die beiden sympathisch-jungen Schauspielerinnen der Inszenierung, eher brav und eng am Material. Je eine verwandelt sich vor der anderen für kurze Zeit und durch Verkleidung in die abwesende "Madame". Der Text ist klug verknappt und von Liedern der beiden Frauen durchzogen. Dann hupt ein Auto draußen, und die Herrin scheint schon auf der Treppe zu sein – da räumen sie schnell auf und wechseln die Rollen, als die Herrin doch noch nicht kommt. Diesmal, im zweiten Anlauf, gelingt fatalerweise auch der Mord, der immer Teil des Spiels der beiden ist.
    Jean Genet, der homosexuelle Outcast im Nachkriegs-Paris, hatte sich natürlich Männer als Zofen vorgestellt. Wäre auch das möglich an der Elfenbeinkünste, im Lande "Cote d’Ivoire" von heute?