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Leyendecker: V-Leute haben versagt

Dass die NSU-Zelle auch im Westen Unterstützer hatte, findet der Leiter "Investigative Recherche" alarmierend. Dadurch bekomme die Frage des Rechtsterrorismus "tatsächlich noch mal einen neuen Dreh, auch natürlich in Bezug auf die Behörden, das Nichtwissen der Behörden", so Hans Leyendecker.

Hans Leyendecker im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.12.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Fast 18 Jahre lang war es der rechtsextremen Terrorzelle gelungen, im Untergrund zu leben und offenbar zehn Menschen zu töten, ohne dass sie weiter aufgefallen wären. Dass das nicht ohne Unterstützer möglich gewesen sein kann, das scheint offensichtlich zu sein, und in der Tat wird der Kreis derjenigen immer größer, denen vorgeworfen wird, dem Trio geholfen zu haben. Gestern nahm ein Sondereinsatzkommando im sächsischen Erzgebirgskreis den 36-jährigen Matthias D. fest, der den Terroristen zwei Wohnungen in Zwickau zur Verfügung gestellt haben soll. – Am Telefon jetzt Hans Leyendecker, Leiter des Bereichs investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung. Schönen guten Morgen, Herr Leyendecker.

    Hans Leyendecker: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Leyendecker, Leiter "Investigative Recherche" der Süddeutschen Zeitung schon vor Wochen berichteten Medien, dass Matthias D. die Zwickauer Zelle unterstützt haben soll. Weshalb die Verhaftung erst jetzt?

    Leyendecker: Die Behörden haben eine Menge Leute auf dem Schirm. Die werden observiert, dann gibt es Vernehmungen, und wenn die Vernehmungen dahin führen, dass man sagt, es ist in nicht verjährter Zeit ein Tatverdacht, dann kann man darüber nachdenken, ob jemand festgenommen werden soll. Das ist in diesem Falle so. Man hat festgestellt, dass Matthias D. 2003, 2008 Wohnungen vermietet oder untervermietet haben soll an die Zwickauer Zelle, darüber hinaus auch andere Dinge gemacht haben soll, die hilfreich gewesen waren, und dann wurde er festgenommen, als man es für richtig hielt.

    Heckmann: Der Anwalt von Matthias D. hat behauptet, sein Mandant sei getäuscht worden, er habe nichts gewusst von den Terroraktivitäten dieser Personen. Ich könnte mir vorstellen, es dürfte schwerfallen, das Gegenteil zu beweisen?

    Leyendecker: Auch das wird im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens stattfinden. Das ist das gute Recht des Anwalts zu sagen, das sein Mandant unschuldig ist. Das wird sich dann am Ende des Weges herausstellen. Klar ist, wie Sie gesagt haben, Herr Heckmann: Es gab eine breite Unterstützerstruktur. Alarmierend finde ich, dass es offenbar auch eine Unterstützerstruktur im Westen gegeben hat. Das wirft dann noch mal ganz neue Fragen auf.

    Heckmann: Gehen Sie denn jetzt davon aus, dass man den harten Kern der Unterstützergruppe hat?

    Leyendecker: Nein. Ich glaube, dass es noch zwei, drei Leute gibt, von denen man weiß, dass sie damals mit der Gruppe zusammen waren. Es geht halt da auch immer um die Frage, wie lange lag das zurück, war es in verjährter Zeit, war es in nicht verjährter Zeit. Da wird es noch die eine oder andere Festnahme geben. Ich meine, wir starren auf ein Verfahren, das wir uns nicht haben vorstellen können. Auch Medien haben sich nicht vorstellen können, dass es eine rechtsterroristische Gruppe gibt, die aus Fremdenhass Leute umbringt, und von daher sind natürlich Überraschungen drin. Die eigentliche Frage ist, mit welcher Gruppe haben wir es eigentlich zu tun, mit welchem Nichtwissen haben wir es zu tun, wenn es im Westen Leute gegeben haben soll, wie jetzt die Behörden meinen, die geholfen haben sollen, die Tatorte auszukundschaften, dass es im Westen eine Gruppe gegeben haben soll, die klammheimlich sich mitgefreut hat, wenn wieder ein türkischer Kleinunternehmer ermordet wurde.

    Heckmann: Weshalb ist das aus Ihrer Sicht so überraschend und alarmierend? Was macht den Unterschied, ob jetzt Unterstützer im Westen oder im Osten vorhanden gewesen sind?

    Leyendecker: Es ist ein deutlich breiteres Wissen dann. Wenn wir von der alten Struktur ausgingen, die wir noch vor einigen Wochen hatten, konnte man sagen, okay, da waren Leute im Osten, das waren Kameraden, die haben immer zusammen gemacht, die haben sich geholfen, die anderen sind dann aufgebrochen, um Leute umzubringen. Da hat möglicherweise der eine oder andere was gewusst, aber die haben das mehr oder weniger alleine gemacht. Wenn jetzt aber klar sein sollte, dass es eine Gruppe im Osten gab, die Dinge tat, von denen Leute im Westen wussten, jawohl, das sind unsere, die da gemordet haben, und die Behörden bekommen das nicht mit, und das sind die Leute, die mit unserer Unterstützung das haben tun können, bekommt die Frage des Rechtsterrorismus tatsächlich noch mal einen neuen Dreh, auch natürlich in Bezug auf die Behörden, das Nichtwissen der Behörden, die Scham der Behörden. Die es ja tatsächlich auch gibt in diesen Tagen, dass man das alles nicht so mitbekommen hat, wird natürlich deutlich größer, wenn es nicht eine konspirative Gruppe von fünf, sechs Leuten war, sondern wenn wir es hier mit 50, 60 Leuten zu tun haben. Da kommen ganz viele Fragen, auch was V-Leute betrifft, aber auch was Behördenwissen betrifft, noch mal auf eine ganz andere Weise auf den Tisch.

    Heckmann: Bisher, Herr Leyendecker, ist man ja davon ausgegangen, dass die rechtsextreme Szene die Terrorzelle finanziert hat. Nun scheint sich allerdings herauszustellen, dass es möglicherweise genau anders herum gewesen ist.

    Leyendecker: Das ist mit eine dieser verblüffenden Geschichten. Man hat ja immer gefragt, wer finanzierte die Zelle. Jetzt stellt sich heraus, dass die Zelle Leute finanziert hat, dass sie Leuten Geldbriefe geschickt hat, wie es früher die Großmutter tat. Da waren Scheine drin, da wurde gesagt, verwende das für die gute Sache. Und augenscheinlich: Man hat noch keinen Originalbrief gefunden, aber es scheint jetzt so, dass es auch Pamphlete der NSU, also der Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund gab, die man dann beigelegt hat, sodass auch da wieder Leute gewusst haben, da gibt es irgendwas, von dem die Behörden überhaupt keine Ahnung haben, und die unterstützen mich auch noch.

    Heckmann: Der Spiegel hat jetzt am Wochenende gemeldet, dass mehr als 130 V-Leute in der NPD aktiv sein sollen, und diese V-Leute sind ja ein Hindernis für ein neues NPD-Verbotsverfahren, zumindest in den führenden Etagen. Die Unions-Innenminister, vor allem die wollen allerdings auf diese V-Leute nicht verzichten. Man muss sich allerdings die Frage stellen, denke ich, ob das nicht ein fragwürdiges Instrument ist und ob die wirklich so verzichtbar sind, wie es immer heißt, oder?

    Leyendecker: Man muss anschauen, wo sie sind. Ich glaube, Informanten des Verfassungsschutzes auf Vorstandsebene, die auf Vorstandsebene sind, sollte man abschalten. Dahingegen: Vielleicht gibt es auch zu viele V-Leute. Das ist eine Diskussion, die führen wir über Jahre. Die Zahl 130 deutet eher darauf hin. Aber man muss doch wissen, was in dieser Szene passiert, man muss doch wissen, welche Veranstaltungen geplant werden, welche Konzerte, bei denen der Nachwuchs geködert werden soll. Also wir haben doch in diesem Lande auch Hoyerswerda, Lichtenhagen, Solingen und andere Dinge gehabt. Eigentlich kann man über diese Szene nicht genug wissen. Das Problem scheint mir ein bisschen zu sein, die Vielzahl der Institutionen, die auf diesem Feld tätig sind. Wir haben das Bundesamt, Landesämter, man kann auch den Militärischen Abschirmdienst ein Stück dazunehmen. Das sind zu viele und da sind zu viele Organisationen dabei, die die Aufgaben nicht richtig bewältigen können, weil sie zu wenig Personal dafür haben.

    Heckmann: Aber trotz dieser V-Leute, dieser vielen V-Leute, Herr Leyendecker, gab es keinen einzigen Hinweis offenbar auf diese Terrorgruppe.

    Leyendecker: Das zeigt das Maß an Konspiration, das zeigt das Versagen der Behörden und das zeigt das Versagen der V-Leute.

    Heckmann: Hans Leyendecker war das, Leiter der investigativen Recherche der Süddeutschen Zeitung. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Leyendecker: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.