Elke Durak: Politik und Medien, keiner kommt ohne den anderen aus. Sie sind aufeinander angewiesen, und doch sollten beide den größtmöglichen Abstand zueinander wahren. Tun aber nicht alle. Wie groß ist dabei auch die Verführung auf beiden Seiten, wenn es um richtig brisante Informationen geht, die die Politiker entweder für sich behalten oder weitergeben können und die der Journalist entweder veröffentlichen oder für sich behalten kann. Und wenn etwas, wie es heißt, durchgestochen wird, wie viel Hinterlist ist dabei am Werke?
Hans Leyendecker gehört zu den Journalisten in Deutschland, die für investigativen Journalismus bekannt und auch gefürchtet sind. Guten Morgen, Herr Leyendecker!
Hans Leyendecker: Guten Morgen!
Durak: Wie halten Sie es mit dem Gedanken der Hinterlist auf beiden Seiten?
Leyendecker: Also Hinterlist kennzeichnet ein Stück die Menschheitsgeschichte. Alles, was Sie ja auch erleben können, was Sie ja auch nachlesen können bei den Alten, egal ob Sie jetzt Troja anschauen, man schleicht sich ein mit einem Pferd, oder falls Sie auch in die Natur schauen, der Kuckuck, der die anderen Eier aus dem Nest wirft und das eigene platziert. Es gibt Hinterlist an ganz vielen Plätzen. Denken Sie an die Literatur, Kriminalromane, oder auch an die große weite Welt der Spionage, die ist voller Hinterlist.
Und natürlich findet sich das auch dann im politischen Betrieb, und natürlich hat auch der Journalist damit zu tun, und normalerweise erklärt er, ja, wir halten uns an den Pressekodex. Ich weiß nicht, ob unsere Hörer gestern Abend bei "Christiansen "den Kollegen Strunz von der "Bild am Sonntag", es war wirklich ein großer Fall, fand ich, von Heuchelei, dass da jemand sitzt und sagt, ja, wie ernst man alles prüft, und sein Schwesterblatt hat diese Geschichte gemacht mit dem Seehofer, dass der Seehofer angeblich eine Freundin habe, das wird dann begründet damit, dass er sich mal zur Familie geäußert hat. Also ich glaube, da ist überhaupt kein Bereich des Lebens davon verschont, der Journalismus nicht, die Politik nicht. Und wenn man älter wird, muss man sich immer wieder fragen, das, was ich jetzt mache, was löst das auch bei dem anderen aus? Das bremst bei dem Journalisten zumindest die Hinterlist und die Intrige, zu der er jeder Zeit fähig ist, ein bisschen.
Durak: Herr Leyendecker, war es denn hinterlistig oder listig, Seehofers Privatangelegenheiten zu einem solchen Zeitpunkt in ein solches Blatt zu setzen?
Leyendecker: Es ist ein bisschen die Frage, woher es kommt. Ich bin mir bei der Quelle nicht so klar, ob das nun wirklich der politische Betrieb ist, oder ob das nicht sehr private Dinge sind, die da eine Rolle spielen. Aber jetzt geht es ja um denjenigen, der die Nachricht oder die scheinbare Nachricht veröffentlicht sieht, wie geht der damit um? Der tut so, als sei das jetzt bei dem politischen Spiel eine ganz wichtige Antwort auf die Frage, wer ist Herr Seehofer, was macht Herr Seehofer? Man wirft ihm gewissermaßen ein Doppelspiel vor, weil er mal über Trauringe und wie sich Menschen verhalten gesprochen hat. Also da ist ganz erkennbar die Hinterlist beim Journalisten, und sie kann vermutet werden im politischen Betrieb, und sie kann umso stärker vermutet werden, als es eine Tradition in Bayern gibt. Erinnern wir uns daran, dass 1993, als Waigel und Stoiber miteinander um die Ministerpräsidentenwürde da gerungen haben, plötzlich eine Geschichte aufkommt, die voller Hinterlist war, nämlich die ging so: Der Waigel, der eine kranke Frau habe, habe ein Verhältnis mit der Irene Epple, einer berühmten Skiläuferin, und die katholische Kirche sei darüber ganz empört. Und die darüber berichteten, empörten sich dann über die angebliche Empörung der Katholischen Kirche, die damit gar nichts zu tun hatte. Das war von der Quelle gewissermaßen die Auflage, wir müssen es um die Ecke spielen, also die Hinterlist bei der Quelle, die versucht, den Kontrahenten oder denjenigen, den man nicht haben will an dem Platz, damit auszustechen, und die Hinterlist der Journalisten, die sich auf dieses Spiel einlassen, obwohl sie genau wissen, wie der Vorgang ist.
Durak: Wenn Sie diese Informationen über Horst Seehofer gehabt hätten, hätten Sie die veröffentlicht?
Leyendecker: Keine Sekunde. Also auf die Idee mit dem Privatleben zu spielen, ich hätte es auch dann nicht gemacht, wenn er mit seinem Privatleben immer öffentlich hantiert hätte, obwohl es da eine Legitimation gegeben hätte, wenn er also das Privatleben anderer bewertet hätte, wenn er gesagt hätte, was sind das für schlimme Finger hier in Berlin, die predigen Wasser und leben ganz anders, dann, glaube ich, kann man das rechtfertigen. Aber das ist dann auch Sache des Boulevards. Also ich finde, ich bin bei der "Süddeutschen Zeitung", das ist eine hochseriöse Zeitung, da haben solche Geschichten nur dann was zu suchen, wenn man betrachtet, was die anderen gemacht haben. Man selbst darf das nicht machen.
Durak: Ihre Zeitung, die "Süddeutsche", veröffentlich von Ihnen und Ihren Kollegen andere Dinge, die sozusagen investigativ sind in einer Sonderklasse. Es geht immer mal wieder um politische Angelegenheiten, im jüngsten Fall um den Bremer Murat Kurnaz und die mögliche Verstrickung der ehemaligen Bundesregierung. Was mich zunächst mal interessiert, Herr Leyendecker, Sie bekommen ja irgendwie Informationen, auf die Sie sich berufen, nicht dass ich Sie jetzt nach den Quellen frage, aber Sie zitieren aus geheimen Dokumenten, an die Sie herankommen. Nutznießen Sie also auch vom gezielten Durchstechen?
Leyendecker: Also jeder, der im recherchierenden Gewerbe ist, weiß, dass es nur so geht, dass man eine Quelle ausfindig macht oder Quellen ausfindig macht und dann mit diesen Quellen versucht das aufzuklären, weil: Mit Hand auflegen und mit Beschwörungsformeln kommt man nicht weiter. Um diese Vorgänge, die ich mir so habe nicht vorstellen können, bei Kurnaz herauszufinden, brauchen Sie Menschen die hilfreich sind. Das ist sozusagen die Grundbedingung für den recherchierenden Journalismus. Bei ganz anderen, wenn Sie die großen amerikanischen Fälle, mit denen wir uns nie vergleichen können, aber wenn man die sich anschaut, da gibt es irgendwo in den Apparaten, die Apparate sind oft seelenlos, wie wir im Fall Kurnaz wieder erleben können, aber es gibt in den Apparaten noch Leute, die an Aufklärung interessiert sind, die beispielsweise gegen die George-Bush-Administration Widerstand leisten, indem sie halt Papiere über die Kriegslügen und so weiter rausbefördern.
Durak: Wie können Sie aber dann jemandem vertrauen, der doch gerade durch die Weitergabe der Informationen anderweitig Vertrauen bricht?
Leyendecker: Ich vertraue dem Papier. Ich vertraue sozusagen dem Papier, das ich habe und das zweifelsfrei richtig ist und das ich dann vergleichen kann mit anderen Papieren. Für mich ist eine Vorbedingung, dass ich, wenn ich arbeite, irgendwo einen Boden habe, auf den ich mich verlassen kann von der Papierlage her, und dann rede ich mit Leuten, wie das entstanden ist, wie das gekommen ist, warum Menschen das machen. Man muss sich auch, in der Bundesregierung sind ja keine bösartigen Menschen gewesen, die nun einen kleinen Menschen ausschließlich da in Guantanamo festhalten sozusagen. Aber ich kann dies nur machen, wenn ich weiß, was sie getan haben, und das erfahre ich über die Papiere.
Durak: Wie schützen Sie sich davor, instrumentalisiert zu werden, Herr Leyendecker, denn Sie kommen ja an ganz bestimmte Papiere heran?
Leyendecker: Ja gut, man kann sich in Wahrheit davor nicht endgültig schützen. Also wenn ich an mein journalistisches Leben zurückdenke, habe ich natürlich schon Dinge gemacht, wo irgendjemand mich auch eingesetzt hat, um irgendeinen Vorgang zu befördern. Und man muss immer fragen, was ist nun die Interessenlage desjenigen, der gibt, und man muss sich selbst kritisch fragen, was ist die eigentliche Interessenlage, will man nur vorne sein in der Konkurrenz mit den Kollegen oder will man irgendeinen Coup landen? Zu meinem Leben gehört Bad Kleinen, eine verheerende handwerkliche Geschichte, die ich gemacht habe. Das war 1993, und seitdem frage ich mich ganz häufig, was geht also auch in einem selbst vor, hat man Jagdeifer, begreift man eine Situation falsch? Also da muss der Journalist immer kritische Fragen an sich stellen, und er wird, wenn er einigermaßen ehrlich ist, sagen, dass er auch bei kleinerer Gelegenheit als bei Bad Kleinen versagt hat, aber das gilt nicht für Kurnaz. Kurnaz ist also ein Fall, ich bin über 30 Jahre im Beruf, der mich wirklich empört, und da sind wir bei der Intrige, mit der wir angefangen haben, da sind wir bei der Hinterlist, wie da auseinanderklafft, was man öffentlich deklamiert, und wie man in Wirklichkeit handelt. Das ist so schreiend, dass man auch als Journalist darüber schreien muss.
Durak: Wenn Sie so empört sind, Herr Leyendecker, wie können Sie dann noch den genügenden Abstand haben und objektiv schreiben?
Leyendecker:! Den Abstand habe ich einfach im Handwerk. Das ist so wie der Fliesenleger, der einen Bau betritt und sagt, das ist aber hier ganz schwierig, wer hat denn hier den Fußboden gelegt, und dann muss er die Fliesen legen. Also dann muss man wieder Distanz zu allem bekommen, aber der Antrieb, die Frage, was ist das, also Sie sind ja nicht irgendwo ein Neutrum, Sie sind ja niemand, der irgendwo in die Eishalle geht und sagt, ich betrachte das jetzt so und so, oder wie der Wissenschaftler unterm Mikroskop ein Insekt betrachtet, sondern Sie sind jemand, der auch ein Stück, aber dann muss man zu sich selbst auch wieder den Abstand finden, das hat man dann in der Arbeit. Das hat man nicht, wenn ich mit Ihnen freundlicherweise von Ihnen aus telefoniere.
Durak: Hans Leyendecker, Journalist der "Süddeutschen Zeitung", Medien und Politik, das war unser Thema. Besten Dank, Herr Leyendecker, für das Gespräch.
Hans Leyendecker gehört zu den Journalisten in Deutschland, die für investigativen Journalismus bekannt und auch gefürchtet sind. Guten Morgen, Herr Leyendecker!
Hans Leyendecker: Guten Morgen!
Durak: Wie halten Sie es mit dem Gedanken der Hinterlist auf beiden Seiten?
Leyendecker: Also Hinterlist kennzeichnet ein Stück die Menschheitsgeschichte. Alles, was Sie ja auch erleben können, was Sie ja auch nachlesen können bei den Alten, egal ob Sie jetzt Troja anschauen, man schleicht sich ein mit einem Pferd, oder falls Sie auch in die Natur schauen, der Kuckuck, der die anderen Eier aus dem Nest wirft und das eigene platziert. Es gibt Hinterlist an ganz vielen Plätzen. Denken Sie an die Literatur, Kriminalromane, oder auch an die große weite Welt der Spionage, die ist voller Hinterlist.
Und natürlich findet sich das auch dann im politischen Betrieb, und natürlich hat auch der Journalist damit zu tun, und normalerweise erklärt er, ja, wir halten uns an den Pressekodex. Ich weiß nicht, ob unsere Hörer gestern Abend bei "Christiansen "den Kollegen Strunz von der "Bild am Sonntag", es war wirklich ein großer Fall, fand ich, von Heuchelei, dass da jemand sitzt und sagt, ja, wie ernst man alles prüft, und sein Schwesterblatt hat diese Geschichte gemacht mit dem Seehofer, dass der Seehofer angeblich eine Freundin habe, das wird dann begründet damit, dass er sich mal zur Familie geäußert hat. Also ich glaube, da ist überhaupt kein Bereich des Lebens davon verschont, der Journalismus nicht, die Politik nicht. Und wenn man älter wird, muss man sich immer wieder fragen, das, was ich jetzt mache, was löst das auch bei dem anderen aus? Das bremst bei dem Journalisten zumindest die Hinterlist und die Intrige, zu der er jeder Zeit fähig ist, ein bisschen.
Durak: Herr Leyendecker, war es denn hinterlistig oder listig, Seehofers Privatangelegenheiten zu einem solchen Zeitpunkt in ein solches Blatt zu setzen?
Leyendecker: Es ist ein bisschen die Frage, woher es kommt. Ich bin mir bei der Quelle nicht so klar, ob das nun wirklich der politische Betrieb ist, oder ob das nicht sehr private Dinge sind, die da eine Rolle spielen. Aber jetzt geht es ja um denjenigen, der die Nachricht oder die scheinbare Nachricht veröffentlicht sieht, wie geht der damit um? Der tut so, als sei das jetzt bei dem politischen Spiel eine ganz wichtige Antwort auf die Frage, wer ist Herr Seehofer, was macht Herr Seehofer? Man wirft ihm gewissermaßen ein Doppelspiel vor, weil er mal über Trauringe und wie sich Menschen verhalten gesprochen hat. Also da ist ganz erkennbar die Hinterlist beim Journalisten, und sie kann vermutet werden im politischen Betrieb, und sie kann umso stärker vermutet werden, als es eine Tradition in Bayern gibt. Erinnern wir uns daran, dass 1993, als Waigel und Stoiber miteinander um die Ministerpräsidentenwürde da gerungen haben, plötzlich eine Geschichte aufkommt, die voller Hinterlist war, nämlich die ging so: Der Waigel, der eine kranke Frau habe, habe ein Verhältnis mit der Irene Epple, einer berühmten Skiläuferin, und die katholische Kirche sei darüber ganz empört. Und die darüber berichteten, empörten sich dann über die angebliche Empörung der Katholischen Kirche, die damit gar nichts zu tun hatte. Das war von der Quelle gewissermaßen die Auflage, wir müssen es um die Ecke spielen, also die Hinterlist bei der Quelle, die versucht, den Kontrahenten oder denjenigen, den man nicht haben will an dem Platz, damit auszustechen, und die Hinterlist der Journalisten, die sich auf dieses Spiel einlassen, obwohl sie genau wissen, wie der Vorgang ist.
Durak: Wenn Sie diese Informationen über Horst Seehofer gehabt hätten, hätten Sie die veröffentlicht?
Leyendecker: Keine Sekunde. Also auf die Idee mit dem Privatleben zu spielen, ich hätte es auch dann nicht gemacht, wenn er mit seinem Privatleben immer öffentlich hantiert hätte, obwohl es da eine Legitimation gegeben hätte, wenn er also das Privatleben anderer bewertet hätte, wenn er gesagt hätte, was sind das für schlimme Finger hier in Berlin, die predigen Wasser und leben ganz anders, dann, glaube ich, kann man das rechtfertigen. Aber das ist dann auch Sache des Boulevards. Also ich finde, ich bin bei der "Süddeutschen Zeitung", das ist eine hochseriöse Zeitung, da haben solche Geschichten nur dann was zu suchen, wenn man betrachtet, was die anderen gemacht haben. Man selbst darf das nicht machen.
Durak: Ihre Zeitung, die "Süddeutsche", veröffentlich von Ihnen und Ihren Kollegen andere Dinge, die sozusagen investigativ sind in einer Sonderklasse. Es geht immer mal wieder um politische Angelegenheiten, im jüngsten Fall um den Bremer Murat Kurnaz und die mögliche Verstrickung der ehemaligen Bundesregierung. Was mich zunächst mal interessiert, Herr Leyendecker, Sie bekommen ja irgendwie Informationen, auf die Sie sich berufen, nicht dass ich Sie jetzt nach den Quellen frage, aber Sie zitieren aus geheimen Dokumenten, an die Sie herankommen. Nutznießen Sie also auch vom gezielten Durchstechen?
Leyendecker: Also jeder, der im recherchierenden Gewerbe ist, weiß, dass es nur so geht, dass man eine Quelle ausfindig macht oder Quellen ausfindig macht und dann mit diesen Quellen versucht das aufzuklären, weil: Mit Hand auflegen und mit Beschwörungsformeln kommt man nicht weiter. Um diese Vorgänge, die ich mir so habe nicht vorstellen können, bei Kurnaz herauszufinden, brauchen Sie Menschen die hilfreich sind. Das ist sozusagen die Grundbedingung für den recherchierenden Journalismus. Bei ganz anderen, wenn Sie die großen amerikanischen Fälle, mit denen wir uns nie vergleichen können, aber wenn man die sich anschaut, da gibt es irgendwo in den Apparaten, die Apparate sind oft seelenlos, wie wir im Fall Kurnaz wieder erleben können, aber es gibt in den Apparaten noch Leute, die an Aufklärung interessiert sind, die beispielsweise gegen die George-Bush-Administration Widerstand leisten, indem sie halt Papiere über die Kriegslügen und so weiter rausbefördern.
Durak: Wie können Sie aber dann jemandem vertrauen, der doch gerade durch die Weitergabe der Informationen anderweitig Vertrauen bricht?
Leyendecker: Ich vertraue dem Papier. Ich vertraue sozusagen dem Papier, das ich habe und das zweifelsfrei richtig ist und das ich dann vergleichen kann mit anderen Papieren. Für mich ist eine Vorbedingung, dass ich, wenn ich arbeite, irgendwo einen Boden habe, auf den ich mich verlassen kann von der Papierlage her, und dann rede ich mit Leuten, wie das entstanden ist, wie das gekommen ist, warum Menschen das machen. Man muss sich auch, in der Bundesregierung sind ja keine bösartigen Menschen gewesen, die nun einen kleinen Menschen ausschließlich da in Guantanamo festhalten sozusagen. Aber ich kann dies nur machen, wenn ich weiß, was sie getan haben, und das erfahre ich über die Papiere.
Durak: Wie schützen Sie sich davor, instrumentalisiert zu werden, Herr Leyendecker, denn Sie kommen ja an ganz bestimmte Papiere heran?
Leyendecker: Ja gut, man kann sich in Wahrheit davor nicht endgültig schützen. Also wenn ich an mein journalistisches Leben zurückdenke, habe ich natürlich schon Dinge gemacht, wo irgendjemand mich auch eingesetzt hat, um irgendeinen Vorgang zu befördern. Und man muss immer fragen, was ist nun die Interessenlage desjenigen, der gibt, und man muss sich selbst kritisch fragen, was ist die eigentliche Interessenlage, will man nur vorne sein in der Konkurrenz mit den Kollegen oder will man irgendeinen Coup landen? Zu meinem Leben gehört Bad Kleinen, eine verheerende handwerkliche Geschichte, die ich gemacht habe. Das war 1993, und seitdem frage ich mich ganz häufig, was geht also auch in einem selbst vor, hat man Jagdeifer, begreift man eine Situation falsch? Also da muss der Journalist immer kritische Fragen an sich stellen, und er wird, wenn er einigermaßen ehrlich ist, sagen, dass er auch bei kleinerer Gelegenheit als bei Bad Kleinen versagt hat, aber das gilt nicht für Kurnaz. Kurnaz ist also ein Fall, ich bin über 30 Jahre im Beruf, der mich wirklich empört, und da sind wir bei der Intrige, mit der wir angefangen haben, da sind wir bei der Hinterlist, wie da auseinanderklafft, was man öffentlich deklamiert, und wie man in Wirklichkeit handelt. Das ist so schreiend, dass man auch als Journalist darüber schreien muss.
Durak: Wenn Sie so empört sind, Herr Leyendecker, wie können Sie dann noch den genügenden Abstand haben und objektiv schreiben?
Leyendecker:! Den Abstand habe ich einfach im Handwerk. Das ist so wie der Fliesenleger, der einen Bau betritt und sagt, das ist aber hier ganz schwierig, wer hat denn hier den Fußboden gelegt, und dann muss er die Fliesen legen. Also dann muss man wieder Distanz zu allem bekommen, aber der Antrieb, die Frage, was ist das, also Sie sind ja nicht irgendwo ein Neutrum, Sie sind ja niemand, der irgendwo in die Eishalle geht und sagt, ich betrachte das jetzt so und so, oder wie der Wissenschaftler unterm Mikroskop ein Insekt betrachtet, sondern Sie sind jemand, der auch ein Stück, aber dann muss man zu sich selbst auch wieder den Abstand finden, das hat man dann in der Arbeit. Das hat man nicht, wenn ich mit Ihnen freundlicherweise von Ihnen aus telefoniere.
Durak: Hans Leyendecker, Journalist der "Süddeutschen Zeitung", Medien und Politik, das war unser Thema. Besten Dank, Herr Leyendecker, für das Gespräch.