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Leutheusser-Schnarrenberger: Ohne SWIFT entsteht keine große Sicherheitslücke

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger strebt nach der Ablehnung des SWIFT-Abkommens durch das Europaparlament eine neue Vereinbarung mit den USA an. Nun sei die große Chance da, ein höheres Datenschutzniveau in die Verhandlungen einzubringen, sagte die FDP-Politikerin.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 12.02.2010
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, guten Morgen!

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen!

    Heinemann: Was nun?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, erst mal sich freuen darüber, dass man sieht, wie nach dem Vertrag von Lissabon sich die Koordinaten in Europa verschieben zwischen Kommission, Rat und Parlament, und dann doch mal ganz nüchtern betrachten, worum es geht. Es geht nicht um diese große Sicherheitslücke, die jetzt immer beschworen wird, sondern es ist ja sehr wohl möglich, gezielt aufgrund von Einzelanfragen auch Informationen zu bekommen und …

    Heinemann: Höchst umständlich.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Was heißt hier umständlich? Es ist nicht umständlich, sondern es ist der Weg zwischen auf der einen Seite den Überlegungen, wie kann man die Daten für Sicherheitszwecke verwenden und auf der anderen Seite dem Datenschutz, der auch im 21. Jahrhundert nicht aus der Mode gekommen ist, sondern der gerade angesichts der technischen Möglichkeiten eine ganz große Rolle spielt.

    Heinemann: Ist denn der Datenschutz wichtiger als der Schutz von Menschenleben, die durch eine Enttarnung von Terroristen gerettet werden können?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Auch diese Frage muss man hinterfragen, denn gerade Informationen und Einschätzungen von Sicherheitsbehörden in Deutschland, auch vom Bundeskriminalamt in den letzten Monaten, haben ja gezeigt, dass es hier nicht um einen sehr großen Informationsgewinn gibt, da gab es sehr wohl immer wieder Stimmen, die deutlich gemacht haben, dass es hier nicht zu großen Beiträgen im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen Terrorismus durch Informationen von SWIFT gekommen ist, und von daher jetzt wirklich in Ruhe sehen, dass wir ein vernünftiges Übereinkommen aushandeln, die Europäische Union mit den Amerikanern, und da eben auch das Datenschutzniveau wirklich beachten. Das haben wir ja auch in die Koalitionsvereinbarungen geschrieben. Und jetzt ist die große Chance da, das auch in die Verhandlungen einzubringen.

    Heinemann: Die Europäer mit den Amerikanern, haben Sie gerade gesagt. Die USA können aber auch anders, sie können nämlich bilateral, also jeweils mit den einzelnen Staaten verhandeln und nicht mehr mit Unionseuropa.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist theoretisch möglich, ob die Staaten, das wären hier ja Holland, Belgien und möglicherweise die Schweiz, ob die dazu bereit sind und das auch machen werden, ist ja die ganz andere Frage. Nur auch da geht es um die Situation, es gibt mit diesen Staaten zum Teil auch bilaterale Rechtshilfeübereinkommen, und da können konkrete Anfragen gestellt werden von den amerikanischen Behörden und dann auch Auskünfte gegeben werden. Und von daher möchte ich einfach diesem Eindruck entgegenwirken, jetzt wäre hier das Scheunentor offen für den Terrorismus und die Staaten seien alle nicht mehr handlungsfähig, das ist einfach nicht richtig.

    Heinemann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, müssen vielleicht auch europäische Minister lernen, dass es ein Europäisches Parlament gibt?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, es muss jetzt ganz anders in das Bewusstsein von Regierungen rücken. Wir haben alle – alle Parteien in Deutschland, die Linke jetzt ausgenommen, aber alle anderen Parteien in Deutschland, im Deutschen Bundestag – gerühmt, uns gefreut, dass endlich das Europäische Parlament an Entscheidungen zu Gesetzen, aber eben auch zu Übereinkommen mit Drittstaaten nicht nur mitwirkt, sondern entscheidet. Und genau das passiert jetzt. Und in Amerika entscheidet das Abgeordnetenhaus und der Senat häufig auch nicht so, wie die Regierung immer möchte. Und das müssen wir jetzt ganz klar einbeziehen und sehr frühzeitig auch als Regierungen mit den Vertretern des Europäischen Parlamentes Kontakt aufnehmen, hören wie ihre Meinung ist, versuchen zu überzeugen. Ich finde, es verschiebt sich einiges in Europa, ich finde das wirklich positiv, und die Bürgerinnen und Bürger können damit sehen, hier wird gerungen um Lösungen, hier findet in Hinterzimmern nicht europäische Politik statt. Und genau das kann für Europa werben.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Stichwort Koalition: Von einem Krieg zu sprechen, wäre vermutlich übertrieben. Kann man das Verhältnis von Union und FDP als nicht internationalen und bislang nicht bewaffneten Konflikt bezeichnen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Also, es ist mit Sicherheit auch nicht in die Kategorie eines dauerhaften Konfliktes einzuordnen. Es ist die Beziehung von selbstständigen Parteien und Partnern, die sich zusammengefunden haben, für vier Jahre gemeinsam vernünftig zu regieren und die jetzt wirklich danach sucht, dass wir schrittweise unsere Vorstellungen und Projekte gemeinsam durchbringen, bei allen Unterschiedlichkeiten, die es in jeder Koalition gibt. Von daher, Waffengewalt ist mit Sicherheit nicht notwendig.

    Heinemann: Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren sei vom Tisch, meldet heute die "Süddeutsche Zeitung", Innenminister Thomas de Maizière wolle sich dafür nicht mehr einsetzen. Ein Zankapfel weniger?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich begrüße das außerordentlich, dass das so klargestellt wird. Genau bei den Koalitionsverhandlungen war das natürlich ein Thema, was damals der Bundesinnenminister Herr Schäuble auf den Tisch gelegt hat, und es ist ganz klar, dass mit der FDP hier keinen Weg gibt, die Bundeswehr im Inland durch Grundgesetzänderung auch weitestgehend einzusetzen. Ich denke, es ist gut, dass wir uns darum bemühen, was aufgrund der vorhandenen rechtlichen Entscheidungen geht. Und da, denke ich, haben wir wirklich dann auch einen Konflikt weniger.

    Heinemann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, miserable Noten für die fünf FDP-Minister, Sie sind mit 37 Prozent Zustimmung noch die Beste im Quintett. Sind die Herren überfordert?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, die FDP hat jetzt gute hundert Tage Regierung hinter sich mit wirklich sehr, sehr vielen Problemen, aber auch mit der Notwendigkeit, jetzt zu sehen, wie können wir von den vielen Vorhaben schrittweise sie so anpacken, dass wir auch die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Und ich denke, es liegen jetzt deutlich die besseren mehreren Hunderte, Hunderte Tage vor uns als die ersten Hunderte hinter uns.

    Heinemann: Sichtwort Hunderte Tage: Eine gewisse Auflösung der Ordnung erkennt Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki gegenwärtig in der FDP. Chaostage bei den Liberalen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, es ist kein Chaos bei der FDP, aber natürlich sehr wohl jetzt das gemeinsame Überlegen miteinander und gegeneinander in der FDP, wie wir auf der einen Seite deutlich machen, wo unsere Reformvorstellungen liegen, aber wir müssen sie angesichts der Gesamtsituation und vor allen Dingen der Haushaltsverschuldung ganz klar auch immer damit in Einklang bringen, wie ist Strukturpolitik im Steuerrecht mit Haushaltskonsolidierungen eben auch ein Gesamtpaket. Und das müssen wir jetzt erarbeiten, und das tun wir, und da wollen wir den Bürger auch ehrlich Rede und Antwort stehen, auch vor der nächsten NRW-Wahl.

    Heinemann: Die Bürger sind aber zurzeit angewidert, das zeigen die Umfragen. Wenn das so weitergeht, werden die Rufe nach Neuwahlen laut. Das hieße dann für die Liberalen, zurück zum Normalzustand, Zittern vor der Fünf-Prozent-Hürde.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, die FDP zittert nicht vor der Fünf-Prozent-Hürde, die FDP stellt sich wie auch die Union jetzt natürlich dann dem ersten Test am 9. Mai bei der Landtagswahl, und das ist ja auch natürlich für uns die Aufforderung, wir müssen auch im Gleichklang bei all unterschiedlicher Positionierung in Einzelpunkten in der Koalition ein überzeugenderes Bild abgeben als in den ersten hundert Tagen. Und ich denke, das kann auch gelingen. Und wenn wir ein paar Streitpunkte weniger haben und uns auf ein paar Dinge wirklich konzentrieren, das ist machbar und das wollen wir auch, dann denke ich, kann man sehr wohl auch die Stimmung wieder in eine andere Richtung bringen.

    Heinemann: Nur wird zurzeit im Kabinett wohl auch gebrüllt. Kann Deutschland noch dreieinhalb Jahre lang von Streithähnen regiert werden?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, natürlich wird es nicht dreieinhalb Jahre lang Streitereien geben. Im Kabinett wird auch nicht gebrüllt, da geht das sehr gesittet zu und da machen wir auch unsere Arbeit, wir beschließen Gesetzentwürfe. Nein, wir wollen das konstruktive Miteinander und Schritt für Schritt im Gesundheitswesen, in der Steuerstrukturreform, aber ganz besonders bei der Haushaltskonsolidierung deutlich machen, mit der FDP wird es hier eine seriöse Politik geben.

    Heinemann: Also passend zur Berlinale, ein Quantum Trost von der Bundesjustizministerin. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, ich bedanke mich, Wiederhören, Herr Heinemann!