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Letzter Ausweg negative Emissionen?
Forscher warnen vor "hochgradig spekulativer Technologie"

Es ist bereits zu spät, um eine globale Erwärmung von zwei Grad Celsius noch zu vermeiden. Auch bei Überlegungen, das Klimagas Kohlendioxid wieder nachträglich aus der Atmosphäre zu entfernen, ist Vorsicht geboten. Forscher warnen, die Technologien zur CO2-Entfernung könnten nicht im erforderlichen Großmaßstab eingeführt werden.

Von Volker Mrasek | 14.10.2016
    Umweltaktivisten von Greenpeace demonstrieren vor dem Bundesrat in Berlin gegen CO2-Endlager und die Kohlendioxid-Verpressung.
    Umweltaktivisten von Greenpeace und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) demonstrieren vor dem Bundesrat in Berlin gegen CO2-Endlager und die Kohlendioxid-Verpressung. (picture alliance / dpa)
    Der Kandidat Nr. 1 für die Entfernung von Kohlendioxid aus der Luft heißt BECCS. Das steht für Biomasse-Kraftwerke mit CCS. Solche Anlagen verheizen Pflanzen, die zeit ihres Lebens Kohlendioxid aufgenommen haben. Dieses CO2 wird bei der Verbrennung nicht wieder frei, sondern abgeschieden und tief in der Erde deponiert. Netto entzieht man der Atmosphäre auf diese Weise Treibhausgase und kommt zu sogenannten negativen Emissionen.
    Die werden zwingend nötig sein, um das Zwei-Grad-Ziel doch noch zu schaffen - wenigstens nachträglich. Denn in allen realistischen Klima- und Energieszenarien schießt die Welt erst einmal über dieses Ziel hinaus. Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln:
    "Es gibt Modelle, die sagen: Quasi die Hälfte der heutigen Emissionen müsste aus der Atmosphäre wieder rausgenommen werden pro Jahr. Zwanzigmal die Emission von Deutschland heute."
    BSCCS sei "hochgradig spekulative Technologie"
    Politik und Öffentlichkeit sollten nicht darauf vertrauen, dass so etwas jemals gelingen werde. Das schreiben zwei erfahrene Klimaforscher jetzt im Fachjournal "Science". Biomasse-Kraftwerke mit CCS bezeichnen sie darin als "hochgradig spekulative Technologie". Es sei unrealistisch, davon auszugehen, dass sie im erforderlichen Umfang gebaut werden könnten. Glen Peters vom norwegischen Klimaforschungszentrum Cicero in Oslo, einer der beiden "Science"-Autoren: "Um die ganze Biomasse für solche Kraftwerke anzubauen, bräuchte man eine Fläche so groß wie Indien. Oder noch größer".
    So viel Land für den Anbau von Energiepflanzen werde kaum zur Verfügung stehen, da die Weltbevölkerung weiter wächst und damit auch der Bedarf an Agrarflächen für die Erzeugung von Nahrungsmitteln.
    Peters äußert aber auch technologische Bedenken: "Vor zehn Jahren war die Welt von der Idee der CO2-Abscheidung und -Deponierung noch ganz angetan. Die Internationale Energieagentur stellte sich Hunderte neue Anlagen innerhalb kurzer Zeit vor. Aber die Technologie ist viel komplexer und schwieriger als gedacht. Heute gibt es weltweit gerade einmal zehn bis 15 fossile Kraftwerke mit CCS - und nur eine einzige größere Anlage, die mit Biomasse läuft."
    Dass CCS und BECCS nicht aus den Kinderschuhen kommen, zeige sich auch an den Klimaschutz-Vorhaben der Industrie- und Schwellenländer nach dem historischen Abkommen von Paris. An dem, was bis zum Jahr 2030 geschehen soll, so Peters:
    "Es gibt nur eine Handvoll Konzepte, in denen CCS vorkommt. Und dann auch nur im Zusammenhang mit fossilen Energieträgern. Technologien zur Erzeugung negativer Emissionen spielen in den Plänen der Länder noch überhaupt keine Rolle. Dabei müssten sie nach den Zwei-Grad-Szenarien schon im nächsten Jahrzehnt im Großmaßstab eingeführt werden."
    CCS als Vorwand, den Klimaschutz lax anzugehen
    Die Welt sollte sich deshalb nicht von solchen vagen Zukunftstechnologien abhängig machen, argumentiert Glen Peters. Das sei riskant und auch unmoralisch, da man die Lösung des Problems auf spätere Generationen abwälze:
    "Wenn wir fest damit rechnen, dass diese Technologien kommen, dann meinen wir natürlich auch, unsere Emissionen heute nicht so stark reduzieren zu müssen. Doch was ist, wenn sie nicht funktionieren? Dann haben wir bis dahin viel zu wenig Klimaschutz betrieben. Es ist also gefährlich anzunehmen, dass solche Technologien vorhanden sein werden."
    Für Peters und seinen britischen Ko-Autor Kevin Anderson scheiden negative Emissionen deshalb als eine Art nachträgliche Globalversicherung gegen Klimaschäden aus. Sie sollten nicht mehr als großtechnische Lösung für das Problem in Betracht gezogen werden. Stattdessen müsse die Welt viel energischer das tun, was sie bisher versäumt: den Ausstoß von Treibhausgasen drosseln.