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Letzte Hoffnung: Killerviren

Australiens einzigartige Tierwelt hat einen ausländischen Feind: Kaninchen haben sich seit der Einführung vor 150 Jahren ihrem Ruf entsprechend vermehrt und zu einer regelrechten Plage entwickelt. Mit einem tödlichen Virus wollten Forscher 1995 den Nagetieren ans Fell. Zunächst erfolgreich, doch seit inzwischen wächst die Population wieder.

Von Marieke Degen | 24.02.2010
    Viren sind unberechenbar, erst recht, wenn man sie als biologische Waffen einsetzt. Das gilt auch für das Rabbit Haemorrhagic Disease Virus, kurz RHDV, mit dem Forscher die Kaninchen in Australien bekämpfen wollten. Und so startete der Angriff auch etwas früher als geplant. Brian Cooke, Biologe an der Universität von Canberra, kann sich noch gut an das Jahr 1995 erinnern.

    "Wir hatten RHDV schon sieben Jahre lang erforscht, und ich schlug vor, mal zu testen, wie sich das Virus in einer Kaninchenpopulation verbreitet - unter strengen Sicherheitsbedingungen, auf einer Insel. Das Virus hat sich sehr gut verbreitet, ein bisschen zu gut, denn es ist von der Insel aufs Festland übergesprungen und hat sich dann in Windeseile über das ganze Land verteilt. Das war schon ziemlich aufregend."

    Offenbar haben Fliegen das Virus aufs Festland getragen und die Kaninchen dort infiziert. Der Tod kommt schnell. Innerhalb von vier Tagen verbluten die Tiere innerlich. In den ersten Wochen sterben 30 Millionen Kaninchen an der Seuche.

    "Überall lagen tote Kaninchen herum. Auf einer Farm hat eine Frau zu mir gesagt: Schön, dass wir die Kaninchen los sind - aber können Sie mir sagen, wo auf einmal die ganzen Fliegen herkommen?"

    RHDV ist ein überaus erfolgreicher Kaninchenkiller: Vor 15 Jahren sind noch 600 Millionen Hasentiere über den Kontinent gehoppelt, heute sind es nur noch 200 Millionen. Für das australische Ökosystem ist das ein Segen: Akazienbestände, Zypressen und Silberbaumgewächse haben sich wieder erholt, weil die Kaninchen die Sämlinge nicht mehr vollständig wegknabbern; auch für Schafe, Rinder und Kängurus bleibt endlich wieder mehr Grünfutter übrig.

    Doch seit einigen Jahren steigen die Kaninchenzahlen wieder an. Das Immunsystem der Tiere hat sich auf das Virus offenbar eingestellt und kann es besser bekämpfen. Und das ist noch nicht alles, wie Brian Cooke und seine Kollegen herausgefunden haben.

    "Es gibt ein zweites, verwandtes Virus, das ebenfalls in der Kaninchenpopulation zirkuliert, die Tiere aber nicht krankmacht. Kaninchen, die sich schon mit diesem Virus infiziert haben, sind offenbar auch gegen RHDV immun. Dieses verwandte Virus wirkt also wie eine Impfung. Und deshalb ist RHDV in manchen Gegenden wirkungslos."

    Die Forscher suchen jetzt händeringend nach Alternativen. Zurzeit testen sie im Labor, ob man den Kaninchen mit RHD-Viren aus anderen Ländern beikommen kann. RHD-Viren, die nicht in Australien vorkommen, und auf die sich die Kaninchen noch nicht eingestellt haben.

    "Langfristig müssten wir aber neue Krankheiten finden, mit denen wir die Kaninchen kontrollieren können. Und das schafft man nicht in ein, zwei Jahren. Selbst wenn wir ein geeignetes Virus gefunden haben, müssen wir es mindestens zehn Jahre lang testen, bevor wir es in der Wildnis einsetzen können."

    Ein neuer Erreger müsste eine ganze Reihe von Kriterien erfüllen. Er muss hoch ansteckend sein und die Kaninchen schnell töten, damit sie nicht so lange leiden. Ganz wichtig: Der Erreger darf keine anderen Tiere in Australien befallen. Einen möglichen Kandidaten gibt es schon: ein tödliches Herpesvirus, das bei Zuchtkaninchen in den USA aufgetaucht ist.

    Auch wenn die RHDV-Epidemie in Australien langsam an Wirksamkeit verliert: Für die Grundlagenforschung ist sie ein Glücksfall. Zusammen mit dem Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung wollen die Australier jetzt genau untersuchen, warum die Kaninchen so schnell gegen das Virus immun werden. Brian Cooke hat dafür extra Gewebeproben nach Berlin gebracht. Jörns Fickel, Evolutionsgenetiker am IZW:

    "Dann sehen wir, ob sich die Kaninchen, die verstorben sind, genetisch von denen unterscheiden, die nicht verstorben sind. Und können die dann mit denen vergleichen, die überhaupt noch nicht infiziert wurden. Und auf diese Art und Weise hoffen wir herauszufinden, welche genetischen Mechanismen hinter Immunität gegen diese spezielle Krankheit stehen."

    Die Forscher hoffen, dass sie die Ergebnisse dann auch auf andere Tierseuchen übertragen, und so Wildtiere auf lange Sicht besser vor Krankheiten schützen können.