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Monica Ali: "Liebesheirat"
Kulturkampf ohne Kampfgeschrei

Culture Clash im Familienformat: Monica Ali unterläuft mit ihrem Roman "Liebesheirat", der von einer multikulturellen Beziehung erzählt, bewusst alle Klischees zu "gender" und "race". Dabei verzettelt sie sich ein wenig.

Von Gisa Funck |
Monica Ali: "Liebeshochzeit"
Das filmreife Culture-Clash-Drama "Liebesheirat" powert sich beim Empowerment zu sehr aus. Zu viele Trendthemen, zu viel Gequatsche. ((Portrait: Yolande de Vries / Buchcover: Klett-Cotta))
Dieser wuchtige Roman beginnt mit einem Setting wie aus einer Fernseh-Comedy: Nämlich mit dem höchst spannungsreichen Aufeinandertreffen zweier Familien, wie man sie sich kaum unterschiedlicher vorstellen kann. Auf der einen Seite: Die vor knapp dreißig Jahren aus Kalkutta nach London eingewanderten Ghoramis – eine vierköpfige, muslimische Familie mit der 26jährigen, Medizin studierenden Tochter Yasmin, die als angehende Ärztin der ganze Stolz ihrer Eltern ist.

Auf der anderen Seite: Yasmins Verlobter – der knapp dreißigjährige, weiße Assistenzarzt Joe Sangster, der gutbürgerlich bei seiner alleinerziehenden Mutter Harriet aufgewachsen ist, einer Bücherschreibenden Radikalfeministin, die als junge Frau mit provokanten Nacktfotos Skandal-Berühmtheit erlangt hat.

Culture-Clash im Familienformat

Man schreibt das Jahr 2016. Das Krisenjahr des britischen Brexits und eines wiedererstarkenden englischen Patriotismus. Auf den ersten Blick nicht unbedingt der günstigste Zeitpunkt für eine titelspendende, interkulturelle Liebesheirat von Joe und Yasmin, die sich an demselben Londoner Krankenhaus kennengelernt haben. Nun wollen sie erstmals ihre Eltern miteinander bekannt machen.

Natürlich ein gewagtes Unterfangen, wie Alis Hauptfigur Yasmin gleich zu Anfang der Geschichte besorgt feststellt. Schließlich, so überlegt die Migrantin zweiter Generation beunruhigt: Wie sollte bei einem derart disparaten Kulturhintergrund die Elternzusammenführung eigentlich nicht schiefgehen – und es nicht zu kränkenden Missverständnissen kommen, etwa beim Tabuthema Sex?

Angst vor dem Smalltalkthema Sex

„Im Haus der Familie Ghorami sprach man nicht über Sex. Wenn der Fernseher lief und es so aussah, als könnte dem keuschen, nach Kardamon duftenden Eigenheim eine Zungenkuss-Szene drohen, brachte man den schwarzen Kasten mit einem raschen Knopfdruck zum Schweigen. (...) Yasmin versuchte nicht mehr daran zu denken, doch das Problem ließ sich genauso wenig abschüttelnd wie die Nachbarskatze. (...) Joes Mutter Harriet Sangster war eine Bedrohung, weil sie die Familie Ghorami womöglich mit dem Thema Sex konfrontieren würde, und im Gegensatz zu dem Fernseher ließ sie sich nicht einfach durch einen Knopfdruck zum Schweigen bringen. Was würde geschehen, wenn Harriet morgen Abend darauf bestand, ihre Sammlung indischer Erotika zur Schau zu stellen? Oder wenn sie anfing, über eines ihre Lieblingsthemen zu reden, wie zum Beispiel die kulturelle Bedeutung der Schambehaarung? Bei dieser Vorstellung ballte Yasmin die Fäuste.“
Ganze dreißig Seiten lang steigert Monica Ali am Anfang ihres Romans die Erwartungshaltung, dass das Zusammentreffen von Yasmins aus Indien stammenden Eltern mit der feministischen Mutter ihres Verlobten Joe eigentlich nur zu einem Desaster führen kann. Dann endlich lässt sie ihre Überraschungsbombe platzen. Und siehe da: Bei dem angstvoll erwarteten Kultur-Clash im Mini-Format passiert? Nichts! Zumindest nichts Unangenehmes, Schmerzhaftes oder auch nur ansatzweise politisch Unkorrektes.
Ganz im Gegenteil. Völlig anders, als es sich Yasmin (und mit ihr die Leserin) vorher düster ausgemalt hat, kommt es beim Kennenlernabend zwischen der exaltierten Frauenrechtlerin Harriet Sangster und den konservativen Migranten-Eltern Ghorami weder zu peinlichen Gesprächspausen noch zu verstimmenden Missverständnissen. Es gibt keinen Streit, keinen Eklat, nichts. Stattdessen verstehen sich vor allem die beiden Mütter des Verlobungspaars – die saritragende Nur-Hausfrau Anisah Ghorami und die ironiegestählte Vorzeige-Feministin Harriet Sangster – auf Anhieb prächtig.

Erstaunlich viel postkoloniale Harmonie

Friede, Freude, Blumenkohl-Pakora: Die personale Erzählerin Yasmin und mit ihr die Leserschaft kommt bei so viel postkolonialer Harmonie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Umso mehr, als sich am Ende des Besuchs dann auch noch ausgerechnet die postmoderne Freiheitsaktivistin Harriet – und eben nicht Yasmins muslimische Mutter Anisah – vehement für eine traditionell islamische Trauung ihres Sohnes ausspricht: 
 „‚Ich hätte gern Ihre Meinung zu einem ganz bestimmten Thema gewusst‘, sagte Harriet zu Yasmins Vater Shaokat. (...)
‚Muslimische Hochzeiten werden in diesem Land nicht als legal angesehen. Aber was spricht dagegen? (...) Es sollte gleiche Rechte für alle geben.‘
Harriet brach eine Lanze für Gläubige, während sie doch selbst Atheistin war. Yasmin konnte nicht umhin, Harriet zu bewundern. (...)
‚Wie schwierig wäre es, die Dienste eines Imams in Anspruch zu nehmen?‘, fragte Harriet. (...) ‚Gar nicht schwierig‘, sagte Yasmins Mutter Anisah.
‚Nun, dann ist das also beschlossene Sache.‘
Harriet sang diese Worte geradezu.“
Schon in dieser frühen Szene wird klar, worauf es Ali in ihrer sechshundertseitigen Liebeschronik ankommt: Sie will damit vor allem an unseren gängigen Stereotypen und Vorurteilen beim Reizthema kulturelle Identität rütteln. Denn nicht nur Joes Mutter Harriet benimmt sich an dieser Stelle so, wie man es von ihr als linker, weißer Polit-Provokateurin nicht erwarten würde. Auch sonst fallen Alis Figuren in "Liebesheirat" regelmäßig aus ihren Rollenklischees und machen mehrfach verblüffende  Charakterwandlungen durch.

Niemand entspricht seinem Klischee

Ein komödiantischer Überraschungseffekt, der noch zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass es sich bei der Hauptfigur Yasmin Ghorami um eine romantische Schwärmerin handelt. Yasmin ist nämlich schon seit Kindertagen fest überzeugt davon, dass ihre Eltern Anisah und Shaokat sich einst in Kalkutta nur aus purer Herzenszuneigung geheiratet haben. Schließlich verstieß deren Eheschließung damals aufgrund völlig unterschiedlicher Klassenzugehörigkeiten radikal gegen jede Konvention. Während ihr Vater Shaokat schon mit 12 Jahren Vollwaise wurde und sich früh als bettelarmer Teeverkäufer durchschlagen musste, stammt ihre Mutter Anisah aus einer wohlhabenden muslimischen Geschäftsfamilie. Die Heirat der Eltern war also alles andere als standesgemäß. Genau dieser Makel aber macht sie in den Augen der Tochter unzweifelhaft romantisch: 
„Als Shaokat Anisah kennenlernte, war er nicht nur vollkommen mittellos, sondern würde auch bald obdachlos sein. Anisahs Vater, Hashim Hussein, war der Eigentümer von Hussein Industries  – eine Firma, die Bettlaken, Moskito-Netze, Decken, Handtücher und Uniformen herstellte. Shaokats Vater dagegen war ein landloser Feldarbeiter, der bei einer Cholera-Epidemie gestorben war. Aber beide verliebten sich trotzdem ineinander. So viel wusste Yasmin. Und als sie vierzehn war, bekam sie im Englischunterricht die Hausaufgabe, eine Geschichte zu schreiben. (...) Und Yasmin wusste sofort, worüber sie schreiben wollte. Sie kannte zwar noch immer nicht alle Einzelheiten, aber irgendwie wusste sie trotzdem alles Wesentliche. (...) Sie schrieb die Geschichte, wie sich ihre Eltern kennengelernt hatten, und als der Lehrer sagte, sie sei gut, kribbelte jedes einzelne Haar an ihrem Körper bis zu seiner Wurzel hinunter.“ 

Jane Austen für das 21. Jahrhundert

Yasmin hat sich also bereits im Alter von 14 Jahren ihren eigenen, romantischen Herkunftsmythos herbeifabuliert. Und es gehört zur genretypischen Tragik ihrer Education sentimentale, dass sich die schöne Geschichte von der angeblichen Liebesheirat ihrer Eltern dann natürlich notwendig als nicht ganz so schön und romantisch herausstellt.
Monica Ali weist im Pressetext zu ihrem Roman selbst darauf hin, dass sie sich dafür auch von den Klassikern der britischen Romantik-Ikone Jane Austen hat inspirieren lassen. Und das merkt man ihrer migrantischen Hauptfigur nun auch tatsächlich an. Denn ähnlich wie schon die Heiratskandidatinnen von Jane Austen verbringt auch Yasmin viel Zeit damit, ständig darüber nachzugrübeln, ob Joe auch wirklich der Richtige für sie ist. Also der eine, wahre Mister Right fürs Leben.  
Und so sind es dann letztlich auch nicht die Anfeindungen einer teilweise immer noch rassistischen, britischen Gesellschaft, die Yasmins interkulturelle Partnerschaft gefährden, sondern ihre eigenen, allzu rosigen Wunschvorstellungen von Liebe. Als romantische Schwärmerin vertut sich Yasmin nämlich nicht nur bei der Beurteilung ihrer Eltern. Sie schätzt auch ihren Verlobten Joe zunächst völlig falsch ein. Schließlich wirkt der als Karrierearzt der gehobenen Mittelschicht auf den ersten Blick wahrlich wie ein moderner Traumprinz. Nicht genug damit, dass Joe attraktiv, witzig und spendabel ist. Er benimmt sich auch noch geradezu mustergültig respektvoll gegenüber seiner migrantischen Freundin und deren Familie.

Allzu viele Trendthemen von Brexit bis Burnout

Kurzum: Joe entspricht äußerlich ziemlich exakt Yasmins Wunschbild vom perfekten Ehemann. Bis sie dann schmerzhaft erkennen muss, dass auch der scheinbar perfekte Joe seine weniger perfekten Schattenseiten hat. Denn Joe hält schon länger ein schweres Suchtproblem geheim und ist deswegen in psychotherapeutischer Behandlung.     

Man könnte Alis „Liebesheirat“ als eine Art Jane-Austen-Adaption fürs multikulturelle 21. Jahrhundert bezeichnen, angereichert mit so ziemlich allen Trendthemen, die einem zu unserer Gegenwartsgesellschaft vor der Corona-Pandemie einfallen. Denn es geht in dieser Liebesstory längst nicht nur um Herzens- und Heiratszweifel und um den derzeit hitzig diskutierten Kulturkampf.

Nein, es geht in "Liebesheirat" auch noch um vieles andere mehr. Allzu vieles, muss man leider sagen. So wird zum Beispiel auch der Pflegenotstand im britischen Gesundheitssystem thematisiert. Dazu der Brexit, Hasskommentare im Internet, Online-Dating, Sexsucht, emotionaler Inzest und die zunehmende Burnout-Gefahr – sowie die Frage, wie ein zeitgemäßer Feminismus heute überhaupt noch aussehen kann. A little bit too much!

Auch noch eine identitätspolitische Literaturdebatte

Und als wäre das nicht alles schon Diskussionsstoff genug, taucht am Rande dann auch noch die ebenfalls in Deutschland aktuell geführte Literaturdebatte auf, wie authentisch man heute als Autor oder Autorin in Büchern von sich persönlich schreiben sollte – oder vielleicht sogar muss.
Zu mehr Selbstentblößung zumindest rät die identitätspolitisch auf der Höhe der Zeit agierende Starpublizistin Harriet gleich mehrfach einem jüngeren Schreibkollegen. Der sucht schon länger nach einem Verlag für seinen druckfertigen Öko-Thriller. Bislang allerdings ohne Erfolg. Was nach Harriets Meinung vor allem daran liegt, dass der Kollege zu wenig aus seinem Trumpf-Status als schwarzer Autor macht:
„‚Nathan’, sagte Harriet, ‚dürfte ich dir einen kleinen Rat geben, was deine Karriere angeht?‘
 ‚Natürlich. Nur zu.‘
‚Du hast Talent. Aber du setzt dein Talent an der falschen Stelle ein. Was ich damit sagen will – du schreibst im falschen Genre.‘
Nathan legte seine langen schmalen Hände auf den Tisch und presste die Finger zusammen. ‚Aber Thriller verkaufen sich doch gut!‘, widersprach er.
‚Natürlich darfst du schreiben, worüber du willst‘, sagte Harriet. ‚Aber wenn du veröffentlichen willst, dann könntest du vielleicht mehr erreichen, wenn du dich auf einen anderen Bereich konzentrierst. Also wenn ich du wäre, würde ich mir eine andere Geschichte suchen. Eine, die ein bisschen mehr mit deinen eigenen Problemen zu tun hat.‘
‚Mit meinen eigenen Problemen?‘, wiederholte Nathan fragend.
Weil er schwarz ist, dachte Yasmin. Aber sie war nicht mutig genug, Harriet zur Rede zu stellen.“
Nicht nur an dieser Stelle ihres Romans kommt Ali auf den latenten Rassismus zu sprechen, der darin steckt, dass selbsternannte Tugendwächterinnen wie Harriet sich heutzutage öfter übergriffig anmaßen, als sogenannte gute Weiße am besten zu wissen, was richtig für ihre schwarzen Mitbürger ist.

Der Roman unterläuft Wokeness und Ideologie 

Anders als den ideologischen Hardlinern beim Thema Identitätspolitik aber geht es der 1967 geborenen Schriftstellerin in "Liebesheirat" nicht darum, mit mahnendem Zeigefinger moralische Schuldkärtchen zu verteilen. Sie will stattdessen erzählerisch aufzeigen, wie komplex und oft genug widersprüchlich jeder einzelne Mensch ist. Und wieso man eine Persönlichkeit nicht allein nach ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religionszugehörigkeit oder sexuellen Präferenz beurteilen kann.
Genau diesen humanistischen Einwand gegen eine allzu ideologisch heiß laufende Gender-und Race-Debatte versucht auch Yasmin einmal ihrer woken Schwiegermutter in spe, Harriet Sangster, näherzubringen. Beide schauen sich in dieser Szene gemeinsam einen Fernsehauftritt von Yasmins Freundin Rania an, einer kopftuchtragenden Promi-Muslima, die sich für mehr Religionstoleranz einsetzt:
„‚Deine Freundin hat echt Mumm’, sagte Harriet zu Yasmin.
‚Sie ist großartig. In diesem Land herrscht ein enormer gesellschaftlicher Druck, sich kulturell entwurzeln zu lassen, und ich ziehe den Hut vor ihr, dass sie sich diesem Druck nicht beugen will. Dass sie an ihrer Authentizität festhält.‘
‚Was meinst du mit Authentizität?‘, fragte Yasmin.
‚Es heißt, dass sie ihre eigene Wahrheit lebt, ihre eigene Geschichte schreibt, dass sie ihrer muslimischen Identität treu bleibt‘, antwortete Harriet. ‚Findest du, dass sie in irgendeiner Form nicht authentisch ist?‘
‚Nein‘, sagte Yasmin. ‚Aber ich meine, dass du Rania gar nicht kennst und daher auch nicht beurteilen kannst, was für ein Mensch sie ist.‘
‚Dann klär’ mich doch mal auf, Yasmin‘, meinte Harriet herausfordernd.
Yasmin wusste nicht, ob sie es erklären konnte. (...) Aber warum sollte das Tragen eines Hidschabs heißen, dass man seine Wahrheit lebte. Rania hatte viele Wahrheiten und nicht alle wurden dadurch sichtbar gemacht, dass sie sich ein Stück Stoff um den Kopf wickelte.
‚Wenn Rania im Iran leben würde‘, sagte Yasmin schließlich, ‚würde sie sich der Anti-Hidschab-Bewegung anschließen und sich das Kopftuch herunterreißen. Sie würde beim Autofahren ihre Haare im Wind flattern lassen und ein Foto davon in den Sozialen Medien posten.‘ Harriet lachte. 
An Stellen wie diesen liest sich „Liebesheirat“ wie ein zwar humorvolles, aber auch flammendes Plädoyer dafür, den Begriff der kulturellen Identität nicht ständig als politisches Totschlagargument zu missbrauchen. Manchmal allerdings übertreibt es Ali dann auch in ihrem humanistischen Furor, wirklich jede Figur in ihrer ganzen Vielfältigkeit zu zeigen und wirklich jede unbedingt aus dem Stereotyp ausbrechen zu lassen. Etwa dort, wo Yasmins bengalische Mutter Ansiah nach einem Streit mit Vater Shaokat das Haus verlässt, um bei ihrer neuen Freundin Harriet in Primrose Hill einzuziehen.

Übertrieben viel Empowerment

Hier, inspiriert vom neuen emanzipatorischen Umfeld, wandelt sich die bis dahin nie aufmuckende Hausfrau dann doch etwas arg wundergleich zu einer selbstständigen Unternehmerin. Und nicht nur das: Die Freiheitsluft schnuppernde Anisah beginnt auch noch eine Affäre mit einer lesbischen Performance-Künstlerin. So viel emanzipatorisches Empowerment wirkt dann doch übertrieben. Überhaupt krankt Alis durchaus vergnüglicher Pageturner, der hauptsächlich aus Dialogen besteht, insgesamt schlicht daran, dass er letztlich von allem zu viel hat. Zu viel Gequatsche. Zu viele Figuren. Zu viele, ständig neu auftauchende Problemlagen. Und auch: zu viel Melodramatik. Man merkt "Liebesheirat" an, dass sich Ali hiermit nach zehn Jahren Publikationspause als Autorin unbedingt eindrucksvoll zurückmelden wollte. Es ist ihr literarischer Comeback-Versuch. Und sie hat sich dafür spürbar viel vorgenommen. Ein bisschen arg viel.
Filmproduzenten allerdings dürften von ihrem verquatschten und mitunter zu melodramatischen Liebesroman nicht nur wegen des trendigen Hauptthemas begeistert sein. Denn der liest sich schon jetzt wie eine Fernsehserie in Buchform. Man bekommt das familiäre Culture-Clash-Drama in filmreif geplotteten Szenen vorgeführt, wobei die ungefähr neun Monate umspannende Handlung aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Neben der kummergebeutelten Yasmin tritt nämlich auch die übergriffige Weltverbesserin Harriet als Erzählerin auf, was zu amüsanten Spiegelungseffekten führt. Weniger verständlich dagegen ist, warum Ali als dritten Erzähler dann auch noch Joes Psychotherapeuten zu Wort kommen lässt.
Ihr ambitionierter Versuch einer Gesellschaftsdiagnose in Form der interkulturellen Liebesgeschichte hat also unbestreitbar so einige Mängel. Das Merkwürdige aber ist: Man liest "Liebesheirat" dennoch gebannt bis zum Schluss durch, trotz aller Geschwätzigkeit und auch trotz einer stellenweise arg einfachen, unpoetischen Sprache.

Humanistischer Aufruf zu mehr Toleranz

Woran das liegt? Nun, wahrscheinlich einfach am warmen Humor und am zutiefst gelassenen, menschenfreundlichen Grundsound dieser Geschichte. Am Ende kommt’s dann zwar nicht zu der immer wieder neu aufgeschobenen Liebesheirat von Joe und Yasmin. Aber Alis literarischer Aufruf zu mehr Toleranz und mehr Großherzigkeit erwärmt einem schlichtweg das Herz – gerade in Zeiten, in denen die Kämpfe um angebliche kulturelle Vorrechte immer brutaler ausgefochten werden.
Monica Ali: „Liebesheirat“. Aus dem Englischen von Dorothee Merkel. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart. 592 Seiten, 25 Euro.