Montag, 29. April 2024

Archiv

Liberaldemokratin zur Brexit-Abstimmung
"Wir sind unserem Ziel näher gerückt"

Für die britische Liberaldemokratin Wera Hobhouse ist die Ablehnung des Brexit-Vertrags eine gute Nachricht. Sie will auf ein zweites Referendum hinarbeiten, sagte sie im Dlf. Die Hoffnung auf einen Verbleib in der EU will sie nicht aufgeben.

Wera Hobhouse im Gespräch mit Sandra Schulz | 16.01.2019
    Porträt von Wera Hobhouse, Liberaldemokratin
    Wera Hobhouse, liberaldemokratische Abgeordnete im Unterhaus in London (imago stock&people)
    Sandra Schulz: Eine schnelle Antwort hat die britische Premierministerin Theresa May gestern ja angekündigt – eine schnelle Antwort auf die Abstimmung zu dem von ihr ausgehandelten Austrittsvertrag ihres Landes aus der EU. Wie das gestern Abend ausgegangen ist, das haben Sie sicherlich bis heute Morgen gehört. Die erforderliche Mehrheit hat sie gestern erwartungsgemäß nicht bekommen.
    Am Telefon ist die britische Abgeordnete Wera Hobhouse. Mit den britischen Liberalen kämpft sie gegen einen Brexit und hofft auch auf ein neues Referendum. Schönen guten Morgen!
    Wera Hobhouse: Guten Morgen!
    "Es geht darum, mehr und mehr Dinge auszuschließen"
    Schulz: Wie geht es Großbritannien heute Morgen!
    Hobhouse: Natürlich sind alle erstaunt. Aber für diejenigen, die gegen den Brexit-Deal gekämpft haben, für die ist das natürlich ein guter Morgen. Für mich auch! Ich habe ja Ihrem Korrespondenten zugehört. Er glaubt, dass es doch noch große Hürden für ein zweites Referendum gibt, was ja unsere Position ist. Aber ich glaube, wir sind unserem Ziel schon ein bisschen näher gerückt. Es geht darum, mehr und mehr Dinge auszuschließen. Theresa Mays Deal ist ausgeschlossen und Friedbert Meurer hat schon ganz klar angedeutet, dass letztlich da nicht mehr viel rauszuholen ist von der EU. Insofern ist Theresa Mays Deal weg vom Fenster oder mehr oder weniger weg vom Fenster.
    Die nächste Abstimmung, die stattfinden wird im Parlament, ist über einen No-Deal-Brexit. Ich glaube ganz klar, dass es keine Mehrheit im Parlament für "No Deal" gibt. Und dann geht es darum, was ist das nächste. Der nächste Vorschlag ist dann schon über einen viel weicheren Brexit und dann ist der nächste Schritt zu sagen: Moment mal! Einen ganz weichen Brexit, dann können wir doch gleich in der EU bleiben. Was soll denn das, dass wir alles mitmachen, ohne dass wir noch eine Stimme am Tisch haben.
    Schulz: Ich höre Ihnen ganz interessiert zu. Aber auf einen Logikbruch muss ich Sie doch hinweisen. Wenn Sie sagen, das nächste, was passiert, dass es eine Abstimmung geben wird für einen No-Deal-Brexit, dann ist ja das alte Problem wieder im Raum, dass Sie dafür erst mal einen Deal bräuchten. Wo soll der herkommen?
    Hobhouse: Nein! Dass wir diese Abstimmung durchziehen können, wie das in einem Prozess durchgezogen wird, das steht noch aus. Und es ist ganz klar: Im Gesetz steht ja im Moment, der 29. März ist der Austrittstag. Insofern müssen wir schon gesetzlich festlegen und mir müssten natürlich einen Antrag stellen, dass wir den Artikel 50 erst mal verlängern werden können. Da müssen wir natürlich den Antrag mit der EU stellen und das liegt ein bisschen an der EU, ob sie sich darauf einlassen.
    Referendum über harten oder soften Brexit
    Schulz: Da sagt die EU aber ganz klar, diese Verlängerung, die ergibt eigentlich nur dann Sinn, wenn ihr, liebe Briten, uns ungefähr erklären könnt, was sich in den nächsten Wochen, in den nächsten Monaten ändern könnte an der verfahrenen Lage und auch an eurer Ablehnung des Deals, der ja nun so langwierig und so zäh ausgehandelt wurde.
    Hobhouse: Ja! Und wenn die EU auch einen harten Kurs führt, dann müssen sich Politiker hier in Großbritannien auch noch mal den Kopf zerbrechen, wie es weitergehen soll. Weswegen ich ja glaube, die EU hat zumindest angegeben, so wie ich das verstehe, wenn zum Beispiel der Vorschlag eines zweiten Referendums auf dem Tisch liegt mit der Möglichkeit, in der EU zu bleiben, dass sie sich dann auf eine Verlängerung einlassen würden. Das spielt wieder doch auch in unsere Richtung und gibt uns Hoffnung, dass diese Möglichkeit doch immer näher auf uns zurück.
    Schulz: Das habe ich verstanden, dass Ihnen das als Ziel vor Augen ganz wichtig ist. Aber die Frage ist doch: Das Land Großbritannien scheint ja, nach wie vor gespalten zu sein, über die Frage: Wollen wir weiterhin zu dieser EU gehören oder nicht? Jetzt hatten Sie ein Referendum mit einem unheimlich knappen Ausgang. Es würde sich wahrscheinlich in einem zweiten Referendum überhaupt nichts daran ändern, dass dieser Ausgang wieder ähnlich knapp wäre. Wäre das eine Basis, wenn die Zustimmung käme, doch in der EU zu bleiben, könnte man dann den Verlierern sagen: April, April, jetzt habt ihr so lange dafür gekämpft, jetzt bleiben wir doch drin?
    Hobhouse: Der große Fehler des ersten Referendums war ja, dass es keine konkreten Vorschläge gab. Man wusste, die Leute wussten, wie sieht Mitgliedschaft aus, und dann konnte aber die Leave-Seite, die Leute, die sich dafür eingesetzt haben, dass man die Europäische Union verlässt, alle möglichen Sachen in die Zukunft werfen und jeder hat sich dann seine eigene Vorstellung gemacht, wie das aussehen würde. Jetzt nach zweieinhalb Jahren, nachdem wir so gekämpft haben und so viele Möglichkeiten auf dem Tisch liegen, muss natürlich ein Referendum einen spezifischen Brexit-Ausgang vorschlagen, einen harten Brexit oder einen soften Brexit, und das war ja vor zweieinhalb Jahren nicht auf dem Tisch. Es war ja alles möglich. Dieser unspezifische Brexit hat ja zu diesen enormen Diskussionen geführt und das würde in diesem Fall schon anders sein mit einem zweiten Referendum.
    "Ich habe nichts gegen eine Neuwahl"
    Schulz: Aber dass das Land gespalten ist, das wischen Sie damit ja nicht weg.
    Hobhouse: Nein, das Land ist gespalten. Aber das Land ist auch nach einem Deal weiterhin gespalten. Das Problem mit dem Deal, den Frau May vorgeschlagen hat und die EU vorgeschlagen hat, da sind ja nach wie vor sehr, sehr viele Sachen völlig unklar. Dass man jetzt sagen würde, na ja, der Deal wird verabschiedet und dann ist endlich mal Ruhe im Land – im Gegenteil! Diese Diskussion über unsere Beziehung zur Europäischen Union, die geht ja nach wie vor weiter. Die geht auch mit dem Deal weiter.
    Insofern ist diese Spaltung nach wie vor da. Die Frage ist nun mal gestellt worden in Großbritannien, die Diskussionen werden über Jahre weiterlaufen, außer wenn doch im letzten Moment oder wenn sich in einem zweiten Referendum feststellen lässt, na ja, schön, wir bleiben doch in der Europäischen Union. Und endlich mal in Großbritannien auch die Vorteile der Mitgliedschaft gezeigt werden, anstatt dass immer alles nur negativ ausgemalt wird.
    Schulz: Jetzt wollen wir noch ein bisschen kleinteiliger und auch noch ein bisschen konkreter werden. Heute Abend das Misstrauensvotum, dem sich Theresa May stellen muss. Was machen da die Liberal Democrats?
    Hobhouse: Wir werden natürlich gegen die Regierung und gegen Mrs. May stimmen, denn wir sind total unzufrieden, wie sie die ganzen Brexit-Verhandlungen durchgezogen hat. Wir glauben allerdings nicht, dass eine Neuwahl nun eine bessere Möglichkeit vorschlägt, denn die Labour-Partei ist ja selber auch gespalten.
    Schulz: Aber Ihnen ist schon klar, dass ein Sturz Theresa Mays das Land näher an Neuwahlen führen würde.
    Hobhouse: Ja, und dann müssten wir das auch in Kauf nehmen. Ich persönlich hätte nichts gegen eine Neuwahl. Allerdings geht es darum, eine Regierung Jeremy Corbyn, solange er sich auch nicht auf ein zweites Referendum festlegt, macht für uns natürlich auch Schwierigkeiten. Es ist auf keinen Fall einfach, aber beim Misstrauensvotum werden wir gegen Mrs. May stimmen. Aber mit aller Vorhersage wird sie diese Wahl gewinnen. Die Leute, die gestern Abend gegen sie gestimmt haben, haben ja sofort hinterher gesagt, wir werden sie nach wie vor unterstützen. Insofern ist da natürlich auch – wie soll man das sagen – eine Schizophrenie in dieser Art und Weise, wie die DUP mit der ganzen Frage umgeht.
    "Labour wird jetzt schon viel mehr Stimme bekommen"
    Schulz: Sie haben es gerade schon gesagt. Alle waren jetzt sehr gut darin, viele Dinge abzulehnen. Jetzt wollen sie auch Theresa May wieder ablehnen. Wenn ich Sie jetzt frage nach einem konstruktiven Vorschlag, nach einem Szenario, wie jetzt eine Lösung aussehen könnte, aber unter Weglassung des von Ihnen gewünschten zweiten Referendums, was ja nun auch wieder sehr umstritten ist, wie sähe dieses Szenario aus?
    Hobhouse: Ich würde davon ausgehen, dass das Parlament immer mehr die Oberhand gewinnt und dass es doch mehr und mehr Gespräche gibt zwischen den Parteien und dass Theresa May sich letztlich auch darauf einlassen muss, wie diese Gespräche verlaufen. Bisher hat sie ja vieles einfach nur für sich gemacht. Es ist ja auch erstaunlich, wie selbst ihre eigenen Minister oft gar nicht wissen, was sie eigentlich sagt und ausgehandelt hat. Sie hat ja bisher immer sehr alleine agiert. Da muss sie schon was in ihrer eigenen Einstellung zum Parlament ändern, und zu ihren eigenen Kollegen, ehrlich gesagt, auch. Die sind ja ganz verzweifelt, dass sie immer gar nicht kommuniziert.
    Wenn sie überleben will als Premierministerin, dann muss sie einfach viel mehr mit dem ganzen Parlament kommunizieren, dass sich da dann am Ende wahrscheinlich eine sehr weiche Brexit-Lösung doch noch herauszeichnet. Im Parlament gibt es keine Mehrheit für den No-Deal-Brexit, und das ist das erste, was wahrscheinlich ausgeschlossen werden wird. Wie das dann gesetzmäßig aussieht oder wie der Antrag bei der EU in den nächsten Wochen aussieht, dass man das verlängert, das steht bisher offen, aber darauf arbeiten wir hin und darauf arbeiten auch, so wie ich glaube, eine Mehrheit der Parlamentarier hin – besonders die Labour-Partei. Die Labour-Partei wird jetzt schon viel mehr Stimme bekommen.
    Schulz: Die britische Unterhaus-Abgeordnete Wera Hobhouse von den britischen Liberalen heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Hobhouse: Ja, vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.