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Libdem-Abgeordnete Wera Hobhouse
"Mays Brexit-Deal ist tot"

Die britisch-deutsche Politikerin Wera Hobhouse von den Liberaldemokraten sieht die Chancen für ein neues Brexit-Referendum wachsen. Eine zweite Volksabstimmung könne den "Weg aus dieser kompletten Sackgasse" weisen, sagte Hobhouse im Dlf. Denn auch im Parlament sei Mays Deal auf Ablehnung gestoßen.

Wera Wobhouse im Gespräch mit Silvia Engels | 16.11.2018
    Die britisch-deutsche Politikerin Wera Hobhouse, Abgeordnete der Liberal Democrats
    Die britisch-deutsche Politikerin Wera Hobhouse, Abgeordnete der Liberal Democrats (imago stock&people)
    Silvia Engels: Schicksalstage in London – das Wort ist wohl nicht zu groß gewählt. Theresa May kassierte mit ihrem Entwurf für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestern einen Nackenschlag nach dem anderen: Ministerrücktritte, Widerrede aus den eigenen Reihen im Parlament und Stimmensammlung für einen Misstrauensantrag der Tories – das alles an einem Tag.
    Am Telefon ist nun Wera Hobhouse. Sie ist in Hannover geboren, wohnt aber seit Jahren in Großbritannien und sitzt für die Liberaldemokraten seit 2017 im britischen Unterhaus. Die Liberaldemokraten haben nur wenige Sitze im Parlament und sie haben sich seit Jahren immer für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt. Guten Morgen, Frau Hobhouse!
    Wera Hobhouse: Guten Morgen!
    Engels: Erwarten Sie, dass Sie im Unterhaus über die von May ausgehandelte Brexit-Vereinbarung überhaupt abstimmen müssen? Oder stürzt vorher die Regierung?
    Hobhouse: Ja, alles steht offen. Alles ist auf dem Tisch. Das einzige was im Moment bei Mrs. May nicht auf dem Tisch liegt, ist, dass wir eine Option bekommen, dass wir in Europa bleiben können, und das ist für uns natürlich nicht gut genug. Aber die Bewegung einer Volksentscheidung, die noch mal abstimmen können, mit der Option, in der EU zu bleiben, diese Option rückt immer näher.
    Denn es gibt sicher keine Mehrheit für den Deal, die Vereinbarung, die Frau May jetzt auf den Tisch gelegt hat, und es gibt auch keine Mehrheit für ein No-Deal-Szenario. Und die letzte Entscheidung ist dann doch zu sagen, wir haben den Deal gesehen, der ist "Brexit in name only", wir machen alles mit, aber wir sitzen nicht länger um den Tisch herum, können nicht mitbestimmen. Das ist ja die größte Aufgabe der Souveränität. Ein No Deal ist chaotisch und schlecht für die Wirtschaft. Also bleibt als dritte Möglichkeit für uns auf jeden Fall, dass wir in der EU bleiben, und für diese Option gibt es angeblich nach Meinungsumfragen auch inzwischen eine Mehrheit.
    "Es gibt sicher keine Mehrheit für den Deal"
    54 Prozent wären dafür, eine Mehrheit, in der EU zu bleiben. Ein Sky-Poll hat das gestern herausgefunden. 54 Prozent würden jetzt doch in der EU bleiben. 30 Prozent würden ohne Deal aus der EU austreten wollen, 30 Prozent dieser harten Remainers auch in der Bevölkerung, und nur 19 Prozent haben gesagt, dass sie sich für diesen Deal, den Mrs. May nach Hause gebracht hat, entscheiden würden. Das ist die Bevölkerung, aber im Parlament gibt es ...
    Engels: Ja, das ist die Bevölkerung. Im Parlament – da wollte ich gerade drauf zu sprechen kommen – sieht es ja etwas anders aus. Die Liberaldemokraten werden dann ja, sollte der Antrag eingebracht werden, wohl wie viele andere ihn auch ablehnen, was diese Brexit-Vorstellung von Theresa May angeht. Soweit, so klar. Aber wie organisieren Sie dann den Weg zu einem Referendum, einem zweiten, was Sie dann anstreben? Denn da gibt es ja sowohl bei den Tories gewaltige Widerstände, wenn auch nicht bei allen, bei den Labour-Abgeordneten der Opposition gibt es auch keine Mehrheit dafür. Jeremy Corbyn, der Oppositionsführer, möchte es nicht. Ist das überhaupt realistisch zu organisieren?
    Hobhouse: Ich glaube, das ist realistisch, denn dieses Momentum für einen Volksentscheid, ein "Referendum on the Deal", wie wir das nennen, wächst und wächst. Fast 700.000 Menschen sind auf den Straßen gewesen. Die Politiker müssen irgendwann auch mal zuhören. Die Unruhe im Land ist wirklich groß und selbst für Theresa May, wer weiß, ist das womöglich ein Ausweg.
    Engels: Sie beobachten ja Ihre Parlamentskollegen von den Tories und von Labour auch sehr intensiv. Die Fraktionen dort sind ja gespalten. Könnten am Ende trotz der Ablehnung in Teilen der Tory-Fraktion und von der nordirischen Unionist Party genügend Abgeordnete doch noch zusammenkommen, um May eine Mehrheit für ihren Deal zu verschaffen, einfach aus Angst heraus, dass dieses No-Deal-Szenario das Land ins Chaos stürzt?
    Hobhouse: Ich kann mir das nicht vorstellen. Sie hätten gestern im Parlament sitzen sollen. Es war einfach außergewöhnlich, und das haben Kollegen, die länger im Parlament sind, auf jeden Fall auch gesagt. Sie können es sich nicht vorstellen. Die Ablehnung für diesen Deal, die war groß. Dieser Deal ist tot, der ist weg. Den können die Europäer vergessen und den kann Theresa May vergessen.
    Referendum könnte ein Ausweg sein
    Sie ist ja immer sehr verbohrt, würde ich mal sagen. Sie kann sich nicht bewegen. Sie sagt, sie sieht den Erfolg für diesen Deal noch durch. Aber ich kann mir auf keinen Fall vorstellen, dass sie das durchs Parlament zieht, selbst mit ihrer Warnung, dass es dann zum No Deal kommt. Ich glaube, dass auf jeden Fall genügend Abgeordnete sich doch für einen Volksentscheid entscheiden würden, weil das für alle ein Weg aus dieser kompletten Sackgasse ist.
    Engels: Aber welche Regierung soll denn das dann organisieren? Denn es wird ja auch einfach die Zeit knapp, das noch vor dem Austrittstermin zu realisieren.
    Hobhouse: Ich würde mal sagen, mit genügend politischem Willen würde es ungefähr zehn Wochen brauchen, um dafür die Gesetzgebung durchzuziehen und das Referendum durchzuführen. Aber es gibt natürlich auch die Möglichkeit – und das liegt immer parallel daneben -, zur EU zu gehen und eine Verlängerung zu beantragen.
    Nur noch eine Minderheit will die EU verlassen
    Engels: Nun ist es auf der anderen Seite aber so, dass ein zweites Referendum ja nicht die Spaltung des Landes aufheben wird. Sie haben zwar die Zahlen genannt, dass derzeit es so wirkt, als ob die EU-Befürworter in der Bevölkerung eine Mehrheit hätten, aber die Gegner sind sehr, sehr stark dagegen, und auch beim letzten Referendum haben wir ja gesehen, dass das in einem erregten Wahlkampf vor einem Referendum noch mal kippen kann. Ist es nicht besser, jetzt zu akzeptieren, dass ein Referendum einmal entschieden hat, um einfach über diese Spaltung irgendwann hinwegzukommen?
    Hobhouse: Sie haben ganz recht, die Spaltung ist da. Anti-Europäische Gefühle in Großbritannien gibt es seit Jahrzehnten. Aber diese Diskussionen in den letzten zweieinhalb Jahren haben ganz deutlich gezeigt, dass das, was die Brexitiers ursprünglich vorgeschlagen haben und vorgegaukelt haben der Bevölkerung, dass man die EU einfach so verlassen kann und dann gibt es gar keine Nachteile, diese Lüge ist jetzt wirklich ganz klar herausgekommen. Und die Menschen, die dann sagen, wir wollen aus der EU raus und nach uns die Sintflut, das sind 30 Prozent. Das ist nicht die Mehrheit der britischen Bevölkerung.
    Die Leute, die sagen, aus der EU austreten und dann eine wunderbare neue Zukunft finden, die haben gemerkt und sie haben eingesehen, mit dem Deal, den Theresa May nach Hause gebracht hat, dass dies nicht möglich ist, so dass die einzige Möglichkeit ist, dass sie abhängig von der EU sind, ohne dass wir ein Sagen haben. Das ist erst recht nicht mehrheitsfähig.
    Engels: Das heißt, Sie gehen davon aus, 2019 fällt die Entscheidung, Großbritannien bleibt in der EU?
    Hobhouse: Ich gehe davon nicht aus, aber die Möglichkeit wächst tagtäglich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.